Für das Bilderbuch Ein eiskalter Fisch (2020) haben Frauke Angel und Elisabeth Kihßl erstmals zusammengearbeitet. Elisabeth Hollerweger & Marc Kudlowski haben die Autorin und die Zeichnerin zu Traurigkeit, Wut und Verzweiflung im Bilderbuch befragt.
Über Bücher und Preise
Hollerweger: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum Huckepackpreis 2021 für das Bilderbuch „Ein eiskalter Fisch“. Der Preis wird ja an Bilderbücher vergeben, die besonderes Potenzial erkennen lassen, Kinder in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung seelisch zu stärken. Was bedeutet Ihnen insofern der Preis?
Angel: Vielen Dank, wir freuen uns sehr! Als ich ein Kind war, haben Lesen und Schreiben mir eine Welt eröffnet. Das war mehr und anderes als das Abtauchen in fremde Welten; vielmehr war das oft eine Rettung aus dem Alltag. Daher freue ich mich, dass ausgerechnet unserem Bilderbuch das Potenzial zugetraut wird, Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen zu können.
Kihßl: Der Preis weist ja auch darauf hin, dass Bücher einfach so viel mehr können, als eine einfache Gute-Nacht-Geschichte zu sein, und dass man Bücher, wie unseren „eiskalten Fisch“, auch sehr gut hernehmen kann, wenn gerade schwierige Phasen in der Familie durchzustehen sind oder das Kind emotionale Unterstützung braucht.
Themen und Perspektiven
Kudlowski: Wie würden Sie vor diesem Hintergrund das Bilderbuch in ihr aktuelles Gesamtwerk jeweils einordnen wollen?
Kihßl: Mein Gesamtwerk ist ein eher noch beschauliches. Ich bin noch am Anfang. Deswegen hat es für mich einen großen Stellenwert. Ich habe die Anfrage, das Bilderbuch zu illustrieren, bekommen, als ich mein erstes Bilderbuch „Wir wollen doch nur Spielen“ (2018, gemeinsam mit Berenike Oppermann) gerade in den Druck gegeben hatte. Als ich Fraukes Text vor mir liegen gehabt habe, bekam ich sofort eine Riesen-Gänsehaut. Es war nur gerade so, dass ich kurz vor der Entbindung meines ersten Kindes stand und mit der Situation überfordert war, weil ich nicht gewusst habe, was da insgesamt auf mich zukommt und wann ich überhaupt wieder Zeit haben würde, um zu illustrieren. Frauke signalisierte sofort, so lange warten zu wollen, bis ich wieder Zeit hätte.
Angel: Ich habe festgestellt, dass jedes Buch seine Zeit hat und bei mir hat das Schreiben meist zwei Komponenten: Eigentlich immer ist da eine Idee, die von außen an mich herangetragen wird – meistens durch Kinder. Diese löst etwas in mir aus, zumeist etwas Autobiographisches, denn sonst würde mich die Idee bzw. die erlebte Szene oder der gehörte Satz nicht so berühren. Und das war dieses Mal auch so und deswegen kann ich sagen, dass jedes meiner Bücher – und dieses ganz besonders, weil es um ein empfindliches Thema geht, es geht um Gefühle – wichtig ist für mich. Und dass das jetzt so ausgezeichnet wird, trägt mich auch ein bisschen huckepack.
Rezeption
Hollerweger: Gerade dann, wenn man einen solch persönlichen Bezug zu den eigenen Büchern hat, ist es ja womöglich spannend, sich anzuschauen, wie andere die Bücher wahrnehmen. Wie war Ihr Eindruck von der bisherigen Resonanz auf den „eiskalten Fisch“?
