Gender in Games
Nina Kiel beteiligt sich mit ihrer 2014 erschienenen Arbeit Gender In Games an einem aktuell kontrovers diskutierten Feld der Gaming-Debatte. Geschlechtsspezifische Rollenbilder in Videospielen sind unter anderem durch die Videoserie Tropes vs. Women in Video Games von Anita Sarkeesian in den Medien vielbeachtet.
Kiel untersucht in ihrem Text populäre Videospielklassiker von den 1970er Jahren bis zur Gegenwart, darunter so verschiedene Titel wie PacMan, God of War oder die Zelda– und Tomb Raider-Reihen. Ihre These ist, dass sich Videospiele inhaltlich parallel zu emanzipatorischen Prozessen in der Gesellschaft entwickelt haben. Die Darstellung geschlechtsspezifischer Stereotype in Spielen könne so abgenommen haben, weshalb Spiele unter anderem dazu beitragen könnten, den ‚gender gap‘ in technikorientierten Berufen zu verkleinern (S. 11). Um diese Thesen zu überprüfen, analysiert Kiel populäre Spiele und betrachtet deren Umgang mit Rollenbildern im Laufe der Zeit. Die Besprechung der Titel ist dabei ausgesprochen gründlich. Neben der Betrachtung der Spiele selbst werden Rezensionen, Werbemittel und Let’s Plays untersucht. Ergänzend zu den Analysen liefert Kiel außerdem interessante Statistiken und führt sechs Interviews mit Menschen aus der Spielebranche, welche einen guten Überblick über die Heterogenität in diesem Berufsfeld vermitteln.
Die Entwicklung der Rollenbilder in Videospielen
Die große zeitliche und thematische Bandbreite, die Kiel in ihren Analysen abdeckt, gibt einen guten Eindruck über die Entwicklung von Videospielen, nicht nur in technischer, sondern auch in thematischer Hinsicht. Während das 1972 erschienene Pong noch gar keine geschlechtlichen Figuren hat, differenziert sich die Bandbreite an spielbaren Männern und Frauen im Lauf der Zeit immer mehr aus. In God of War (seit 2005) spielt man den muskelbepackten und Götter emordenden Kriegsfürsten Kratos, in der Metroid-Reihe (seit 1986) die Weltraum-Kopfgeldjägerin Samus Aran und in Spielen wie der Mass Effect-Serie (seit 2007) hat man die Wahl, die Geschichte mit einem männlichen oder einer weiblichen Protagonistin zu erleben. Spielerische Varianz hat sich im Laufe der Videospielgeschichte auf den ersten Blick also sehr gut entwickelt. Kiel steigt mit ihren Analysen jedoch genau an diesem Punkt ein und wirft einen detaillierten Blick auf die Darstellung von Gender in Spielen. Viele der Punkte, die Kiel in ihrem Text anspricht, fallen dabei direkt ins Auge: Sowohl Männer als auch Frauen werden in Videospielen oft in starken Stereotypen dargestellt. Weibliche Spielfiguren seien überdurchschnittlich oft jung, hübsch und knapp bekleidet, Männer dagegen oft muskulös, athletisch und draufgängerisch (S. 99f). Kiel weist darauf hin, dass gerade im visuellen Medium des Computerspiels das Erscheinungsbild einer Figur eine direkte Verbindung zu deren Persönlichkeit habe (S. 100). Sie stellt gleichzeitig einen Qualitätsunterschied in der Darstellung fest: Während stereotype Rollenbilder weiblicher Charaktere oft negativ konnotiert sind, sind diese bei männlichen Charakteren meist positiver Art. Kiel spricht hierbei vom Unterschied zwischen Idealisierung und Objektifizierung (S. 103). Sie argumentiert, dass stereotype Merkmale männlicher Figuren oftmals eine Hervorhebung von positiven Charaktereigenschaften seien, etwa Mut, Willenskraft und Stärke, die sich dann auch in den Körper der Figur abzeichnen würden, etwa durch Größe, Jugendlichkeit oder gutem Aussehen. Bei weiblichen Figuren zeige sich dagegen eine Objektifizierung des Körpers, die oft mit dem Fehlen von individuellen Charaktereigenschaften einherginge. Die Unterscheidung in Idealisierung und Objektifizierung untermauert Kiel zusätzlich mit der Annahme, dass Videospiele (gerade stark beworbene Triple A-Titel) weiterhin primär für männliche Kunden konzipiert werden und der männliche Spielheld so oft zum Subjekt und weibliche Figuren zum Objekt werden. Die Gestaltung von Rollenbildern folge so oft dem ‚male gaze‘, dem männlichen Blick, der (nach ebenfalls stereotyper Auffassung) die Frau gerne als attraktive Jungfrau in Nöten und den Mann als Retter in glänzender Rüstung sehe.
