Brummps

Es summt und brummt und wummst ordentlich in Dita Zipfels neuem Roman Brummps. Sie nannten ihn Ameise (2022). Der in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Protagonist ist „Jonny. Jonny Ameise“ (S. 7) Jonny lebt zwar unter Ameisen, ist aber eigentlich ein verkannter Mistkäfer. Und obwohl er sprachlich fast wie ein cooler James Bond eingeführt wird, steckt er bereits auf der ersten Seite der Geschichte wortwörtlich in der Scheiße, nämlich kopfüber in „ziemlich zäher Fuchskacke.“ (S. 7) Die begleitende Illustration setzt das Malheur plastisch ins Bild (eine Leseprobe findet sich auf der Seite des Verlags). Schnell zeigt sich, dass Jonny alles andere als ein tougher Held ist – auch wenn der Untertitel des Romans an die Bud Spencer Actionkomödie Sie nannten ihn Mücke erinnert. So werden bereits am Beginn verschiedene starke Heldenfiguren zitiert, mit denen Jonny Ameise aber wenig gemeinsam hat. Er ist vielmehr eine Figur in der Tradition des tollpatschigen Außenseiters, der nicht richtig dazugehört.

Leben unter Ameisen

Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ist Jonny in der Ameisenkolonie gelandet und wurde von der Königin fälschlicherweise als Ameise aufgenommen:

Dass Queen Mama selber noch im selben Moment ihre Zweifel bekommen haben muss, ist auch klar. Wie kann es sonst sein, dass sie Jonny nicht … von mir aus Schwester Bums oder so getauft hat, sondern eben: Jonny. Jonny. A. Das ist so ein Problem mit Königinnen: Sie sind unfehlbar. Das heißt, sie machen keine Fehler. Einfach nie. Und wenn doch, wie in diesem Fall, dann können sie es auf keinen Fall zugeben, weil sie ja Königinnen und unfehlbar sind. Is so.

S. 17

Jonny lebt nun also bei den Ameisen, aber nicht wirklich mit ihnen. Dennoch hält er sich selbst für eine Ameise und hadert damit, nicht das gleiche zu können wie die anderen.

Innen und Außen der Kolonie

Räumlich muss Jonny außerhalb der Kolonie bleiben, da er zu groß für das Innere des Hügels ist. Die topographische Randstellung verweist so auf seine soziale Randstellung innerhalb der Ameisengesellschaft. Seine einzige Freundin ist Butz, nicht zufällig die einzige Ameise, die einen eigenen Namen trägt und nicht „nur Schwester genannt wurde“ (25). Butz und Brummps, mit ihren dazu lautlich klangvollen Namen, bilden ein eingeschworenes Duo, das sich gegenseitig Halt gibt. Die Freundschaft der beiden Figuren wird besonders wichtig, als es zu einem tragischen Zwischenfall kommt.

Brummps Transformation

Jonny hat schon seit längerer Zeit bemerkt, dass ihn immer wieder ein unkontrollierbares Zittern und Brummen durchfährt – das titelgebende Brummps. Als es dabei nun zu einem Unfall kommt, bei dem ein Ameisenbaby ein Bein verliert, flüchtet Jonny in den Wald. Butz begleitet ihn und gemeinsam finden sie heraus, dass Jonny eigentlich ein Mistkäfer ist. Es kommt schließlich zu einem tänzelnden Balztanz mit einem weiblichen Mistkäfer sowie einem Showdown mit einer Blaumeise, bei dem Jonny sich bewähren muss und die Qualität seiner Fähigkeiten anerkennt: „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass eine Schwäche vielleicht eine Stärke am falschen Ort ist?“ (S. 113)

Der Wald spricht

Erzählt wird die Geschichte von einer überblickenden Erzählinstanz, die sich nach und nach als Wald zu erkennen gibt: „Ich bin groß und unsichtbar, ich bin stumm und zwitschere.“ (S. 27) Dies erweist sich als gewitzter Kniff, denn der allwissende Wald ist nicht nur über alle Ereignisse informiert, sondern fühlt auch unmittelbar das Erleben seiner Tiere und Pflanzen nach. So lädt die erzählerische Konstruktion einerseits dazu ein, die Wahrnehmungsperspektive von Jonny erlebbar zu machen. Andererseits bietet sie auch das Spielfeld für einige metafiktionale Formen, die das Dasein von Erzählinstanzen reflektieren:

„Ich wusste zu dem Zeitpunkt natürlich längst Bescheid. Aber das ist mein Problem: Ich kann bei allem immer nur zusehen.“

S. 15

Immer wieder werden die Lesenden außerdem direkt angesprochen und deren Rezeptionshaltung von der Erzählinstanz kommentiert: „Äh, ja. Du hast dich nicht verlesen. Der sympathische Typ hier heißt Ameise. Jonny Ameise. Und, du siehst es selbst: Er ist nicht wie die anderen.“ (S. 12)

Brummps, Ende, Aus

Großartig untermalt wird das Geschehen durch die kräftigen Illustrationen von Bea Davies, die immer wieder ergänzende Informationen liefern und sich symbiotisch mit dem Schrifttext verbinden. Nicht zufällig verweist die Erzählinstanz in dem vorherigen Zitat gerade auf die Abbildungen, die schon früher als der Schrifttext aufdecken, dass Jonny keine Ameise ist. Der Kinderroman Brummps erzählt im Grunde eine klassische Außenseiter-Geschichte, kann dieser aber in der ungewöhnlichen Erzählkonstruktion sowie der sprachgewaltigen und wortverliebten Gestaltung interessante neue Seiten abgewinnen. Jeder Satz lädt dazu ein, die Geschichte laut vorzulesen, damit die Sprache ihre volle Wucht entfalten kann: „‚Du bist mein Problem, du plappernde Oll-meise!‘ Oberbossi dreht sich zu den anderen Bossis. ‚Checkt ihr? Oll wegen oll. Zu-nix-zu-gebrauchen-oll, ab-in-den-Eimer-oll, Oll-meise. Gerade ausgedacht.‘“ (S. 64)

Literatur

Zipfel, Dita: Brummps. Sie nannten ihn Ameise. Illustriert von Bea Davies. München: Hanser 2022.

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