David Levithans Letztendlich sind wir dem Universum egal ist eine gleichermaßen gewöhnliche wie auch außergewöhnliche Geschichte. Die außergewöhnliche Ausgangssituation in aller Kürze: A ist ein Teenager, welcher jeden Morgen aufs Neue im Körper einer (stets etwa gleichalten) zufälligen anderen Person aufwacht. Er überlagert dabei das Bewusstsein dieser Person, kann auf ihre Erinnerungen und Emotionen zugreifen und ihre Körper steuern. As Empfindungen und Gedanken sind dabei seine eigenen, er ist ein fühlendes Ich, welches sich selbst bewusst ist. Für ihn ist dieses besondere Leben ganz normal, er kennt es nicht anders. Das er anders ist als die Menschen um ihn herum ist ihm im Laufe seines Lebens zwar bewusst geworden, doch fehlt ihm die Empathie, um sich in einen anderen Zustand einzudenken.
Was in dieser Beschreibung sehr kafkaesk wirkt, wird nun mit der eigentlichen (und im Grunde gewöhnlichen) Haupthandlung des Romans verbunden: A trifft auf Rhiannon und verliebt sich in sie. Er steckt an diesem Tag im Körper ihres Freundes und entscheidet sich dafür, sich ihr gegenüber so zu benehmen, wie er sich als A verhalten würde (normalerweise ist er stets bemüht, dass von ihm antizipierte Benehmen der Person zu imitieren, in dessen Körper er steckt). Nach diesem Tag und wieder in einem anderen Körper steckend, möchte A sich nicht damit abfinden, dass sie aus seinem Leben verschwunden ist. Er beginnt, sie immer wieder aufzuspüren und nimmt dafür in Kauf, die Leben der Menschen, in denen er steckt, für einen Tag gehörig aus der Bahn zu werfen.
Das Besondere im Normalen
Das Levithans Roman mit dieser Ausgangslage kein normaler Jugendroman werden kann, leuchtet ein. Tatsächlich aber wird im ersten Kapitel eine ganz typische Liebesgeschichte eingeführt. Fast schon klischeehaft wird das erste Aufeinandertreffen von Rhinannon und A beschrieben: „In ihr steckt so viel, von dem ich wissen will. Und zugleich habe ich bei jedem unserer Worte das Gefühl, dass womöglich etwas in ihr steckt, von dem ich schon weiß. Wenn ich bis dahin komme, werden wir einander erkennen. Das werden wir.“ (S. 22f) Die Konventionen des Stils und der Inhalte eines Liebesromans für Jugendliche wirken wie ein zusätzlicher Katalysator für As besonderes Leben. Alles wäre ganz normal, würde A nicht jeden Tag in einer neuen Person aufwachen und sein wahres Ich vor seinen Mitmenschen geheim halten müssen. Seine Situation ist für ihn besonders an diesem Tag nur schwer hinzunehmen: „Ich bin es leid, nichts zu fühlen. Ich bin es leid, mich nicht einzuklinken. Ich will hier bei ihr sein. Ich will der sein, der ihren Hoffnungen gerecht wird, auch wenn meine Zeit begrenzt ist.“ (S. 25) Bei ihrem ersten Treffen reißen Rhinannon und A (als Justin) aus, schwänzen die Schule und verbringen einen Tag am Strand, unterhalten sich lange, machen rum und haben Spaß. Die Szene wird vom Text bewusst ambivalent gestaltet. Auf der einen Seite ist der heimliche Strandausflug des jugendlichen Pärchens ein häufig anzutreffender Topos in Jugendromanen und damit nichts Besonderes. Auf der anderen Seite ist das Ereignis für beide Figuren außergewöhnlich: Für A, weil er sich ansonsten nie auf eine andere Person einlässt und für Rhiannon, weil Justin sonst nie emotional und enthusiastisch ist und ihre Beziehung eigentlich nicht gut läuft.
Die Vermischung von Normalität und Besonderheit zieht sich durch den gesamten Text. A entschließt sich nach einigen anonymen Besuchen, Rhiannon in sein Geheimnis einzuweihen. Nach einiger Überzeugungsarbeit glaubt sie ihm und verliebt sich ebenfalls in A. Ab diesem Zeitpunkt sind die beiden bemüht, eine irgendwie funktionierende Beziehung zum Laufen zu bringen. Der Versuch, Normalität aufzubauen, wird dabei immer wieder durch die außergewöhnlichen Umstände verhindert. So wacht A an manchen Tagen zu weit von Rhiannon entfernt auf, um zu ihr fahren zu können. An anderen Tagen verhindern erschwerende Umstände von As Körpern, wie familiäre Verpflichtungen oder Drogenabhängigkeit, dass die beiden sich sehen können. Auch von ihrer Seite ist die Situation kompliziert, etwa dadurch, dass sie weiterhin mit Justin zusammen ist. Eine gewöhnliche Beziehung, das wissen beide Figuren, wird sich niemals realisieren lassen. Dass sie es trotzdem probieren, macht einen guten Teil der Spannung dieses Textes aus.
