Nostalgische Overtüre
In der Nähe unseres Kleingartens, vielleicht zwei Minuten zu Fuß, stand eine alte Eiche. Hatte man es geschafft über zwei etwas niedriger hängende Äste das Astwerk zu erreichen bot die Architektur des Baumes alles was man sich als Kind von einem wohnlichen und doch abenteuerlichen Ort nur wünschen konnte. Die untersten Äste fächerten sich um den Baumstamm, bildeten ein gemütliches Bett auf dem man sicher schlafen oder auf dem Rücken liegend ins Blätterwerk blicken konnte. Etwas weiter oben hing ein stärkerer Ast, an den man sich hängen und hin- und her schwingen konnte. Circa auf selber Höhe wuchsen zudem drei dickere Äste so, dass man sich dort, wie an einem Tisch mit zwei Bänken, gegenübersitzen konnte. Die Eiche hatte auch einen Namen: Arborex. Der Name war mir nicht einfach nur so in den Sinn gekommen. Er stammte aus der Hörspielreihe Arborex und der Geheimbund KIM.
Arborex und der Geheimbund KIM
Die von Karussell in den 1980er Jahren produzierte Hörspielreihe Arborex und der Geheimbund KIM hat 20 Folgen. Im Zentrum der Serie stehen die Abenteuer von Karsten (Christian Stark), Ingo (Jens Wawrczeck) und Monika (Alexandra Doerk), ihre Freundschaft zu Arborex (Dieter Thomas Heck) der sprechenden alten Eiche und Tuco (Karin Eckhold) der sprechenden Taube, und ihr gemeinsamer Kampf für den Umweltschutz. Jede Folge bietet einen in sich abgeschlossenen Fall, bei dem es entweder darum geht eine kriminelle Tat oder ein Umweltverbrechen aufzudecken. Zur Lösung der Problematik trägt meist ein Ereignis aus der Vergangenheit bei, das Arborex den Jugendlichen erzählt und welches als Mini-Hörspiel im Hörspiel präsentiert wird. Arborex und der Geheimbund KIM hat dabei ein deutliches Ziel: die ZuhörerInnen zum aktiven Umweltschutz anzumahnen und über den Umgang mit der Natur aufzuklären.
Musikalische Rahmung
Die Handlung einer jeden Folge wird eingerahmt von zwei Liedern von ungefähr je 90 Sekunden, welche die ideologische Ausrichtung musikalisch vorbereiten und abschließen. Im Anfangslied wird aktiver Umweltschutz als verklärte Zukunftsvision eines träumenden Arborex eingeführt.
Direkt zu Anfang ruft das Hörspiel so verschiedenste Assoziationen auf. Die Eiche, die am Waldesrand die aufgehende Sonne erblickt, erinnert an romantische Landschaftsmalerei und Poesie. Wenn die jüngste Mädchenstimme erklingt, um sich zu den Höhen eines “…er träumte und sah das Morgenrot” empor zu singen, wird kindliche Unschuld verbunden mit Ideen von einer heilen Welt, die Dank des Einsatzes der Jugendlichen mit dem neuen Tag anbrechen wird. Kinder und Tagesanbruch wirken damit doppelmächtig als Symbole einer besseren Zukunft. Zum Abschluss einer jeden Folge wird das Herbeiführen dieser neuen, heilen Welt nun in die Hände der ZuhörerInnen gelegt.
“Tu was, auch Du, Du auch tu was” kann als imperative Aufforderung interpretiert werden, die in der Hörspielreihe vermittelten Werte in der außerfiktionalen Realität anzuwenden. “Auch Deine Hilfe zählt. Tu was, tu was, noch ist es nicht zu spät.” ruft zur Teilnahme an einem Kampf auf, der noch nicht verloren ist, aber Unterstützer benötigt. Entwirft der chorale Beginn eine romantisches Morgen so unterstreicht der schnellere Rhythmus dieses zweiten Liedes das Einsatz und Energie nötig sind um dieses zu erreichen.
Vorbild KIM
Zwischen diesen beiden Lieder nun erleben Karsten, Ingo und Monika ihre Abenteuer. Obwohl jede Folge eine Stunde lang ist, geschieht in dieser allerdings meist recht wenig. Der Fokus der Hörspiele liegt vielmehr auf Gesprächen, der Übermittlung von Wissen (so werden die ZuhörerInnen beispielweise über Froschwanderungen aufgeklärt, erhalten eine Anleitung, wie man Tierspuren mit Gips ausgießt oder erfahren wie verschiedene Heilkräuter heißen) und der Inszenierung von aktivem Umweltschutz. Karsten, Ingo und Monika werden dabei zu strahlenden Vorbildern stilisiert. “Die reden nicht bloß über Umweltschutz, die tun auch was” (“Unser Freund der Baum”, 18:20) bemerkt Arborex direkt in Folge eins und bringt damit die herausragendste Eigenschaft der drei Jugendlichen auf den Punkt. “Tu was.” wird schließlich auch zum Motto des in dieser ersten Folge am Fuße von Arborex gegründeten Geheimbunds, ein Leitsatz, dem sie alle Ehre machen.