Angel: Grundsätzlich freue ich mich über Resonanz, auch über kritische Resonanz, solange sie einen Inhalt hat. Die Rezensionen zum „eiskalten Fisch“ waren durchweg positiv oder ich habe nur positive gelesen. Dafür waren sie sehr unterschiedlich. Der Text und auch die Bilder begehen ja verschiedene Ebenen und es hat mir ganz außerordentlich gut gefallen, dass die Leute sich immer das aus dem Bilderbuch herausgeholt haben, was sie wohl gerade brauchten. In diesem Kontext fand ich eine Diskussion ganz besonders bemerkenswert, die sich erst vor wenigen Wochen auf Instagram entsponnen hatte. Es ging um das Thema, ob es richtig ist, seine Gefühle vor den eigenen Kindern zu offenbaren, auch wenn es schwierige Gefühle sind, wie z.B. Traurigkeit, Wut oder Verzweiflung. Meine Einstellung dazu ist, dass es wichtig ist, Gefühle zu zeigen, auch die scheinbar negativen Gefühle, weil nur, wenn wir uns authentisch vor unseren Kindern geben, sind wir glaubwürdig. Wenn man seine Gefühle nicht rauslässt, dann kann man sowohl implodieren als eben auch erstarren, wie der Vater hier in der Geschichte oder auch die Mutter, die sich immer rauszieht, die raus muss, an die Luft zum Durchatmen, wenn das zu Hause nicht weitergeht.
Die Instagram-Diskussion unter Erwachsenen zeigt mir aber auch wieder, dass das Medium Bilderbuch – wie Elisabeth schon gesagt hat – so viel mehr ist als ‚Kindergartenunterhaltung‘. Ich lese zum Beispiel alle Bilderbücher mindestens bis zum Ende der Grundschulzeit vor, das ist bei uns in Sachsen, bis die Kinder zehn Jahre alt sind. Und eigentlich lese ich Bilderbücher besonders gerne für Familien vor, wo die Erwachsenen dabeisitzen.
Vorlesen
Kudlowski: Würden Sie sagen, dass das Bilderbuch besonders für das gemeinsame Lesen, das Vorlesen geeignet ist?
Angel: Ja, auf jeden Fall! Wie schon angedeutet, hat es mehrere Ebenen und nicht jede Ebene muss vom Kind begriffen werden. Es hat wenig Text, es hat tolle Bilder. In diesen Bildern gibt es viel zu entdecken, obwohl sie nicht überfrachtet sind. Man kann langsam durchgehen, man kann sich Zeit lassen und man kann immer wieder Neues entdecken. Das finde ich toll!
Ich habe zum Beispiel von einem Kindergarten erfahren – ich selber darf ja gerade pandemiebedingt nicht auf Lesereise gehen –, dass im kindergarteneigenen Aquarium ein Fisch gestorben war und sich daraufhin an das Bilderbuch „über das tote Haustier“ erinnert und dieses gemeinsam gelesen wurde. Inzwischen ist das wohl ganz oft gelesen worden und immer mehr wurde entdeckt und von den Kindern auf sich selbst bezogen, wie z.B. der Streit der Eltern. Es ist also individuell verschieden, was man im Bilderbuch sieht. Der Fisch ist ja eine Art Projektionsfläche. Und das, obwohl die Idee zu diesem Buch durch eine reale Situation entstanden ist, die genau so war. Der Fisch eines Kindes, das ich kenne, ist gestorben. Er war der schönste, der liebste Fisch und das Kind hat die Beerdigung vorbereitet. Das hat mich so berührt! Und ich musste sofort an meine eigene Kindheit denken, wo es eine ganz ähnliche Situation mit einem Haustier gab. Es handelte sich zwar um einen Wellensittich, aber den habe ich auch vor lauter Liebe zu Tode gepflegt. Der lag in meinem Bett, der war bis zum Hals zugedeckt, als er eine Erkältung hatte. Er ist nie wieder aufgestanden. Aber als er tot war, hat mein Vater das erste Mal geweint. Und ich glaube, ich war zehn.
Zur Entstehung von Bild und Text
Hollerweger: Wie ist es denn, wenn man solch einen Text bekommt, in dem ganz verschiedene Themen stecken – wie haben Sie beim Illustrieren Ihr Thema gefunden, Frau Kihßl?
