Von Menschen, Liebe, Feigheit und Angst
Die Handlung von Krimis und Thrillern bewegt sich oft zwischen zwei Polen, dem Bekannten und dem noch Unbekannten, der Wahrheit, die langsam und oft auch unangenehm im Laufe der Ermittlungen hinter dem Bekannten auftaucht. Was dort zum Vorschein kommt sind nicht selten nur der Mörder, sondern vor allem auch die Motive, die zwischenmenschlichen Abgründe.
Abgründe
Simone Veenstras Roman Du stirbst in meinem Herzen nicht schafft es, ein interessantes Bild von Ebersmühle, einer Berggemeinde, zu zeichnen, in der sich eben jene Abgründe andeuten und Neugier auf Entdeckung wecken. Da wäre zum Beispiel Lehrerin Karst, die einfach über die Aussichtsplattform des Rabenstein gelaufen ist und nun im Rollstuhl sitzt und nicht mehr spricht. Oder Reporter Eddie, der in der Wolfshöhle zu Tode stürzte und von einem Stalagmiten aufgespießt wurde. Dass all diese Geschehnisse auf ein düsteres Dahinter verweisen, wird schon auf den ersten Seiten deutlich. Denn im Wald steht die Rote Marter, eine Gedenkstätte für eine Erntehelferin Namens Maria, die einst von Wegelagerern überfallen und mit der eigenen Sichel getötet wurde. So die Geschichte, die sich erzählt wird. Doch Piet, Vater von Protagonistin Mara, hatte eine eigene Version der Vorgänge. Bei einem Spaziergang durch den Wald erinnert sich Mara daran, dass ihr Vater glaubte, dass Maria schwanger war und vom ungewollten Kindesvater ermordet wurde. “Menschen machen komische Dinge aus Liebe. Und noch viel komischere aus Feigheit und Angst.”(17)
Piets Aussage wird zum weisen Leitspruch für seine Tochter. Denn Piet ist tot, beim Unfall eines Busses, den er als Busfahrer gefahren hatte, ums Leben gekommen. Nun ist es an ihr, die offizielle Geschichte anzuzweifeln und das Gespann aus Liebe, Feigheit und Angst hinter dem Tod ihres Vaters zu enthüllen.
Aufklärerin und Täterin
Veenstra beleuchtet das Wechselspiel von Bekanntem und Unbekanntem auf zweifache Weise. Einmal in Bezug auf die Tode und Unfälle in Ebersmühle. Außerdem jedoch mit Fokus auf die Diskrepanz zwischen dem wie man Menschen wahrnimmt und dem was sie denken oder fühlen. So trifft Mara direkt am Anfang des Romans Jonah, der neu in die Gegend gezogen ist. Obwohl die meisten Kapitel von Mara erzählt werden, gibt es imm er wieder Kapitel die Jonahs Perspektive auf die Geschehnisse beleuchten. Schnell wird klar, dass Maras Eindrücke von Jonah und wie sie seine Handlungen und Aussagen interpretiert, selten mit dem übereinstimmen, was tatsächlich in ihrem neuen Mitschüler vorgeht. Der Roman verdeutlicht auf diese Weise anschaulich, wie persönlich gefärbt Einschätzungen meist sind. Wenig hilfreich ist, dass sich Maras beste Freundin Sanna in Jonah verliebt, was Mara zwingt ihre Gefühle zu unterdrücken und Jonah falsche Signale zu senden.
Mara ist damit gleichzeitig Aufklärerin und Täterin. Sie versucht den Grund für den Tod ihres Vaters zu enthüllen, während sie ihre aufkeimende Beziehung zu Jonah vor der besten Freundin zu verhüllen sucht und diese belügt, aus Angst deren Gefühle zu verletzen. Aber vielleicht auch aus Feigheit vor der Auseinandersetzung.
Insgesamt ein wenig zu brav
Trotz der herrlich schaurigen und lockend gefährlichen Atmosphäre, die der Roman zu Anfang aufbaut und der angenehm undramatischen Freundschaft und Romanze der Protagonisten, kann der Roman nicht völlig überzeugen. Dies liegt vor allem daran, dass die meisten grausamen, unerklärlichen Ereignisse in der Vergangenheit liegen und im Verlauf der Geschichte selbst einfach zu wenig passiert. Zu sehr im gemeinhin realistisch für Jugendliche Möglichen bewegen sich Ermittlung und Aufklärung des Falles. Das Versprechen auf Abgründe wird so nur halbherzig eingelöst. Fast scheint es, als wollte die Autorin den jungen Protagonisten und den jungen Lesern nicht zu viel zumuten oder einfach nicht zu reißerisch werden. So liegt der Fokus oft mehr auf den Familienproblemen von Mara und Jonah, als auf der Kriminalgeschichte. Leider kommt daher jedoch zu selten das Gefühl auf, dass ein Mörder auf freiem Fuß ist, der Mara oder Jonah etwas antun könnte, um diese aufzuhalten. Auch bleibt das Grauen fest verhaftet in der Erwachsenenwelt, was es zusätzlich von Mara und Jonah entrückt. Dies ist äußerst schade. Denn beim Lesen fällt auf, wie selten Jugendromane in einer entlegenen Bergwelt spielen und wie willkommen reich an Ungewohntem diese ist. Allein etwas aufreibender hätte es werden können.
Literatur
Veenstra, Simone: Du stirbst in meinem Herzen nicht. Kosmos, Stuttgart, 2015.