Kinder- und Erwachsenenbilder im Auflösungsprozess
Ziel der Blogreihe:
Als Serien-Junkie fallen einem mit den Jahren Themen auf, die wiederholt im Fernsehen besprochen werden. Trends werden deutlich, die serienübergreifend von Belang zu sein scheinen. Es ist das Privileg des Süchtigen, viele Serien wirklich gut zu kennen und miteinander vergleichen zu können.
In dieser Blogreihe erscheinen in den nächsten Monaten Beiträge, die die Generationenbeziehungen und im Zusammenhang damit die Kinder- und Erwachsenenbilder in aktuellen Familienserien beleuchten wollen. Was macht jemanden zum Erwachsenen? Welche Marker lassen sich festmachen, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene voneinander trennen und gibt es diese überhaupt noch? Jene Fragen sind es die im aktuellen Fernsehen, mal mehr mal weniger deutlich, jedoch äußerst konstant eine Rolle spielen. In dieser Reihe sollen daher vor allem aktuelle Serien besprochen, aber vereinzelt auch vergangene Serien diskutiert werden.
Teil 1: Erwachsensein und Elternschaft in Parenthood
In der Folge „There’s Something I Need to Tell You…“ (S04E05) der NBC Serie Parenthood (2010) sitzt der junge Max Braverman mit seiner Cousine Amber am Tisch. Plötzlich, unvermittelt, fragt er seine ältere Verwandte: “Are you a grown-up?” Erstaunt möchte diese den Grund für die Frage wissen. Max antwortet: „My parents said I need to be more grown-up. So are you a grown-up?” „Well… I guess so. Yeah…” antwortet Amber, woraufhin Max feststellt: „You don’t dress like a grown-up. […] And you are shorter than a lot of grown-ups. […] So what makes you a grown-up?” Ergänzend führt er an: „You are not married. […] All of the adults I know are married.” (≈ 24:00)
Merkmale des Erwachsenseins
In seinem Aufsatz „Generations, Modernity and the Problem of Contemporary Adulthood” gibt der australische Soziologe Harry Blatterer an, dass das althergebrachte Bild von Erwachsensein überholt ist. Die Arbeitswelt verlangt Flexibilität und der Lebenserhalt wird teurer. Ereignisse, so Blatterer, wie etwa finanzielle Unabhängigkeit, eigene Wohnung, Eheschließung und Familiengründung treten dadurch einfach später ein. Dennoch wird in unserer Gesellschaft eben dies als ein Hinterherbleiben hinter der üblichen Entwicklung angesehen; als „prolonged transition to and delayed entry into full adulthood.“ (15) Diese Kluft tut sich nun zwischen Amber und Max, der Ehe als wichtigen Bestandteil seines Konzepts von Erwachsensein versteht, auf. Amber zählt daraufhin für sich selbst Marker ihres Erwachsensseins auf: „I have a job. And.. ahm… I have a car… and I have to pay bills and I just kinda do stuff on my own, I guess.”(≈ 25:00) So werden in dieser Folge Differenzkategorien wie Kleidung, körperliche Maßstäbe oder eigene Familiengründung erst einmal hinterfragt, da Amber weder „erwachsen” gekleidet, noch besonders groß oder verheiratet ist. Doch kann sie andere „erwachsene“ Kategorien für sich ins Feld führen, nämlich finanzielle Verantwortung und Selbstständigkeit. In seinem Aufsatz gibt Blatterer an, das im allgemeinen Verständnis der Gesellschaft „‘the adult‘ connotes the end product of social and psychological development“ (20). Interessant ist, dass in dieser Szene von Parenthood vor allem soziale und äußerliche Aspekte zum Tragen kommen, obgleich Maxs Eltern mit der Aussage, dass er erwachsener sein soll, sicher eher charakterliche Aspekte im Sinn hatten.
Zwar wird über das Gespräch zwischen Amber und Max auf Erwachsensein als Kategorie hingewiesen, die sich aus vielen kleinen Merkmalen zusammensetzt und nicht zwangsweise als Endprodukt zu verstehen ist. Die Kategorie Erwachsener und die dem Konzept eingeschriebenen Lebensabschnitte an sich bleiben in der Serie jedoch erhalten und werden zum absoluten Ziel der Entwicklungen der einzelnen Figuren. Die Serie Parenthood konstruiert ein äußerst stabiles und althergebrachtes Bild von Familie und den Generationen. Es geht darum, wie der Titel schon sagt, Eltern zu sein. Vier Familien stellt die Serie vor, die alle Teil der Großfamilie Braverman sind, welche sich in der Serie über drei Generationen erstreckt. Alle Familienmitglieder der mittleren Generation, bis auf Crosby am Anfang der Serie, haben somit schon zwei Aspekte des herkömmlichen Bildes von Erwachsensein erfüllt: sie sind Eltern und sind, oder waren, verheiratet. Die Rollen innerhalb der Familien sind klar verteilt. Die Eltern gehen arbeiten, übernehmen Verantwortung und sind Erzieher, die Kinder werden zum Baseball gebracht und haben adoleszenzbezogene Probleme, die die Eltern meist für sie lösen. Zwar gibt es in der Serie Abweichungen, doch ist deren Zweck nicht jener Ideen von Erwachsensein zu unterwandern, sondern im Laufe der Serie den Weg zurück zur Norm abbilden zu können. So etwa Amber, welche die Älteste der Kinder / Enkel ist. Sie steht noch am ehesten zwischen der Jugend- und Erwachsenenwelt. Ihre Zeichnung in der Serie als einstige Rebellin, die über die Staffeln hin zur emphatischen, jungen Frau, die nun auch in einer stabilen Beziehung lebt, herangewachsen ist, zeigt, dass die Welt der Erwachsenen klar das vorgegebene Ziel ist.
