Fantastische Spiele

Imaginäre Spielwelten und ihre soziokulturelle Bedeutung – Ein Tagungsbericht

Vom 11.- 14.09.2014 fand an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt die 5. Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung statt. Organisiert von René Schallegger und Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Instituts für Anglistik und Amerikanistik untersuchte die Veranstaltung die Beziehung von Lebenswelt und fiktionalen Welten, Spielewelten im Besonderen. Im Fokus standen Pen & Paper Rollenspiele, Live-Action-Roleplaying (LARP) und Computerspiele. Schon am Thema der Tagung machte sich so ein erfreulicher Trend bemerkbar: die Wandlung der Auseinandersetzung mit verschiedensten ‘Nerdkulturen’ von der Privatbeschäftigung vieler Akademiker mit dem eigenen Hobby zum Gegenstand universitärer Diskussion.

Spiel der Wertesysteme

Ein Schwerpunkt der Tagung lag auf den Konstruktionen alternativer Welten, an die verschiedene Fragestellungen herangetragen wurden. Ein Aspekt, der vermehrt Beachtung fand war das Verhältnis von den in den imaginären Welten vertretenen Wertevorstellungen mit denen der postmodernen Gesellschaft, in der die meisten Leser/Innen, Zuschauer/Innen beziehungsweise Spieler/Innen wohl sozialisiert wurden. In seinem Vortrag “‘A’ Game of Thrones – eine indermediale Poetik der Fantasy” zeigte Daniel Illger anhand von Zitaten und Serienausschnitten, wie Game of Thrones Ansichten bezüglich etwa Romantik und Gesetzgebung vertritt, die mit denen der Rezipienten zwar nicht übereinstimmen dürften, die man sich im Prozess der gezielten Sympathielenkung der Serie sowie der Bücher jedoch dennoch aneignet. So wies Illger etwa auf die im Grunde kritisch zu bewertende Rechtsprechung Eddard Starks hin, der von Serie und Buch jedoch als Figur mit beispielhafter Moral inszeniert wird.

In Bezug auf LARP stellte Anika Ullmann (ich) in ihrem Beitrag “Waiting for Ragnarok to Come – Intime and Outtime as Two Different World Constructions in The Wild Hunt fest, dass der kanadische Horrorfilm The Wild Hunt die Diskrepanz zwischen einer postmodernen Outtime (Primär) Welt und einer holistisch konstruierten Intime (Sekundär) Welt als zentralen Aspekt des Hobbys präsentiert. The Wild Hunt bespricht LARP als Immersion in eine Welt, in der es das essentiell Böse und Gute gibt, Götter über einen wachen und die Welt aus Zeichen besteht, die gelesen werden können. Parallel zu neusten Fantasytheorien, die Fantasy als Gattung als neue Form des Epos verstehen, präsentiert sich LARP hier als Modus in dem finale Sinnstiftung in Form einer Endschlacht zweier Parteien noch möglich scheint. Damit steht die Intime Welt in Kontrast zur postmodernen Outtime Welt, die sich von sinnstiftenden großen Erzählungen verabschiedet hat.

Martin Tschiggerl zeigte in seinem Vortrag “Orks sind auch nur Menschen – Was Orks und Mongolen gemeinsam haben” auf, dass die Darstellung der Orks im Pen & Paper Spielesystem Das Schwarze Auge (DSA) klare Parallelen zur Zeichnung der Mongolen im 18. und 19. Jahrhundert aufweist. Ähnlich den Mongolen werden die Orks als “Weltenzerstörer” und Wesen präsentiert, die, zu “keiner eigenen Kulturleistung” fähig, eine “inferiore Abweichung von der Norm Mensch” darstellen. Thomas Römer, der als Autor maßgeblich an der Konzeption der Orks bei DSA beteiligt war, und sich gewinnbringender Weise im Raum befand, ergänzte den Vortrag, indem er bestätigte, dass bewusst rassistische Narrative genutzt wurden, um die Rasse der Orks zum Leben zu erwecken. Tschiggerl schloss seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass in aktuelleren Beschreibungen der Orks bei DSA durchaus ein ‘Postcolonial-Turn’ festzustellen ist: die Orks haben eine eigene Geschichte bekommen, den Spielern werden Texte zur Verfügung gestellt, die von Orks verfasst sind, also deren Sichtweise vertreten, und auf abwertende Vergleiche zwischen Orks und Menschen wird verzichtet.