Ambivalente Spielfiguren
In ihren Spielanalysen geht Kiel darauf ein, dass glücklicherweise nicht alle Darstellungen von Videospielfiguren eindimensional und ausschließlich klischeebehaftet sind. Am Beispiel der Tomb Raider-Reihe (seit 1996) zeigt sie sehr anschaulich, wie sich verschiedene Rollenbilder in einer Figur vermischen können und damit ein ambivalentes und widerstreitendes Gesamtkunstwerk ergeben. Lara Croft, die Protagonistin der Serie, ist längst zu einem festen Bestandteil der Populärkultur geworden und auch Nicht-Videospielern bestens bekannt. Zu ihrer Vita gehören unter anderem Auftritte in Kinofilmen, Musikvideos und Fernsehwerbungen. Würde man die Figur nur auf ihren Körper reduzieren, käme man gerade bei der Ursprungsversion von Lara Croft nicht umhin, von einem Sexobjekt zu reden. Überdimensionierte Brüste, eine anatomisch unmöglich knappe Taille, große Augen und knappe Kleidung sind ihre Markenzeichen. Doch natürlich ist dies nicht alles, was einem in den Sinn kommt, wenn man an die Abenteurerin denkt. Lara ist mutig, selbstbewusst, eigenverantwortlich, kampfbegabt und durchsetzungsfähig. Die hier aufgezählten Attribute werden von Spieler*innen auf die Spielfigur projiziert, Croft selbst ist eine Fläche für verschiedenste Vorstellungen. Ihr eigener Charakter ist von Haus aus äußerst karg gestaltet, in ihrer ersten Version ist sie die Nachfahrin eines britischen Adelshauses und auf Abenteuer aus – das ist es grundlegend auch schon. Erst mit dem aktuell erschienenen Reboot der Serie Tomb Raider (2013) hat die Figur eine ausführliche Entstehungsgeschichte geschrieben bekommen. In dieser wird der Fokus allerdings stark auf die Verletzlichkeit von Lara als junger Frau gelegt, welche den selbstsicheren Umgang mit ihrer Rolle erst noch lernen muss. In dem Maße, in dem die Protagonistin eine Persönlichkeit eingeschrieben bekommt, schwinden die Möglichkeiten der Spielenden, ihre eigenen Zuschreibungen auf die Figur anzuwenden. Die ‚neue‘ Lara Croft ist damit immer noch fraglos eine starke Heldin, bekommt aber gleichzeitig eindeutig weiblich konnotierte Züge, die immer mitgedacht werden müssen. Waren vorherige Versionen der Titelheldin durch ihre unrealistische Körperlichkeit auf der einen Seite ein eindeutig sexualisiertes Objekt, so war es auf der anderen Seite aber auch möglich, sie als vollkommen furchtlose und souveräne Actionheldin zu denken und zu spielen. Die Ambivalenz der Figur Lara Croft ist so über Versionsgrenzen hinweg stets gegeben, ob sie nun von den Spielenden oder von den Machern der Serie kreiert wird.
