27.-28. September, Regent’s University London
Das Fan Studies Network, gegründet im Mai 2012, veranstaltet jährlich eine Konferenz, bei der WissenschaftlerInnen jeglicher Couleur und jeden Grades willkommen sind, die sich für Fans und Fandom interessieren und sichvernetzen möchten, um Ideen, Themen und Methoden der Fan Studies zu teilen und weiter zu entwickeln. Im letzten Jahr fand diese Konferenz am 27. und 28. September 2014 an der Regent’s University London statt. Sie war hervorragend organisiert, die Atmosphäre war durchweg angenehm und freundlich, fast schon familiär.
Die Themen der Konferenz waren weit gefächert und reichten von Fandom und Identität, über Online-Fandom und Genderfragen bis hin zu geschichtlichen und ökonomischen Perspektivierungen. Da die Panels zeitgleich stattfanden, kann über die Konferenz hier nur in Ausschnitten anhand der Dokumentation ausgewählter Vorträge berichtet werden.
Keynote: Paul Booth The Classroom of the Future
In der die Tagung eröffnenden Keynote The Classroom of the Future hielt Paul Booth (DePaul University, Chicago) ein starkes Plädoyer für den Fan als ›Scholar‹ und die ›Scholars‹ als Fans und zielte damit ins Zentrum des Problems, dass Fan Studies eher außerhalb der Wissenschaft stattfinden, da der Emotionsüberschuss, mit dem Fans gemeinhin in Verbindung gebracht werden, nicht so recht zur Vorstellung von Wissenschaft als einer kühlen, rationalen Analyse passen will. Indem Paul Booth nun in dezidierter Absetzung davon das Fandom als spezifischen Raum kritischen Denkens, des Lernens und Lehrens sowie wahrer Interdisziplinarität umriss, erging ein dreifacher Appell an die anwesenden Fan-WissenschaftlerInnen: Erstens dürfe das Potential und die Fähigkeiten, die SchülerInnen und StudentInnen als Fans mitbringen, nicht ungenutzt bleiben, sondern solle aktiv in den Unterricht, der immer weniger kritisches Denken fordert und fördert, eingebunden werden. Damit sind zweitens die Lehrenden gefordert, Fandom und Fan Studies in ihre Lehre einzubringen und -binden. Drittens sind die Fan-WissenschaftlerInnen gefragt, sich gegen die ökonomische, kommerzielle, neoliberale Vereinnahmung von Fans zu engagieren und damit dem kritischen, aber auch moralischen Potential von Fandom Gehör zu verschaffen: „Fandom is a bastion of critical thinking in a world of conformity.“ Es gehe damit letzten Endes darum, nicht nur Fan Studies zu unterrichten, sondern auch das Fandom selbst: „how to be responsible and thoughtful fans in a world increasingly hostile to affect.“
Panel A: Fandom and Identity
Im Panel A: Fandom and Identity erläuterte Anne Peirson-Smith (City University, Hongkong) anhand von ethnografischen Untersuchungen und Interviews in China, Japan und Hongkong die Praxis des Cosplays als kollektive Aktivität, kreatives Spiel und als Merkmal partizipatorischer Fankultur. Diese Praxis der Identitätsartikulation und -konstruktion erzeuge nicht nur kreative Performances, sondern fülle auch eine affektive Lücke urbaner Gesellschaften im