Elisabeth Steinkellner stand jüngst mit ihrem Roman Papierklavier im Zentrum der Kinder- und Jugendliteraturwelt: Die Bischofskonferenz verweigerte dem Text die Auszeichnung mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Während die offiziellen Gründe nur vage umrissen wurden, kursierten schnell verschiedene Vermutungen. Was auch immer die tatsächliche Ursache gewesen sein mag, es ist schon reichlich verwunderlich und vielleicht auch bezeichnend. Ein Roman, der so selbstverständlich von gesellschaftlicher Vielfalt, Selbstbestimmung, facettenreichem Miteinander in der Familie, Freundschaft und Liebe für den eigenen Körper erzählt – und dies in eine ästhetisch komplexe Form übersetzt -, gilt als nicht preiswürdig. Unsere ausführliche Rezension gibt es hier.
Steinkellners Jugendbücher
Steinkellner zeigt in ihren Romanen und in ihrer Lyrik immer wieder ein feines Gespür für die Ambivalenzen des Heranwachsens. Auf der inhaltlichen Ebene zeichnen sich ihre Erzählwelten durch ein hohes Maß an Diversität aus, während sie dafür immer wieder neue formale Konstruktionen findet. Einige der Texte sind geschickt mit Illustrationen verwoben (in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstler_innen). Andere wechseln die Erzählperspektiven oder spielen mit narrativen Leerstellen, um etwa Gendernormen und Rollenbilder zu hinterfragen. Ihr neuestes Werk Esther und Salomon (2021) reiht sich nahtlos in das bisherige Oeuvre ein. Der Roman erzählt die Geschichte zweier Jugendlicher, Esther und Salomon, die sich zufällig in einem Urlaubsgebiet kennenlernen. Allein diese kurze Zeitspanne in einem Zwischenraum, der jenseits ihres herkömmlichen Alltags steht, ermöglicht die Begegnung zweier junger Menschen, die langsam zueinander finden.
Esther
Erzählt wird zunächst aus der Perspektive von Esther, in leisen Tönen in einer Versform. Wie auch schon Sarah Crossan in Die Sprache des Wassers oder Jason Reynolds in Long Way Down verdeutlicht auch Steinkellner, welches Potential diese Form des Erzählens hat. Die verkürzte, gleichzeitig aber auch enorm verdichtete Sprache lässt bei Steinkellner viel Raum für Ungesagtes und fasst Anderes in poetischen Metaphern zusammen:
Es sprudelt wie Limonade / in mir.
S. 146
Es werden aber nicht nur überwältigenden Glücksgefühle einer ersten großen Liebe thematisiert, sondern auch das Miteinander in Esthers Familie. So zeichnet der Roman in der ersten Hälfte die ambivalenten Facetten eines familiären Gefüges nach, das durch die drohende Trennung der Eltern in Schieflage geraten ist. Entsprechend trist ist der Urlaub gestimmt und schonungslos konfrontiert Esther immer wieder ihre Eltern. Sie ist aber nicht nur eine selbstbewusste Figur, sondern auch eine humorvolle Erzählerin. Pointiert macht sie bitterböse Beobachtungen in ihrer Umgebung:
wie manche der Gäste hier aussehen, / vor allem jene, / die auf ihren Pool-Liegen / festgewachsen sind / und wirken, / als würden sie / zum Inventar gehören.
S. 10
Sie ist aber kein bloßer spöttischer Teenager, sondern kümmert sich ebenso liebevoll um ihre jüngere Schwester Flippa. Esther ist begeisterte Fotografin und diese Leidenschaft spiegelt sich in der Buchgestaltung wider. Der Schrifttext wird an vielen Stellen durch abgedruckte Polaroids ergänzt (aufgenommen von der Autorin selbst). Am unteren weißen Rand der Fotos sind außerdem handschriftliche Notizen von Esther zu lesen. In dieser Form ergibt der Roman eine vielstimmige mediale Gestaltung.
Salomon
Auch die zweite Hälfte des Romans ist in der Versform geschrieben, hier rückt aber die Perspektive von Salomon in das Zentrum. Dieser zweite Teil spielt nach der Zeit des gemeinsamen Urlaubs und beleuchtet, wie sich Salomon nach Esther sehnt und wie er mit sich hadert, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Immer wieder probiert er sich an einem Brief und traut sich schließlich, diesen abzusenden. Während Esther leidenschaftlich fotografiert, ist Salomon sehr begabt im Zeichnen. Entsprechend ist dieser Teil des Romans von gezeichneten Illustrationen begleitet (angefertigt wurden diese von Michael Roher). Es ist bezeichnend, dass sich die beiden Jugendlichen in analogen Kunstformen ausdrücken und über schriftliche Briefe wieder zueinander finden. Auch in Esther und Salomon schwingt, wie beispielsweise schon in Papierklavier, eine deutliche Kritik an digitalen Medien mit:
ständig zücken sie ihre Handys / und machen Fotos / von sich selbst. / Ich sehe ihnen eine Weile zu / und frage mich, / was für sie wohl mehr zählt: / der Moment, / den das Foto festzuhalten versucht, / oder jener, / in dem ihr Post den hundertsten / Like bekommt?
S. 21
Diese Kritik bezieht sich nur auf einen Aspekt digitaler Kommunikation, bleibt daher auch ein wenig holzschnittartig und passt nicht ganz zum ansonsten facettenreichen Inhalt des Romans.
Familiäre Gefüge
Neben der Beziehung zu Esther geht es auch in der zweiten Hälfte um das familiäre Miteinander, das für Salomon ebenso wie für Esther aufgestört ist. Gemeinsam mit seiner Mutter und der jüngeren Schwester kam Salomon als Geflüchteter nach Österreich. Geprägt durch die traumatischen Erfahrungen der Fluchtbewegung und den damit verbundenen Verlust des ermordeten Vaters, ist sein familiäres Erleben besonders angespannt. Salomons Schilderungen der Erinnerungen und sein Erleben der Gegenwart sind oft beklemmend und bedrückend, was in der Versform zusätzlich verstärkt wird. Eindringlich schildert der Text so das Erleben eines Jungen, der eine komplexe Lebensgeschichte hat, aber auch die Freude am Leben nicht verliert.
Mit Esther und Salomon ist Elisabeth Steinkellner erneut ein vielschichtiger und mehrstimmiger Roman gelungen. Gekonnt fächert dieser die Erfahrungswelten zweier Jugendlicher auf und erzählt trotz aller Tragik berauschend schön.
Literatur
Steinkellner, Elisabeth: Esther und Salomon. Innsbruck: Tyrolia 2021.