Martin Gülich lässt seinen im Februar 2015 im Thienemann-Verlag erschienenen Jugendroman Entschuldigen ist nicht mein Ding auf einer kleinen Insel in der Ostsee spielen, schlimmer noch, auf einer Insel, die in erster Linie ein Kurort für Atemwegserkrankungen ist. Unter einer passenden Szenerie für eine Geschichte über junge Leute würde man sich etwas anderes vorstellen. Umso unverbrauchter erscheint die Ortswahl, die nach Aussage des Autors bereits getroffen war, bevor eine Geschichte zu den beiden Hauptfiguren Seb und Kim existierte. Beide Charaktere, so Gülich im vom Thienemann-Verlag durchgeführten Interview, fühlen sich auf der Insel fehl am Platz. Seb begleitet seine Mutter in den ‚Urlaub‘, eine euphemistische Umschreibung für die immer wiederkehrenden Kuraufenthalte der Asthmakranken. Kim besucht das Inselinternat, welches von ihr als eine Lagerstelle für störende Kinder betuchter Eltern beschrieben wird und so ganz offensichtlich kein Ort für das unangepasste Mädchen ist. Als die beiden sich schließlich in den Dünen der Insel begegnen, ist es zwar alles andere als Liebe auf den ersten Blick, aber dennoch viel interessanter als alles, was sonst an diesem Ort geschieht.
Typische Erzählstränge in untypischer Auserzählung
Vieles Stellen in Entschuldigen ist nicht mein Ding passen auf den ersten Blick wie die Faust aufs Auge in einen Jugendroman. Seb ist auf der ereignisarmen Insel in erster Linie auf der Suche nach Mädchen in seinem Alter, da kommt ihm Kim gerade recht, auch wenn diese erst einmal so gar nicht sein Typ ist. Auch Kim scheint Interesse an Seb zu haben, allein schon, weil er nicht aus dem Internat ist, dessen andere Schüler sie nicht leiden kann. Der Grundstein für eine typische Urlaubsromanze mit viel emotionalem Schmerz bei der unvermeidlichen Trennung wäre damit gelegt. Da Seb zu Beginn der Erzählung auch noch eine sehr hübsche jugendliche Kantinenaushilfe erwähnt, scheint das Drama vorprogrammiert. Das Internat von Kim böte einen weiteren typischen Erzählstrang: Nächtliche Ausbrüche von Kim, nervige und störende Internatler, unsympathische Lehrer.
Auf die Art, wie Gülich für sein Werk einen ungewöhnlichen Ort wählt, entscheidet er sich glücklicherweise auch für untypische Verläufe seiner Erzählstränge. Kim und Seb kommen keinesfalls auf den Wegen einer typischen Jugendromanze zueinander, im Gegenteil, zu Beginn herrscht scheinbar keinerlei Chemie zwischen den beiden. Ihre erste zufällige Begegnung findet in den Dünen hinter dem Strand statt und wird von Seb per (theoretischer und nie abgeschickter) Textnachricht an seine Freunde folgendermaßen zusammengefasst: „Hallo Kai, hallo Phil, ich habe heute ein ziemlich unsüßes Mädchen am Meer getroffen. Sie hat mich angepampt und ist dann die Düne runtergerollt. Morgen küsse ich sie“ (S. 27). Doch obwohl Kim nicht das Mädchen aus Sebs Träumen ist, hat ihre Begegnung genug Eindruck auf ihn hinterlassen, dass er schon am nächsten Tag damit beginnt, nach ihr Ausschau zu halten. Die Beziehung der beiden wird mit weiteren Erzählsträngen verflochten: Kim kümmert sich etwa um den Einsiedler Karl, welcher an der Südspitze der Insel in einer mit Brettern aufgemöbelten Höhle lebt. Sie versorgt ihn mit Lebensmitteln und anderen wichtigen Dingen und scheint in ihm im Gegenzug eine wichtige Ansprechperson zu sehen. Da nicht jeder auf der Insel die Anwesenheit des Obdachlosen schätzt, kommt es irgendwann zu unvermeidlichen Problemen. Karl wird von einer Gruppe von Personen zusammengeschlagen und Kim will diese Tat aufklären. Um nicht zu viel zu verraten, soll hier nur erwähnt werden, dass sich die Haupthandlung der Beziehung zwischen Kim und Seb damit zusätzlich mit einer Detektivgeschichte vermischt, die an typische Fälle der TKKG erinnert. Durch diese Kombination weicht das Erzählmuster in erfrischender Weise von dem des typischen “Erste Liebe”-Jugendromans ab, ohne dabei aber ins absurd Komische oder Unrealistische abzurutschen.