südostasiatischen Raum. Im Anschluss daran gab Simone Driessen (Erasmus University, Rotterdam) einen Einblick in das noch wenig untersuchte Feld von Langzeit-Fans und -Fandoms. Anhand einer Studie mit 25 Backstreet Boys-Fans aus den Niederlanden konnte aufgezeigt werden, inwiefern das Fandom, mal mehr, mal weniger, ein konstanter Faktor im Alltagsleben der Fans ist. Gleichzeitig wurden Unterschiede deutlich: Die erwachsenen Fans können an Praktiken teilhaben, die sie sich als Jugendliche nicht leisten konnten (z.B. Meet & Greets), womit das Dasein als Fan an die jeweilige biographische Situation und Entwicklungsstufe angepasst wurde. Zoë Shacklock (University of Warwick, England) widmete sich in ihrem Vortrag dem spezifischen Fall des Night Vale-Fandoms. Als Radio-Podcast, eine Form, die in den Fan Studies bisher weitgehend unbeachtet blieb, entziehe sich das Fanobjekt zunächst den visuell und textuell geprägten Räumen, in denen Fandom größtenteils operiert. Doch es sei gerade die intime Situation des Podcast-Hörens, die durch die Direktadressierung des Hörers in Night Vale noch verstärkt wird, die eine gesteigerte Form der Partizipation und Identifikation der Fans sowie eine enge Bindung an die Textualität von Night Vale erzeuge. Hinzu kommt der Diskurs der Repräsentation von ethnischer Diversität, die sich in den visuellen Interpretationen der Fans äußert: Da es wenig bis keine Beschreibung der Charaktere im Hinsicht auf ihr Aussehen gibt, biete dies einen größtmöglichen Identifikationsraum für Menschen unterschiedlichster Herkunft. Das Panel schloss Eoin Devereux (University of Limerick, Ireland) mit ihrem Bericht über die Praktiken der Identifikation von lateinamerikanischen und Chicano Fans von Morrissey ab.
Panel C: Fans and Producers
Das Panel C: Fans and Producers eröffnete Sarah Ralph (University of East Anglia, England) mit einem Vortrag über “Television comedy workers and professional fandom”. In der Verschränkung von Medienpraxis, Produktions- und Fan Studies wurde die Vermittlung zwischen dem professionellen und dem Fan-Dasein britischer TV-Produzenten, -Autoren und -Regisseure dargelegt. Eleonora Benecchi (Università della Svizzera, Italien) erläuterte im Anschluss am Beispiel des Fandoms der Serie Supernatural, wie Fans und Produzenten zusammenwirken. Sie unterschied dabei den produktiven, narrativen sowie von den Machern anerkannten Einfluss der Fans auf die Serie sowie zwischen physischer (Conventions, Q&A Meetings, Setbesuche etc.) und medialer Interaktion (DVD Kommentar, Interviews in Presse und TV etc.). Ebenfalls den Interaktionen zwischen Produzenten und Publikum widmete sich Ruth Foulis (Glasgow University, Schottland) in ihrem Beitrag über YouTube Celebrities. Sie fokussierte dabei vor allem den Wandel des ursprünglichen Verhältnisses von ›Creator‹ und Publikum zu jenem von Celebrity und Fan. Das Panel beschloss der Vortrag von William Proctor (Bournemouth University, England) über das Star Wars Fandom und den Streit um dessen ›Expanded Universe‹.
