An die, die wir nicht werden wollen

Wiederkehrendes Leitmotiv in Nils Mohls Romanen ist das Heranwachsen in all seinen bisweilen chaotischen Dimensionen. Dies spiegelt sich vor allem in den komplexen Konstruktionen der Romane, mit achronologischen Zeitebenen und intermedialen Verweisen wider. Genau dies zeigt sich nun auch in Mohls neuestem Text An die, die wir nicht werden wollen (2021). Nach langer Prosa-Durststrecke, allein verkürzt durch Ausflüge in die Lyrik im letzten Jahr, hat Mohl nun endlich einen neuen Text vorgelegt.

Mosaik des Heranwachsens

Man kann diesen neuen Text kaum Roman nennen, es ist viel mehr eine Text-Collage, ein flirrendes fragmentarisches Mosaik. Denn es reihen sich in An die, die wir nicht werden wollen lose einzelne Abschnitte aneinander, die diverse Form- und Stilexperimente beinhalten. So gibt es Chat-Passagen, Kurznachrichten mit Smileys, Prosafragmente, Lyrik oder (Werbe-)Anzeigen. Eine kohärente Handlung rückt in den Hintergrund. Vielmehr steht das Prinzip des Collagierens im Vordergrund, bei dem man Einblicke in die Erfahrungswelt einer unbenannten Figur erhält. Sprunghaft wechseln Themen und Textform. Die Collage setzt sich schließlich auch in den reichhaltigen und wunderschönen Illustrationen fort, die Regina Kehn beigesteuert hat. Jede Seite ist in der Typographie, dem Satzspiegel oder durch die Zeichnungen individuell gestaltet. Einen Einblick gibt der Buchtrailer, den Nils Mohl bei YouTube hochgeladen hat.

Symphonie der Jugend

Deutlich ist die Form des Textes von intermedialen Signaturen durchdrungen. Dieser Aspekt offenbart sich nicht nur in den Illustrationen und den verschiedenen Textsorten, sondern natürlich bereits im Untertitel, wenn hier von einer Teenager-Symphonie die Rede ist. Die Bezeichnung für ein musikalisches Instrumentalwerk steht nicht zufällig als Namenspate; wenngleich interessanterweise der Aspekt des Harmonischen, der sich vom griechischen Ursprungswort ableiten lässt, aufgestört ist. In dem Text klingen viele Stimmen in unterschiedlichen Tönen und fügen sich zu einem Mosaik des Heranwachsens ineinander. Dass hier manches wirr und chaotisch erscheint, lässt sich als bewusstes Stilprinzip ausdeuten, um von den Irrungen und Wirrungen im Teenager-Alter zu erzählen. Begleitend zum Buch gibt es eine YouTube Playlist, die in kurzen Episoden einzelne Abschnitte in kleine Videos übersetzt, womit sich auch über das eigentliche Buch hinausgehend der Erzählkosmos intermedial ausdifferenziert.

Im Dazwischen

Man muss auch sagen, bei all der Freude, die man an der Form haben kann: An vielen Stellen ist der Text sperrig und macht einem das Lesen nicht gerade leicht. Aber ebenso wie das Heranwachsen oftmals voller Rätsel steckt, ist auch dieser Text verrätselt und lädt dazu ein, mit Neugier auf das Ungewisse nach der Jugend zu schauen:

Ja, wir müssen uns Sisyphos / als sehr glücklichen / Menschen vorstellen. / Er hatte sich nur / mit einem Stein abzumühen.

S. 155

Sinnbildlich steht diese intertextuelle Referenz für das Spannungsfeld des Textes: Die Auseinandersetzung mit vorgegebenen Strukturen, die sich am Ende der Jugend auflösen, woraus sich einerseits eine große Offenheit an Möglichkeiten ergibt, was aber ebenso überfordernd und verstörend sein kann. Lässt man sich auf diesen komplexen Text ein, gibt es Vieles zu entdecken.

Literatur

Mohl, Nils: An die, die wir nicht werden wollen. Eine Teenager-Symphonie. Mit Illustrationen von Regina Kehn. Innsbruck/Wien: Tyrolia 2021.

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