Das Normale im Besonderen
David Levithan behandelt in seinem Roman zentrale identitässtiftende Konzepte. Die Figurenkonstellation erlaubt ihm, über Themen wie Individualität, Geschlecht und sexuelle Orientierung frei und innovativ zu schreiben. In A findet sich eine Projektionsfläche für alle nur denkbaren Persönlichkeitskonzeptionen. Leser tendieren wahrscheinlich dazu, A als männlich anzusehen, da er sich im ersten Kapitel eben im Körper eines Jungen befindet und sich in ein Mädchen verliebt. A selbst empfindet sich jedoch -so legen es seine Aussagen nahe- als wechselnd geschlechtlich, immer verbunden mit dem Körper, in dem er gerade aufwacht. Auch mir ging es so, A den gesamten Roman über als Jungen zu lesen (und ihn in diesem Artikel konsequent als männlich zu deklinieren), eben, weil die Ausgangssituation dieses Rollenbild festzulegen scheint. Das Buch lehrt mich als praktisches Beispiel, dass ich mich von meinen verankerten Wahrnehmungen schwerer lösen kann, als es mir lieb ist.
Auch die Figur Rhiannon sieht A scheinbar als heterosexuellen Jungen. Als die beiden sich in einer späteren Szene treffen, befindet sich A im Körper von Kelsea. Es kommt zu einem Kuss, der für sie aus mehreren Gründen problematisch ist: „Weil du ein Mädchen bist? Weil ich immer noch einen Freund habe? […]“ (S. 166) Rhiannon hat im Laufe der Erzählung immer wieder Probleme damit, sich auf die wechselnden Körper von A einzulassen. Dies macht sie zu einer glaubhafteren Figur und schürt einen dauerhaft präsenten Konflikt des Liebespaares. Während A stets aus einer Innensicht argumentiert und darauf beharrt, dass es letztlich doch immer er selbst ist, der agiert, sieht Rhiannon jeden Tag eine neue Form vor sich und kann sich nie ganz von dieser lösen. Gegenüber A in weiblichen Körpern verhält sie sich sichtbar anders.
Die Diskussion um Geschlecht, Gender und sexuelle Orientierung wird auf vielfältige Weise geführt und kritisch hinterfragt: A selbst steckt in männlichen, weiblichen und transgender Menschen. Im Laufe der Erzählung schlüpft er in Personen, die hetero-, homo- und bisexuell sind, mal mit funktionierenden Beziehungen, mal mit problematischen Verhältnissen, mal als glücklicher Single und mal auf der Suche nach jemand anderem. Sowohl As als auch Rhiannons Umgang mit all diesen vielfältigen Konstellationen ist alles andere als perfekt. Während A durch seine besondere Verfassung eine fast schon naive Fixierung auf die inneren Werte einer Person hat und jegliche Äußerlichkeiten komplett ausblendet, ist Rhiannon zwar eindeutig um eine offene und tolerante Haltung bemüht, wird aber durch die extreme Situation immer wieder an ihre Grenzen geführt und kann sich nicht aus ihrem Weltbild lösen. Dies zeigt sich etwa, als A ihr von seiner ersten und bis dorthin einzigen Liebe erzählt, einem Jungen namens Brennan, den A selbst im Körper eines Jungen kennenlernt.
„Oh – das heißt, du warst ein Junge?“
„Ja“, sage ich. „Spielt das eine Rolle?“
„Nein“, sagt sie. „Ich denke mal nicht.“ Aber ich sehe ihr an, dass es doch eine Rolle spielt. Ein kleines bisschen. Ihr geistiges Bild von mir muss ein weiteres Mal zurechtgerückt werden. (S. 197)
Dass beide Figuren Probleme haben, die Sicht der anderen Person vollständig zu verstehen und diese auch nicht übernehmen wollen, verleiht der Geschichte eine zusätzliche Glaubwürdigkeit. Die beiden sind 16 Jahre alt und verhalten sich so reflektiert und tolerant, wie sie es eben können. Gerade As Fixierung auf innere Werte, welche leicht auch als Versuch einer didaktischen Moralisierung gelesen werden könnte, kann vielmehr als glaubhafte Sichtweise gesehen werden, die aus seinem Aufwachsen und seiner Sozialisation entstanden ist.
Die weite Welt der Lebensentwürfe
A ist ein Einzelgänger. Er wechselt seit er denken kann täglich seinen Körper und kehrt selten zu jemandem zurück. Er hat nie jemanden kennengelernt, dem es genauso ging. A hat gelernt, sein Leben zu leben, wie es andere Menschen auch tun. Er ist nichts anderes gewöhnt und ist sich daher zwar seinem Sonderstatus bewusst, empfindet ihn für sich selbst aber nicht als unnatürlich. Aus diesem Grund hadert er auch nicht mit seinem Schicksal, sondern hat sich an die Verhältnisse angepasst und lebt in ihnen, so gut es eben geht. Erst sein Wunsch, dauerhaft mit Rhiannon zusammen zu sein, ändert diese Einstellung und lässt ihn nach Auswegen suchen.