Panel E: Online Fandom
Im Panel E: Online Fandom berichtete Ruth Deller (Sheffield Hallam University, England) über die Tumulte im Sims-Fandom im Vorfeld der Veröffentlichtung von Sims 4, die vor allem durch signifikante Änderungen an der Grundanlage des Spiels entstanden waren. Zudem wurden nur sogenannte ›Content‹ generierende Fans, also bekannte Blogs, Vloggers etc., für das Testen erster Versionen ausgewählt, was zum Unmut der ›normalen‹ Fans führte. Nitasha Perez (ohne Affiliation, USA) berichtete in ihrem Vortrag über die Aktivitäten und Praktiken offizieller Tumblr-Blogs der Serien Hannibal, Teen Wolf und Doctor Who. Tumblr als eine der zentralen Plattformen von Online Fandom schlechthin sei gleichzeitig das von WissenschaflerInnen ›am wenigsten verstandene Medium‹. Perez beschränkte sich daher zunächst auf eine Merkmalsbeschreibung der Aktivitäten, die Tumblr bietet: ›Posten‹, also das Generieren von Inhalt, ›Rebloggen‹, womit das Teilen von bereits existierenden Inhalten gemeint ist, sowie das ›Liken‹, das eine Art Anerkennung darstellt, welche in erster Linie nur dem jeweiligen Nutzer dient und nicht zum Teilen per se angelegt ist, da der Zugriff von außen auf den mit Likes versehenen Content vom Nutzer gestattet werden muss. Mit über 200 Millionen Blogs ist Tumblr in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus kommerzieller Interessen gerückt, woraus sich die Partizipation offizieller Medienakteure auf der Plattform erkläre. Ebenfalls um Tumblr drehte sich der Vortrag von Eva Hayles Gledhill (University of Reading, England). Anhand zahlreicher Beispiele von ›Commonplace Books‹ aus dem 19. Jahrhundert, also Kollagen aus Textausschnitten und Bildern in Buchform, zeigte sie, wie diese Praxis Vorläufer der heutigen Aktivitäten auf Plattformen wie Tumblr und Pinterest sind. Zudem reflektierte Gledhill, dass beide Praxen kulturell immer wieder mit Frauen und Weiblichkeit assoziiert wurden, wodurch die kulturelle Konstruktion von binären Oppositionen wie Produzent/Konsument, aktiv/passiv, privat/öffentlich und männlich/weiblich in ihrem Beitrag erhellt werden konnte. Hannah Ellison (University of East Anglia, England) erläuterte im letzten Vortrag des Panels wie YouTube als Videoplattform zur ›International Lesbian Gift Economy‹ beiträgt. Dabei bezog sie sich vor allem auf die Praxis des Segmentierens und Ausschneidens von bestimmten Passagen aus TV-Serien, insbesondere Soaps, die spezifische Charaktere oder Narrative beinhalten, die für eine bestimmte Zielgruppe von besonderem Interesse sind. Diese Praxis ist vor allem unter homosexuellen Fans verbreitet, um abseits des offiziellen, vor allem heteronormativ geprägten Fernsehens, Narrative konsumieren zu können, die ihren Interessen und Bedürfnissen entsprechen.
Keynote: Rhiannon Bury über Fandom im ›Third Media Age‹
Die Keynote des zweiten Konferenztages von Rhiannon Bury (Athabasca University, Canada) beschäftigte sich mit dem Fandom im ›Third Media Age‹, basierend auf der Theorie von Mark Poster, wonach das ›First Media Age‹ vom Modell des Broadcastings durch zentrale Sendeanstalten geprägt ist und sich das ›Second Media Age‹ vor allem durch Dezentralisierung und Interaktivität mit der Verbreitung des Internets und Virtual Reality Technologien auszeichnet. Im zweiten Medienzeitalter kam es laut Bury zu einer Neuerfindung von Fandom: Die Bedeutung des Internets für die Expansion partizipatorischer Fanpraxen könne kaum unterschätzt werden, da der Austausch von Ideen unverzichtbar für eine lebendige Fan-Community ist. Zuvor gab es in diesem Bereich lediglich die Möglichkeit zu gelegentlichen, lokalen Treffen und den Besuch von Conventions im Abstand mehrerer Jahre. Mit dem Internet wurden Fanpraktiken geradezu revolutioniert, vor allem was die Interaktion zwischen Fans und die Zirkulation von Fan-Content angeht. In diese Zeit fällt auch das Aufkommen der Social Media Plattform, die bis heute laut Bury Fan-Community und -Aktivitäten am meisten fördert: Livejournal. Die Plattformen des dritten Medienzeitalters, also Facebook, das aufgrund des Nutzerverhaltens ohnehin nicht als sicherer Raum für Fandom angesehen werde, sowie Tumblr und Twitter seien dagegen keine, in diesem Sinne förderlichen Portale, sie öffneten lediglich den Zugang zu jenen, die eingehende Diskussionsmöglichkeiten offerieren. Burys Vortrag wies damit eine Priorisierung des intensiven, textuellen Austausch zwischen Fans auf und verwies Praktiken wie das Erstellen, Teilen und Liken von Informationen, Fan Art, Bildern, Videos, gifs usw. in die zweite Reihe. Dabei stellt sich die Frage, ob nicht gerade die letztgenannten Aktivitäten das Fandom im ›Third Media Age‹ ausmachen. Ebenso unreflektiert blieben neuere Plattformen wie Reddit oder auch die extreme Schnelligkeit hinsichtlich der Zirkulation von Inhalten auf Twitter und Tumblr.