Endstation: Cordhose
Das deutlichste Beispiel jedoch ist Crosby Braverman. Das die ersten Staffeln auf einem Hausboot wohnende, sich ständig in Schwierigkeiten befindliche schwarze Schaf der Familie muss mit der Gründung seiner eigenen Familie lernen Verantwortung zu tragen. Als er dies nicht schafft, verlässt ihn Jasmine, die Mutter seines Sohnes. Daraufhin verkauft er zum Beweis seiner Entwicklungsbereitschaft sein Motorrad, um mit dem Geld ein Haus ausstatten zu können, mit Hilfe dessen Erwerb er nun Jasmine zurückgewinnen möchte. Dieser Wandel wird in der Folge „Slipping Away“ (S02E21) von Schwester Julia entsprechend mit den Worten kommentiert: „He is grown up… all of a sudden.“ (≈ 26:30) Crosby muss zeigen, dass er Verantwortung tragen kann. Ihm dabei als positives Beispiel gegenüber gestellt ist sein Bruder Adam Braverman, der stets ein vorbildlicher Vater, Ernährer und Familienmensch sein möchte und dies zum Grundmuster seines Charakters macht. Im steten Reibungsprozess mit Adam wird Crosby so nach und nach zum guten, erwachsenen Vater. In der Episode „The M Word“ (S05E06) welche erst vor wenigen Wochen ausgestrahlt wurde, musste Crosby sich nun von seinem Sportwagen trennen und diesen gegen einen familienfreundlichen Minivan eintauschen. In den Worten seines Bruders: „Welcome to the club! My brother Crosby is a minivan-man! You’re in the club bro‘! What’s wrong man? They are practical. […] Listen to me, man. You’re a husband. You’re a father, too. You’re a business man. You’ve got to be a little more responsible. You can keep swimming against the current, tiring yourself out…or you can slip on some corduroys and just relax, man.” (≈ 17:30) Die Botschaft hier ist klar: mit Ehe, Familie und der eigenen Firma muss zwangsweise auch eine charakterliche Entwicklung einhergehen; soziale und psychologische Entwicklung sind aneinander gekoppelt. Sich dem entgegen zu stellen bedeutet gegen den Strom schwimmen, gegen den natürlichen Lauf der Dinge angehen. So läuft in Parenthood alles auf die Cordhose hinaus. Die Wertung der Serie unterstreicht Adams Meinung. Noch bis zum Ende dieser Folge wird Crosby lernen, dass ein Minivan ja eigentlich doch ganz cool ist.
Von der Generationsstruktur her, schließt Parenthood mit seiner stabilen Trennung der Sphären zwischen Jung und Alt an ältere Familienserienformate, wie The Cosby Show und Growing Pains (Unser lautes Heim) an. In ihrem expliziten Drängen auf einen Austritt aus der Adoleszenz und den so deutlich postulierten Werten von Elternschaft ist sie damit vielleicht sogar konservativer als ältere Formate. Betrachtet man hingegen die Darstellung vom Verhältnis der Generationen in vielen anderen aktuellen Fernsehserien scheint es, dass sich mehrheitlich die Generationsunterschiede im Zustand der Auflösung befinden.
In meinem nächsten Beitrag in dieser Reihe werde ich jedoch ersteinmal einen Blick zurück werfen und die Generationenbeziehungen in The Cosby Show näher besprechen.
Medien
Blatterer, Harry. „Generations, Modernity and the Problem of Contemporary Adulthood”. Burnett, Judith (ed.) contemporary adulthodd. calendars, carttographies and constructions. (1. Auflage) Palgrave Macmillan: 2010.
„Slipping Away“. Parenthood. NBC. New York City. 12. April 2012.
„There’s Something I Need to Tell You…“. Parenthood. NBC. New York City. 9. Oktober 2012.
„The M Word“. Parenthood. NBC. New York City. 31. Oktober 2013.
Die Rechte für das Titelbild liegen bei der NBC, nicht bei mir.