Kihßl: Bei mir haben sich die verschiedenen Geschichten oder die verschiedenen Ebenen, die in dieser Geschichte vorkommen, erst nach und nach gezeigt. Es war jetzt nicht so, dass ich den Text gelesen und gedacht habe: „Ah, da steckt das drin, da steckt das drin!“ Für mich sind die verschiedenen Ebenen erst nach und nach beim Illustrieren zu Tage getreten – auch in der Zusammenarbeit mit meiner Lektorin. Im Text war viel versteckt, das erst nach und nach kam.
Kudlowski: Frau Kihßl, wie greifbar waren denn speziell die Figuren für Sie, als sie den Text bekommen hatten. Die Figuren im fertigen Bilderbuch heben sich ja allein von ihrer Kleidung stark voneinander ab, die Mutter verlässt als einzige das Haus. Aufgrund der Wasserfarben, die Sie genutzt haben, beschleicht einen das Gefühl, die Figuren säßen in einem Aquarium. Wie kamen diese Gestaltungsentscheidungen zustande?
Kihßl: Die Vorstellung, dass alle in einem Aquarium sitzen, war auch meine. Prinzipiell arbeite ich gerne mit Wasserfarben, Aquarell und Collagen und irgendwie habe ich das auch gespürt, dass es so ein Raum ist und der Raum ist in dem Fall nicht wirklich ein Aquarium, aber irgendwie hat es sich für mich so ergeben, dass es zumindest den Anschein haben kann.
Bei den Figuren ist als erster der Vater entstanden. Ich kann nicht genau sagen, wie die Figuren entstehen. Sie sind irgendwie und irgendwann in meinem Kopf drin und dann probiere ich, sie auf Papier zu bringen; und in dem Fall ging das ziemlich schnell, die sind ziemlich schnell geboren worden. Und das war auch beim Bub bzw. beim Mädchen so – in dem Fall ist es ja nicht so klar, ob es sich um einen Bub oder ein Mädchen handelt, was ich total schön finde, weil es für die Geschichte bzw. die Beziehung zum Vater überhaupt nicht wichtig ist, ob das jetzt ein Bub oder ein Mädchen ist. Die Mama ist recht spät entstanden. Ich glaube, sie ist tatsächlich erst in der Beerdigungsszene, wo sie alle am Klo stehen und die Orchideen reingestreut werden, dazugekommen. Da habe ich irgendwie gewusst, wie die Mama dazu passt.
Figurengestaltung
Hollerweger: Frau Angel, finden Sie Ihre Figuren in den Bildern noch wieder oder gibt es Momente, in denen Sie denken: „Ah, okay, das ist jetzt eine andere Figur als die, die ich im Text gestaltet habe…“?
Angel: In diesem Fall war das bei allen drei Figuren nur ein Aha-Erlebnis. Wir haben uns über die Figuren im Vorwege auch nicht ausgetauscht. Der Vater war gleich auf den Punkt getroffen. Die Mutter hat mich ganz zärtlich überrascht, weil sie für mich sowas hat wie eine Nixe. Und beim Kind fand ich es ganz toll, dass das in den Bildern so offen bleibt, ob das eigentlich ein Junge oder ein Mädchen ist, weil es a) unwichtig ist und b) unwichtig sein muss. Es ist kein Buch über: ‚Jungs dürfen auch mal weinen‘. Das ist auch ein wichtiges Thema, das haben wir aber schon ganz viel gehabt. Das ist nicht ein Problem, das ich mit diesem Bilderbuch bearbeiten wollte.
Kihßl: Das war übrigens auch schön an der Zusammenarbeit, dass es keine Vorgaben gab – weder von Verlags- noch Autorinnenseite –, was für mich natürlich ein ganz anderes Arbeiten bedeutet. Es ist schwierig für mich, Figuren eine Persönlichkeit zu geben, wenn die Vorstellung nicht aus meinem Kopf kommt.
Hollerweger & Kudlowski: Vielen, vielen Dank für das Gespräch!
Literatur
Frauke Angel/ Elisabeth Kihßl: Ein eiskalter Fisch (2020). Innsbruck/Wien: Tyrolia.
Tipp zum Weiterhören
Das ungekürzte Gespräch kann hier im Podcast der Bremer Bilderbuch-Gespräche angehört werden.