Prolog
Tamara Bach gehört seit gut 10 Jahren zu einer der wichtigsten Stimmen in der deutschen Jugendliteratur. Ihre Romane erzählen nicht nur inhaltlich differenziert vom Heranwachsen, sondern verbinden diese Aspekte mit interessanten formalen Konstruktionen. Busfahrt mit Kuhn war beispielsweise als erzähltes Drehbuch angelegt, während in Jetzt ist hier multiperspektivisch fünf Protagonisten ihre Sichtweisen wiedergaben. Bachs neuer Roman 14 (2016) wartet nun mit einer ungewöhnlichen Du-Konstruktion auf. Mit seinen knapp 100 Seiten ist der Band sehr schmal geraten, inhaltlich aber umso dichter gestrickt und virtuos komponiert. Völlig unvermittelt wird man mit den ersten beiden Sätzen in die Geschichte geworfen: „Du schläfst. Du träumst“ (S. 5). In dieser Form wird im weiteren Verlauf über die 14-jährige Protagonisten Beh allein in der Du-Anrede erzählt.
Ein erzählter Tag
Die Handlung beschränkt sich auf einen einzigen Tag und folgt Beh, die aufgrund zweiwöchiger Krankheit und den anschließenden Sommerferien acht Wochen nicht in der Schule war. Minutiös zeichnet der Roman Behs Wege nach: die Morgenroutine mit der Mutter, der Weg zur Schule, die richtige Platzwahl im neuen Klassenraum. Sie trifft auf Schulfreundinnen, die ihr plötzlich merkwürdig fremd geworden sind. Während Beh krank war, gab es eine gemeinsame Klassenfahrt ins Ausland. Sie ist nicht mehr Teil der erinnerten Ereignisse und ausgeschlossen von den gemeinsamen Witzen. Außerdem gibt es eine neue Mitschülerin, die sich neben Beh setzt und als geheimnisvolle Unbekannte verbleibt. Nach der Schule führt Beh erst den Hund der Nachbarin aus, besucht ihren Vater in seiner neuen Wohnung und geht dann mit ihrem Schwarm ins Schwimmbad. Was in dieser Aufzählung nach einem abrupten Stakkato klingen mag, trifft aber den Vibe des Romans. Man erlebt einen Tag des diffusen Erlebens mit, verstärkt durch die Du-Anrede, mit der man als Leser unmittelbar bei der Figur ist. Die knappen und unkomplizierten Sätze unterstreichen dies; sind dabei aber niemals simpel, sondern erweisen sich als komplex und durchdacht.
Ein Kaleidoskop von Leerstellen
Vieles bleibt auf der Handlungsebene nur angedeutet und der Text belässt viele Leerstellen. Die Gründe für den Auszug des Vaters werden etwa nur angerissen, womit Behs eigenes Nicht-Verstehen der Situation einen klugen Ausdruck in der Art und Weise des Erzählens findet. Sie trudelt durch eine Welt, die nach acht Wochen der Auszeit merkwürdig vertraut, aber auch fremd geworden ist. Ihre Familie zerbricht, sie ist aber auch das erste Mal verliebt: alles scheint gleichzeitig zu geschehen. Der eine erzählte Tag kondensiert und überformt die Prozesse des Heranwachsens für Beh. Die jahreszeitliche Setting greift den anstehenden Schwellengang ebenso auf: ein lauer Sommertag, der den kommenden Herbst bereits erahnen lässt. Die Rahmung durch den ersten Schultag markiert das Umbruchsmoment zusätzlich: Beh trifft auf Bekanntes und doch wird alles neu geordnet. Als Beh im Kunstunterricht die Aufgabe bekommt, Fotos zu machen, widmet sie sich verlassenen Orten. Selbstreferenziell stellt der Text damit seine eigene Konstruktion heraus: „Und führst schon im Kopf die Logik fort, Menschen weg, Funktion hinfällig. Ort traurig. Eben Leerstelle“ (S. 48).
Ein sprachliches Feuerwerk
Neben der Du-Ansprache und der sogartig verdichteten Erzählzeit, entfaltet der Roman ein facettenreiche sprachliche Textur. Jeder Satz sitzt perfekt und fügt sich zum durchkomponierten Gesamtbild zusammen, indem eben keine Leerstelle zufällig ist. Bachs Gespür für Sprache schafft eine dichte Atmosphäre, lässt Poetisches neben Komischen stehen. Grandios gelungen sind die kleinen Szenen im Schulalltag, die Behs Unsicherheiten aber auch Freude über die Rückkehr einfangen. Nonchalent werden diverse Anspielungen auf eine gegenwärtige Jugendkultur eingeflochten, ohne diese aufgesetzt zu überzeichnen: „Du hörst zu, du fillst in the gaps, du vergleichst mit deinen peers […]“ (S. 39). Man kann während des gesamten Romans viel Schmunzeln, aber eben auch die subtile Melancholie Behs nachvolliehen.
Epilog
Die oben erwähnten Leerstellen markieren den zentralen Kern des Textes; sowohl in der Art und Weise des Erzählens als auch innerhalb der erzählten Welt der Protagonisten. Vieles wird nur angedeutet, ohne es zu explizieren. Stets bleibt dabei eine Ambivalenz spürbar, so ist Beh traurig über den Auszug ihres Vaters, gleichzeitig ist sie überwältigt von ihrem ersten Kuss mit Anton. Behs emotionales Changieren, ihr Kreisen um solche lebensgeschichtlichen Umbrüche und Leerstellen zeichnet sich durch eine Vielschichtigkeit aus. Trotz der Kürze erzählt 14 in der erzählerischen Offenheit so unheimlich komplex und dürfte einer der aufregendsten Jugendromane in diesem Jahr sein.
Literatur
Bach, Tamara: 14. Hamburg: Carlsen 2016.