Die Figur A kann als symbolischer Diskursgegenstand für die vielen anderen Rollenbilder der Erzählung gelesen werden. As Leben kann man in Hinsicht auf den gesellschaftlichen Status Quo als außergewöhnliche Abweichung lesen. Er selbst kann mit dieser Lebensweise gut leben und findet im Laufe der Handlung sowohl Personen, die ihn verstehen und sich auf ihn einlassen, als auch Personen, die sich vor ihm ängstigen. Geführt wird ein Diskurs zu Normativität und deren Akzeptanz und Ablehnung. A als Symbol dieses Diskurses findet sich im Text wiederholt in Lebensentwürfen wieder, die der Leserschaft bekannt sein dürften. Eine kleine Auswahl zeigt die Varianz, die durchgespielt wird: A ist Hugo, der seit einem Jahr mit Austin zusammen ist. Die beiden besuchen zusammen eine Gay Pride Parade und reden dort über ihre kriselnde, aber ihnen rettenswert erscheinende Beziehung. A ist Margaret, die so sehr an ihrem Freund hängt, dass es A schwer fällt, an seinem Tag mit ihr genug Enthusiasmus und Liebe vorzuspielen. A ist Ashley, die aussieht wie Beyoncé, deren Leben aber von beinahe neurotischen Ess- und Trainingsregeln durchzogen ist. A ist Vic, „vom biologischen Standpunkt aus weiblich, vom Rollenverständnis her männlich“ (S. 314) und in einer gut funktionierenden Beziehung mit Dawn, seiner langjährigen Freundin und nun Partnerin.
Die Lebensentwürfe, die Levithan in seinem Roman präsentiert, rücken immer nur kurz in den Fokus, der Leser folgt ihnen in der Person von A für genau einen Tag, der mal mehr und mal weniger ausgeführt ist. A behält sich gegenüber seinen Wirten eine offene Grundhaltung und ist bemüht, deren Einstellungen gerecht zu werden. Dass das Buch sich nicht zu sehr wie ein Didaktik-Lesebuch zu Toleranz liest, liegt wie besprochen an den vielen Fehlern und Unzulänglichkeiten im Verhalten der Figuren. A selbst kann missgünstig und egoistisch sein, versucht etwa, Justin und Rhiannon auseinanderzubringen. Rhiannon achtet auf Äußerlichkeiten und kann zum Beispiel nicht damit umgehen, als A im Körper des extrem übergewichtigen Finn auftaucht.
Letztendlich sind wir dem Universum egal schafft es, dass man sich lesend auf neue Wissensinhalte und Lebensentwürfe einlässt. Der Roman hat dabei recht offensichtlich ein Anliegen, vermittelt dieses aber auf eine kreative, motivierende und glaubhafte Weise. Anders als vielleicht in einem Problemroman für Jugendliche kommt nicht das Gefühl auf, Lerninhalte mit einem erhobenen Zeigefinger eingetrichtert zu bekommen.
Kafka trifft Jugendroman
As Zustand im Roman ist einfach gegeben. Er weiß nicht, wieso er ist, wie er ist und niemand anderes ist da, um es ihm zu erklären. Das phantastische Element des Körperwechsels wird fraglos in eine ansonsten real gezeichnete Welt gesetzt und von den eingeweihten Figuren nach anfänglichem Zweifel fraglos akzeptiert. Aufgrund des unvermittelten Anfangs stellt sich während des Lesens schon früh die Frage, wie diese Geschichte enden kann. Ein Happily-ever-after-Ende erscheint aufgrund der Ausgangslage mehr als unwahrscheinlich und ein tragischer Ausgang wird im Text mehr als nur einmal angedeutet. Die am Ende gewählte Lösung (die an dieser Stelle natürlich nicht besprochen werden soll) kann auf vielfältige Weise gedeutet werden. Es ist mit der Bewertung des Endes auch die Frage verbunden, wie die kafkaesk wirkende Handlung bis zum Ende mit dem typischen Ablauf eines Jugendromans verbunden werden kann. Meiner Ansicht nach zeigt sich im Ende des Romans eine Diskrepanz zwischen den weiteren Lebenswegen von A und Rhiannon. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass Levithan sowohl ein typisch kafkaeskes- und ein typisches Jugendroman-Ende schreiben wollte. Handwerklich ist gegen diese Wahl kaum etwas zu sagen, doch die Aussage des Romans wird dadurch meiner Meinung nach verändert. Statt diesen Punkt jedoch unter Nutzung unzähliger Spoiler auszuführen, würde ich an dieser Stelle lieber schließen und mich über eine Diskussion in den Kommentaren freuen.
Literatur
Levithan, David: Letztendlich sind wir dem Universum egal. Aus dem Amerikanischen von Martina Tichy. 2. Auflage. Frankfurt am Main 2014. Roman.