Die ZuhörerInnen lernen die drei Protagonisten kennen, während sie den Waldlernpfad aufräumen, der von anderen Spaziergängern verschmutzt wurde. Sogar eine Scheibe einer Schautafel wurde, mal wieder, eingeschlagen. Ähnliche Aktivitäten begleiten jede Folge. Entweder die Drei planen, wie sie Frösche auf dem Weg zum Laichen über die Autobahn tragen wollen, protestieren gegen die Abholzung von Bäumen oder aber sie kümmern sich in den Ferien um Heuler im Wattenmeer. Ist gegen diese Aktionen sicher nichts einzuwenden, so ist diese Darstellung von alles einnehmenden Engagement fast schon nervig. Ja, es ist vielmehr noch erschreckend, wie ungemein bieder diese Jugendlichen sind. So geht Umweltschutz hier sogar so weit, dass die Party einer Motorradgang bei Arborex verhindert werden muss, weil die Musik zu laut und das “ne ganz wilde Discoorgie” wird. “Discomusik auf dem Thingplatz an der Eiche” (“Das Bootsfest auf der Britta”, 15:50 -16:14) ist für Karsten eine Unmöglichkeit. Auch sonst sind Karsten, Ingo und Monika stets höflich und hilfsbereit, was sie extrem herbeigeschrieben wirken lässt. Entsprechend passend ist es dann auch, dass der engste menschliche Vertraute der Gruppe kein Gleichaltriger, sondern der gelehrte, ältere Klosterbruder Martin ist, für den Ingo und Monika auch gerne mal extra eine Stunde mit dem Fahrrad zu einer entfernten Moorwiese fahren, um dort Kamille zu pflücken.
Umweltsünder
Entsprechend dieser Ausrichtung werden Umweltsünder, also jene, die nicht mit KIMs Wertekatalog übereinstimmen, entschieden verurteilt. Der entsprechende Ton wird sofort in den Anfangsminuten der Reihe gesetzt:
Arborex Tonfall (“Mein Freund der Baum”, 01:43 – 02:50)
Dieser erste Dialog steht entschieden im Kontrast zur Stimmung das Anfangsliedes. Nicht nur lässt der Kinderchor vermuten, die Protagonisten wären wesentlich jünger, als die zwei älteren Jugendlichen, die nun hier auftreten. Auch die Grundhaltung wechselt von Pfadfinderharmonie zu Streitlust. Ingos und Karstens Aussagen sind direkt und aufgebracht und zeichnen beide als unterschwellig aggressiv und gewaltbereit. Ähnlich scharf wird dann auch Monika angegangen, als sie in einem unbedachten Moment fragt, ob Ingo die Plastiktüten für die Kamille dabei hat.
Arborex Tonfall (“Die Sache mit dem Tümpel”, 22:40 – 22:51)
So kann jeder kleine Austausch binnen Sekunden zur angespannten Lehrsituation werden. Zwar passt dieser Tonfall nicht zur sonstigen Charakterzeichnung der Jugendlichen, doch wird schnell deutlich, wenn es um die Umwelt geht, wird hier kein Spaß verstanden. Dass die Hörspielreihe die Agressivität ihrer drei Protagonisten wenig kritisch hinterfragt wird bei einem Austausch mit einem Autofahrer deutlich. Dieser hält an, um sich zu erkundigen, was die drei an der Straße tun und wird aufgeklärt, dass es darum geht die Frösche sicher zu ihrem Laichplatz zu tragen:
Arborex Tonfall (“Spuk im Rittersaal”, 02:54 – 05:25)
KIM arbeitet hier gezielt auf Eskalation hin. Ja der Autofahrer wird nahezu dafür bestraft, dass er sich ‘nur’ interessiert und nicht direkt aktiv zur Tat schreitet. Die Einsicht “hab ich noch garnicht drüber nachgedacht” wird ignoriert. Stattdessen wird der Mann direkt angefahren, weil er die Luft mit seinem laufenden Motor “verpestet”. Interessant ist, dass er aufgrund der Verhaltensweise der Jugendlichen sofort erkennt, dass diese “radikal” sind. Statt diese Aussage jedoch zu reflektieren, wird dieser Vorwurf in der Folge abgetan und “radikal” auf den lateinischen Urspung “radix” ,”Wurzel” zurückgeführt. KIMs Verhaltensweise wird so abgekoppelt von politischem Handeln und den negativen Konnotationen von Radikalismus und mit der Natur in Verbindung gebracht. Wie Arborex die Eiche, nur eben im metaphorischen Sinne, sind Karsten, Ingo und Monika eben besonders “verwurzelt”, haben ihren Platz in der Natur. Um diese Auslegung noch zu unterstreichen, kehrt der Autofahrer am Ende der Folge zurück und hilft den Zaun zu erweitern, damit die Frösche nicht auf die Straße hüpfen.
Arborex und der Geheimbund KIM macht mehr als Kindern einfach nur Mut, ihre Stimme für den Umweltschutz zu erheben. Vielmehr präsentiert sich das Hörspiel als ein didaktischer Vorschlaghammer mit dem die intendierte Botschaft den ZuhörerInnen ins Gehirn geprügelt wird. Diesen wird klar vermittelt, es gilt, nicht zu den “Schweinen” zu gehören, zu denjenigen gegen die sich der unterschwellige und manchmal ganz offene Zorn der Jugendlichen richtet. Zudem erfahren KIM durch ihre Tätigkeit eine besondere Auszeichnung; Arborex die alte Eiche spricht mit ihnen und wird ihr Ratgeber und Anführer.
Mit Arborex wird sich Teil 2 dieses Beitrags befassen. Hier soll unter anderem gezeigt werden, wie Arborex nicht nur als König der Bäume, sondern besonders als sprechende Chronik inszeniert wird. Die Eiche wurzelt damit nicht nur in der Tiefe der Erde, sondern auch in der Tiefe der Zeit und steht damit ebenso für eine weiter Bedeutung von “radikal”: Ursprung.
Medien
“Mein Freund der Baum.” Arborex und der Geheimbund KIM. Karussel. 1985.
“Die Sache mit dem Tümpel.” Arborex und der Geheimbund KIM. Karussel. 1985.
“Das Bordfest auf der Britta.” Arborex und der Geheimbund KIM. Karussel. 1985.
“Spuk im Rittersaal.” Arborex und der Geheimbund KIM. Karussel. 1985.