Postmodernes Potential in imaginären Weltenkonstruktionen sahen auch andere Vortragende. In seinem Beitrag “Eclipse Phase – Exploring Humanity in a Collaborative Game” wies Jan-Erik Ella darauf hin, dass Fantasy lange äußerst konservativ war. Fantasywelten waren feudal organisiert, betont moralisch und alles teilte sich in Gut und Böse auf. Dem stellte Ella nun die produktive Identitätsarbeit entgegen, die durch Rollenspiel gefördert wird. So ermutigen die Regeln von Dungeons und Dragons (D&D) die Spieler/Innen aktiv, sich zu überlegen, ob ihr Spielecharakter “does or does not conform to the broader culture’s expectations of sex, gender, and sexual behaviour…”. Konformität ist damit Option, aber kein Muss: “You don’t need to be confined to binary notions of sex and gender.” Damit regt Rollenspiel einen an, so Ella, sich über sich selbst und seine eigenen Moralvorstellungen bewusst zu werden. Eclipse Phase stellt für ihn in diesem Zusammenhang ein besonders fruchtbares Rollenspiel dar, da es eine Vielzahl an Gesellschaftsformen und politischen Entwürfen bespielbar macht und so experimentellen Umgang mit einer großen Bandbreite an Ideen ermöglicht. Der transhumanitsiche Grundton des Spielesystems macht es außerdem möglich, Fragen nach der Bedeutung der eigenen Menschlichkeit zu stellen.

Thomas Walach-Brinek sprach “Von der strukturalistischen Tätigkeit, eine Insel zu entdecken”. In seinem Vortrag verglich Walach-Brinek das Aufeinandertreffen Columbus’ mit den Indianern mit dem der Güldenländer und den Aventuriern im Hintergrund des Rollenspielsystems DSA. Obwohl die Bordbücher von Columbus und entsprechende Auszüge fiktionaler Bordbücher bei DSA fast identisch sind, führt der DSA Hintergrund, so Walach-Brinek, den “wissenschaftlichen Mainstream des historischen Diskurses” vor, indem hier ähnliche geschichtliche Situationen zu einem neuen Schluss geführt werden. Im Sinne Foucaults, der die Ordnungen, in denen wir denken als arbiträr herausgestellt hat, scheint so in der alternativen Geschichtsentwicklung bei DSA die Beliebigkeit von Ordnungen auf und ruft diese ins Gedächtnis.

Positive Randbemerkungen

Jede Tagung hat gute (viele davon konnten hier leider nicht zusammengefasst werden) und weniger gute Vorträge. Was die 5. Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung jedoch vom Gros der größeren Veranstaltungen abhob war der Enthusiasmus für Diskussion mit dem grundsätzlich allen Vorträgen begegnet wurde. So wurden für jeden Vortragenden Fragen gefunden und meist entzündete sich am Ende des Panels eine Debatte, die so lange andauerte, dass man später in die Kaffeepause startete, wo dann freudig weiterdiskutiert wurde. Schweigen scheint Fantastikforschern fremd. Vielmehr wirkte es, als herrsche soviel Interesse am eigenen Gegenstand, dass man jederzeit bereit war, über weitere Aspekte nachzudenken oder seine Position zu verteidigen.

Ebenso muss die Anwesenheit von Thomas Römer lobend hervorgehoben werden. Der ehemalige Chefredakteur des Rollenspielsystems Das Schwarze Auge hielt am Samstagabend die letzte Keynote der Veranstaltung und lieferte eine ausführliche Geschichte des Pen & Paper Rollenspiels. Darüber hinaus war Römer in vielen Panels zugegen, unterhielt sich in den Pausen mit den Konferenzteilnehmer und spielte mit einigen sogar eine Runde Pen & Paper. Urgestein zum Anfassen, nett und unkompliziert. So kann die Anwesenheit von Autoren auf Tagungen Spaß machen.

Die 6. Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung findet vom 24.-27. September 2015 an der Eberhard Karls Universität Tübingen statt.

 

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