Adventure Huhn

Diese Rezension schreibe ich am Dienstag, den 03. November, gegen 23:30 Uhr. Seit gestern gelten erneut schärfere Bestimmungen für das öffentliche Leben und das Finale einer schrecklich anzuschauenden US-Wahl nimmt seinen Lauf. Warum ich das an dieser Stelle schreibe? Weil Leserinnen und Leser zum Ende des Jahres 2020 so viele Feel-Good-Medien in die Finger kriegen sollten, wie es nur geht. Für mich persönlich gilt dies auf jeden Fall. Und damit möchte ich Adventure Huhn der Autorin und Zeichnerin Franziska Ruflair schon jetzt nachdrücklich empfehlen, schon wegen des Titels und des zugehörigen Covers. Für alle, die aus diesen Gründen noch nicht überzeugt sind, dürfen gerne noch etwas weiterlesen.

Die Abenteuer, die wir brauchen

Der Titel des Comics gibt bereits alle Informationen: Protagonistin des Bandes ist ein Huhn, welches sehr gerne auf Abenteuer geht. Gleich zu Beginn der Erzählung ergibt sich durch ein kleines Missgeschick die Möglichkeit, auf ein ebensolches aufzubrechen, als das Huhn den Kokon der Raupe Susan zerstört. Um Susan zu helfen, bricht das Huhn mit ihr nach Froschbach auf, wo es Seide für einen neuen Kokon geben soll. Für die beschwerliche Reise gilt es Proviant zu erobern und auch Molly, eine Prinzessin in Nöten, lässt nicht lange auf sich warten. Molly ist praktischerweise Froschbacherin und vor einer Söldnerarmee geflohen, die ihr Land verwüstet hat. Da passt es gut, dass Molly auf der Suche nach Helden ist, die ihr dabei helfen, ihr Schloss zurückzuerobern. Gegen die Übermacht muss das Trio mit viel List und Geschick vorgehen, was unter anderem Huhn-Kunst, ein Torwachen-Praktikum und eine Skatrunde um die Herrschaft im Schloss mit einschließt.

Unterlaufene Erwartungen

Die Erzählung von Adventure Huhn würde Gelegenheiten bieten, eine epische und dramatische Geschichte zu schreiben. Glücklicherweise setzt die Autorin stattdessen auf wunderbar zeitgemäße Komik und frische Ideen zur Auflösung von Konfliktsituationen. Eintritt in das Schloss erhält das Huhn zum Beispiel, indem sie sich beim Wachwechsel als Schülerpraktikantin ausgibt, die Wache daraufhin in ein Weiterbildungsgespräch über Foltermethoden verwickelt und sie schließlich überredet, ihr die verantwortungsvolle Aufgabe zu übertragen, das Tor zu bewachen, anstatt nur Kaffee zu kochen. Geschildert werden diese Ereignisse in hohem Tempo mit schnellen Szenenwechseln, pointierten Dialogen und Figuren, denen jede Emotion vom Gesicht abzulesen ist. So setzt der Titel die Erwartungshaltung an die Abenteuer eines Huhns auf struktureller Ebene um, indem er die Erzählung spontan und im positiven Sinne irrational gestaltet.

Eine weitere Abweichung von der Norm klassischer Abenteuerepen ist die weibliche Heldin. Obgleich namenlos, ist es eben ein Huhn und kein Hahn, der in diesem Comic auf Reisen geht. Die Erwartungshaltung eines männlich konnotierten Helden herrscht auch in der erzählten Welt vor. So wartet Prinzessin Molly zum Beispiel bewusst auf einen Prinzen, der ihr dabei hilft, ihr Königreich zurück zu gewinnen. Eher zweifelnd nimmt sie dann auch die Hilfe von Huhn in Anspruch, eher davon geleitet, dass eh beide in die gleiche Richtung müssen. Abseits dieser Verweise gibt es zum Glück angenehm wenig Verweise auf die Weiblichkeit der Titelfigur. Weder sind ihre Taten stereotyp feminin, noch sind es ihr Auftreten oder ihre Aussagen. Die oben erwähnte Irrationalität der Figur wird eindeutig damit begründet, weil sie ein Huhn ist, und nicht, weil sie eine Frau ist.

Embrace your inner Huhn

Adventure Huhn ist modern und gekonnt erzählt. Die Motivation zu dieser Rezension entstand allerdings bereits beim ersten Blättern im Text. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: In Adventure Huhn geht es um ein Huhn, welches Abenteuer erlebt! Die Art, wie Ruflair ihre Protagonistin zeichnet und schreibt, ist auf den Punkt getroffen. Ihre Figur wirkt nicht wie die epische Heldin einer Fantasyerzählung, die im Körper eines Huhns steckt, sondern wie die glaubhafte Darstellung eines Huhns, welches mit einem Sinn für Abenteuer ausgestattet wurde. Das Adventure Huhn ist spontan und an manchen Stellen erratisch im Verhalten, es ist neugierig und extrem begeisterungsfähig, auf sich selbst zentriert und scheinbar nicht in der Lage, Langzeitfolgen des eigenen Handelns zu bedenken (oder auch nur wahrzunehmen). Kurzum, es verhält sich wie ein Huhn.

Auf die Seiten gebracht wird diese Huhnhaftigkeit durch eine Palette emotionaler Gesichtsausdrücke und Gesten, die den Charakter der Figur wortwörtlich als Bild zeichnen (vgl. Abbildung 1). Ruflair arbeitet vor allem über die Augen, verengt diese zu skeptisch dreinblickenden Schlitzen, reißt sie in Begeisterung und fast verschwindenden Pupillen weit auf oder symbolisiert mit Herzen und Sternen bestimmte Emotionalitäten.

Drei Ausschnitte aus dem Comic Adventure Huhn, die Gesichtsausdrücke des Huhns zeigen.
Abbildung 1: Facetten eines Huhns. Bildqeuelle: Adventure-Huhn (2019) [Collage vom Autor erstellt]

Auch die restlichen Figuren stehen der Protagonistin in ihren Zeichnungen in nichts nach. So ergeben sich Panels, die ihren Humor aus der Interaktion der Charaktere ziehen, aus ungläubigen Blicken, wütenden Schreien und flatternder Begeisterung.

Gute-Laune-Comic

Adventure Huhn wird seinem titelgebenden Tier in Form, Zeichnung und Erzählung gerecht und fühlt sich dadurch einfach richtig an. Ruflairs Band trifft meine Erwartungshaltung von einem Abenteuer-Huhn von der ersten bis zur letzten Seite. Der Feel-Good-Comic beschert einem für die Zeit des Lesens ein breites Grinsen auf dem Gesicht. So wie das Werk “Adventure for everybody” (S. 90) verspricht, verspricht es gleichzeitig eine Pause vom Alltag, den momentan wohl alle sehr gut gebrauchen können.

Literatur

Ruflair, Franziska (2019): Adventure Huhn. Avant-Verlag GmbH.

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