Panel I: Transformative Works
Das Panel I: Transformative Works eröffneten Jan Švelch und Veronika Veselá (Karls-Universität, Prag) mit ihrem Beitrag über die Rolle von Fan Art in der offiziellen Bewerbung von Videospielen. Dabei ging es vor allem um das Verhältnis zwischen Fans, die basierend auf den urheberrechtlich geschützten Videospielen Content generieren, für den sie in der Regel nicht bezahlt werden, und den Unternehmen, die sich dieses Contents bedienen. Hannah Priest (Swansea University, Wales) widmete sich im darauffolgenden Vortrag dem Genre von Mash-up Erotica als Reaktion auf E.L. James‘ Fanfiction und Weltbestseller Fifty Shades of Grey. Diese Mash-ups verwendeten oftmals Narrative von Klassikern (z.B. Lillian Jacobs: Fifty Shades of Oz, R. R. Hood: Fifty Shades of Red Riding Hood) und verstünden sich weniger als Fanfiction zu Fifty Shades, denn als Parodien und Kommentar, da sie zentrale, oftmals als problematisch angesehene Punkte von James‘ Romanen, wie jener der romantischen Darstellung einer von Missbrauch geprägten Beziehung, gezielt ablehnten. Anhand dieses Beispiels ließ sich das Verhältnis von Autorenschaft und Text, sowie Urheberschaft und Fanfiction ausloten. Mit Überschriften und Tags von Fanfiction beschäftigte sich im Anschluss Joanna Kucharska (Jagiellonen-Universität, Krakau). Fanfiction wird auf den einschlägigen Plattformen, wie fanfiction.net oder archiveofourown.org (auch: AO3), in der Regel mit Tags versehen, die dem potentiellen Leser eine genaue Vorstellung von dem geben, was er im Begriff ist, zu lesen: Warnungen vor dem Tod einer Figur, die Stimmung der Geschichte (›angsty‹ oder ›fluffy‹), die genaue Angabe von sexuellem Inhalt – also nicht nur, dass es diesen in der Geschichte gibt, sondern auch, welche Paarungen und Positionen, welche Spielzeuge, wer der dominante Partner ist etc. Mit der Entwicklung und Erschließung neuer, virtueller Räume für Fandom-Aktivitäten mit Tumblr und Twitter gerate die informative Funktion der Tags jedoch immer mehr in den Hintergrund: Stattdessen wurden sie um die Funktion des Ausdrucks von Gefühlen (›feels‹) und des Metakommentars erweitert. Auf Tumblr, so Kucharska, wurde das System des Taggens so ausgefeilt, dass es selbst als Fan Art angesehen werden könne, indem sogenannte ›semi-fics‹ in den Tags geschrieben werden. Als Beispiel führte sie das Fandom der BBC-Serie Sherlock an, dessen Posts diejenigen mit den meisten Metakommentaren abseits der Informationsfunktion seien (vgl. http://toastystats.tumblr.com/search/Sherlock). Das Panel abschließend referierte Judith Fathallah (Cardiff University, Wales) über die politischen und ethischen Implikationen und Intentionen von South Park Fanfiction.
Zum Abschluss der Konferenz wurde anhand von Kurzvorträgen ausgewählter BeiträgerInnen der Ashgate Research Companion to Fan Cultures vorgestellt sowie eine Q&A-Session mit Orlando Jones, vor allem bekannt aus der Fox-Serie Sleepy Hollow, abgehalten.
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