Bekannte Charaktere mit einer Prise Progressivität
Zugegeben, unterschiedliche und andersartige Charaktere, die nach anfänglichen Startschwierigkeiten zusammenfinden und dann doch toll zusammenpassen, sind in der Jugendliteratur nichts Außergewöhnliches. In Entschuldigen ist nicht mein Ding zeigt Gülich aber sein Geschick in der Erschaffung von Figuren, die sich ‚echt‘ anfühlen: Weder sind Seb, Kim und alle Nebenfiguren reine Abziehbildchen oder Klischees, noch sind sie ausschließlich alternative Gegenentwürfe zu diesen bekannten Normen. Der Mix macht das Besondere des Textes aus und gelingt ausgesprochen gut.
Seb hat beispielsweise sehr wenig Erfahrungen mit Mädchen, wie er gleich zu Beginn der Erzählung eingesteht:
Bislang hatte ich in meinem Leben drei Mädchen geküsst, Sarah, Leonie und Laura, und ich hatte gegenüber Kai und Phil getönt, dass ich auf der Insel mindestens zwei neue klarmachen würde. Dabei zählte von den Mädchen, die ich geküsst hatte, in Wahrheit nur Laura, mit der ich nach unserem ersten Kuss immerhin zweieinhalb Wochen gegangen war. Die anderen waren nicht mehr als Party-Kuss-Geschichten, noch dazu beide auf derselben Party […] (S. 13f).
Seine Motivation zu Beginn der Handlung ist dann auch prototypisch pubertär davon getrieben, in seinem Urlaub eine ausreichende Anzahl an Mädchen zu küssen (und gerne auch mehr). Schnell jedoch wandelt sich diese Einstellung in eine deutlich reflektiertere Betrachtungsweise. Das Thema wird ihm derart unwichtig, dass er auf die Berichte seiner Freunde („Jakob war übrigens in der Türkei mit einer im Bett“ (S. 106) gar nicht mehr reagiert. Diese Wandlung läuft nicht nur durch äußere Einflüsse, vor allem in seiner Beziehung zu Kim ab, sondern auch aus Sebs eigenem Wesen. Als sich ein attraktives Mädchen, für das er schwärmt, spöttisch über die vielen Asthmakranken der Insel äußert, verliert sie für ihn sofort an Anziehung: „Gut, süß war sie noch immer, irgendwie jedenfalls, und ich versuchte mich kurz mit dem Bild von ihren hellen Flaumhärchen auf dem gebräunten Stück Rücken, den sie mir zugewandt hatte, abzulenken, aber so richtig schaffte ich es nicht“ (S. 34f).
Auch Kim ist als vielschichtige Figur angelegt: Sie ist impulsiv und ihre Stimmungen wechseln zwischen offener Spontanität und unnahbarer Verschlossenheit. Nie jedoch bekommt man als Leser den Eindruck, dass ihre Stimmungsschwankungen unerklärlich sind oder nur den Notwendigkeiten der Handlung folgen. Vielmehr baut Gülich ihr Wesen als eine glaubhafte und nachvollziehbare Entäußerung ihrer Biographie auf – als Schülerin eines Internats, auf dem sie sich nicht zugehörig fühlt, als Tochter reicher Eltern, denen sie sich entfremdet fühlt und als Teenagerin, die aktiv auf der Suche nach einer eigenen Identität ist und diese auf dem sehr begrenzten Raum der Kurinsel betreiben muss.
Das nachvollziehbar Andere
Aus der Vermischung von Bekanntem und Alternativem ergibt sich im Ergebnis eine lesenswerte Geschichte. Gerade jugendliche Leser dürften das so gerne geforderte Identifikationspotential in Figuren, Ereignissen und Gefühlen finden, allerdings ohne gleichzeitig nur eine folienhafte Handlung vorgesetzt zu bekommen. Weder sind die Figuren von Entschuldigen ist nicht mein Ding die oft besprochenen ‚leeren Gefäße‘, in denen sich alle Lesenden problemlos wiederfinden können, noch ist die Handlung generisch oder vorausschaubar. Auf der anderen Seite aber bleibt stets ein Gefühl des nachvollziehbaren Realismus in allen Handlungen und Gesprächen. Der von Gülich als für die Geschichte zentral markierte Ort der Ferieninsel spiegelt so die Grundstruktur der Erzählung wieder: Die Insel ist nicht alltäglich, sie birgt das Potential für das Überraschende und Außergewöhnliche in sich, ist aber gleichzeitig weder exotisch, noch unvorstellbar. Mit dem Text selbst verhält es sich ebenso und genau dies macht ihn zu einem interessanten und stimmigen Leseerlebnis.
Medien
Gülich, Martin: Entschuldigen ist nicht mein Ding. Stuttgart: Thienemann 2015. Roman.
Gülich, Martin: Ein Ausflug in die Jugendliteratur? URL: http://www.thienemann-esslinger.de/thienemann/extras-events/geschichten-detail/ein-ausflug-in-die-jugendliteratur/ [Letzter Zugriff: 21.05.2015]. Internetseite.