Selten genutzte Möglichkeiten
Im Fazit von Gender In Games wird festgestellt, dass Video- und Computerspiele als Spiegel sozialer Prozesse dienen können und ähnlich wie der aktuell immer noch nur bedingt fortgeschrittene emanzipatorische Prozess fragliche Rollenbilder reproduzieren (S. 99). Positiv festzuhalten ist nach Kiel, dass es durchaus progressive und weitestgehend klischeefreie Darstellungen von Männern und Frauen in Videospielen gibt. Gelobt werden dafür etwa die Hauptfigur Faith aus Mirror’s Edge (2008) oder die bereits erwähnte Jane Shepard aus Mass Effect. Bei Faith hat man es mit einer starken und athletischen Hauptfigur zu tun, die ganz klar der souveräne Part des Spiels ist. Unterstützt wird sie dabei von einem männlichen Informanten, der in einer klar unterstützenden Rolle den Überblick über die Spielwelt behält. So findet eine Umkehrung der ansonsten üblichen Muster statt, in denen der männliche Hauptheld meist passive weibliche Helferfiguren zur Seite gestellt bekommt. Im Fall von Mass Effect hat man es mit einem der seltenen Fälle zu tun, in denen sich der männliche oder die weibliche Protagonistin ohne große charakterliche Unterschiede spielen lassen. Die spielende Person hat die Wahl, in welchem Geschlecht er die drei Teile der Serie durchspielen möchte. Im Verhalten der gewählten Person ändert sich dabei wenig. Weder ist Jane emotionaler, intelligenter oder zögerlicher als ihr männlicher Konterpart, noch ist John Shepard aggressiver, forscher oder stumpfer als sein weibliches Gegenstück.
Dass diese innovativen und klischeevermeidenden Darstellungen von Geschlechtern in Videospielen noch eine Seltenheit sind, darf bemängelt werden. Kiel weist zum Abschluss ihrer Analyse zurecht darauf hin, dass die Hälfte der aktuellen Spielerschaft weiblich ist, diese aber nicht angemessen in Spielen repräsentiert wird (S. 104). Gender In Games legt vielleicht auch aus diesem Grund seinen Schwerpunkt auf die Darstellung von Frauen in Videospielen. Ein Kritikpunkt, den man deswegen diskutieren kann, ist die etwas einseitige Fokusierung auf nur ein Geschlecht. Die Darstellung von Männerrollen wird von Kiel weitaus weniger problematisch dargestellt und unter dem Verweis auf die oben besprochene Idealisierung von männlichen Rollen stellenweise zu sehr vereinfacht. Es stellt sich die Frage, ob nicht auch eine ständige Idealisierung von (männlichen oder weiblichen) Rollenbildern eine klischeehafte Verengung darstellt. Wünschenswert wäre eine vielfältige und individuelle Bandbreite von Videospielfiguren, in denen sich alle Spieler und Spielerinnen wiederfinden können und die gleichzeitig auch die Möglichkeit bieten, neue Rollenbilder kennen zu lernen. Eine Analyse in dieser Breite hätte jedoch auch schnell den Rahmen des Textes sprengen können. Kiels Arbeit konzentriert sich auf die weitaus unfertigere Baustelle der laufenden Diskussion, auf die Darstellung von Weiblichkeit im Computerspiel. Gender In Games ist eine sehr gute Möglichkeit, um mit einem übersichtlichen Text anhand vieler Beispiele, Übersichten und Interviews in dieses dringend benötigte Gespräch einzusteigen.
Nina Kiel kann man hier auf Twitter folgen.
Medien
Kiel, Nina (2014): Gender In Games. Geschlechtsspezifische Rollenbilder in zeitgenössischen Action-Adventures. Verlag Dr. Kovač: Hamburg. Buch.
Sarkeesian, Anita (2014): Tropes vs Women in Video Games. URL: https://www.youtube.com/playlist?list=PLn4ob_5_ttEaA_vc8F3fjzE62esf9yP61. [Letzter Zugriff: 16.04.2014]. Youtube-Videos.