Anika Ullmann
Kinder- und Erwachsenenbilder im Auflösungsprozess
Teil 3: Modern Family
Der erste Teil dieser Blogreihe widmete sich der Serie Parenthood und stellte die Behauptung auf, dass Erwachsensein und Kindheit / Jugend in der Serie noch klar getrennte Sphären sind. Anstatt Grenzen zu verwischen, wird auf ein Einhalten bekannter Rollenmuster bestanden. Der zweite Teil dieser Reihe betrachtete The Cosby Show. Hier habe ich versucht zu zeigen, wie diese wohl berühmteste aller Fernsehfamilien sich in Bezug auf die Generationenkonstruktionen vor allem durch zwei Dinge auszeichnet: durch ein Machtgefälle zwischen den Eltern / Geldverdienern und den Kindern und durch die Idee das kindliches/jugendliches Verhalten etwas ist, das entweder an gewisse Lebensabschnitte gebunden ist oder aber im Geheimen zwischen Eheleuten zu Tage tritt.
In diesem Teil möchte ich nun mit Modern Family eine Serie besprechen, die Ideen von Verhalten, das ausschließlich Kindern oder Erwachsenen zugeschrieben wird, ganz klar als stereotype Konstellationen enttarnt.
Familienstruktur
Die ‚moderne Famile’, wie sie sich in Modern Family präsentiert ist geprägt von Vielfalt und einer Umwälzung von Familienbildern und Generationenbeziehungen. Im Zentrum der Serie steht die Großfamilie Pritchett. Der Vater, Jay Pritchett, ist mit der wesentlich jüngeren Kolumbianerin Gloria Delgado verheiratet. Gemeinsam erziehen sie Glorias Sohn Manny. Als zweite Familie stehen die Dunphys, bestehend aus Jays Tochter Claire, ihrem Mann Phil und deren drei Kindern im Zentrum der Handlung. Weiterer Fokuspunkt ist die Familie von Mitchell Pritchett, der zusammen mit seinem Lebenspartner Cameron Tucker das kleine vietnamesische Mädchen Lily adoptiert hat. Aus dieser kurzen Aufzählung wird schnell deutlich, wie hier Familie neu verhandelt und bewertet wird. Kulturelle Grenzen werden überwunden und die gleichgeschlechtlich orientierte Beziehung der heterosexuellen Ehe als ebenbürtig zur Seite gestellt.
Sieht man sich ein Werbefoto von Entertainment Weekly an, fällt auf, dass Manny hier als besonders erwachsen und gebildet präsentiert wird, während Mitchell in einem Einteiler mit Teddybär im Arm gezielt kindlich inszeniert wird. Der dritte Faktor in diesem Neudefinitionsversuch von Familie, so wird hier klargemacht, ist Alter und altersgemäße Performanz.
Wie der Sohn, so der Vater
Wie eine Dokumentation aufgebaut, beginnen viele Episoden von Modern Family mit der Antwort auf eine Frage, die, so wird impliziert, von einem unsichtbaren Interviewer hinter der Kamera gestellt wurde kurz bevor die Folge beginnt. In „Up All Night“ (S01E11) ist es die Frage „What’s the most irritating thing my parents say to me?”. Die Antwort von Alex Dunphy ist ähnlich der Frage von Max Bravermann (siehe Teil 1 dieser Blogreihe) an Amber. „Act more like an adult. What does ‘Act more like an adult’ mean?” (≈ 00:20) Im Gegensatz zu Parenthood jedoch ist die Folge von Modern Family welche an Alexs Frage anschließt dazu konzipiert, Konzepte von erwachsenem Verhalten als von kindlichem Handeln grundsätzlich unterschiedlich zu dekonstruieren. Dies funktioniert vor allem über die Darstellung von Phil Dunphy und seinem Sohn Luke. Beide werden, wie generell in der Serie, bei gemeinsamen Aktivitäten gezeigt, bei denen Phil eindeutig denselben ‚kindlichen‘ Spaß hat wie Luke. So endet die Episode mit Phil und Luke, die im Garten spielen, wobei Phil sich den laufenden Gartenschlauch in die Hose steckt. Ähnliche Situationen sind über die gesamte Serie verteilt. Oft tragen Phil und Luke die gleiche Kleidung, denken sich gemeinsam fantasiereiche Geschichten aus oder planen unvernünftige Aktionen. Dies ist es, was die Beziehung der beiden im Besonderen ausmacht. So sagt Luke in der Folge „Disneyland” (S03E22) zu seinem Vater, der gerade feststellen musste, dass sein Magen die Achterbahnfahrten nicht mehr so verträgt, wie als er jung war: „Dad, we can always find cool stuff to do. Even if you are old and in a wheel chair, I’ll take you to the mall and I will push you as fast as you wanna go.” (≈ 14:35). Spieltrieb und Unfug sind hier persönlichkeits- und nicht altersgebunden und werden als Konstanten präsentiert, die eventuell das Format, nicht jedoch ihren Grundcharakter ändern.
Alterslosigkeiten
Doch nicht nur Phil, alle Erwachsenen der Serie werden ab und an als ‚kindlich‘ dargestellt und darüber gewisse Verhaltensweisen als eben nicht kindlich oder erwachsen sondern alterslos diskutiert.
In „Travels With Scout“ (S01E21) springt Cameron als Schlagzeuger in der Band des Freundes der Nichte seines Mannes ein und passt perfekt in die Gruppe junger Leute. Beim Konzert dreht sich die Nichte Haley schließlich zu ihrem Onkel Mitch um und bemerkt „Our boyfriends totally rock.” (≈ 14:00) Über die Teenagerterminologie werden Onkel und Nichte auf eine Altersstufe geholt. An diesem Abend, so wird suggeriert, sind alle gleich alt.
Wenn in “The Old Man & the Tree” (S05E10) Gloria Besuch von ihrer Mutter bekommt, mutieren Gloria und Claire im Laufe der Folge zu eifersüchtigen Geschwistern, die um die Aufmerksamkeit der Mutter streiten. In “Under Pressure” (S05E12) gehen alle Eltern in die Schule zum Elterntag. Es dauert nicht lange und die gesamte Elternschaft verwandelt sich in pubertierende Teenager. Am Ende sitzen, in Anlehnung an Szenen aus Collegeserien, Gloria und eine weitere Mutter gemeinsam auf der Bank vor dem Zimmer des Direktors und erwarten ihr Urteil. Eifersucht, Sehnsucht nach Mutterliebe, der Wunsch nach besonderer Aufmerksamkeit, Konkurrenzverhalten, all dies sind Eigenschaften, die im Konzept ‚Erwachsener‘ ebenso verankert sind, wie im Konzept ‚Kind‘ oder ‚Teenager‘. Die Grenzen lösen sich auf. Körperlicher Wachstum und älter werden sind hier losgekoppelt von emotionalem Wachstum und charakterlicher Entwicklung zu verstehen.
Dasselbe gilt auch für Kinder. In „Manny get your Gun“ (S02E08) bemerkt Manny, der ungewöhnlich reife Sohn von Jay und Gloria, an seinem Geburtstag zu seiner Familie „I was almost too depressed to come today. I realized, I let my childhood slip away. […] I really thought it was too late for me. But watching all of you acting like children, it hit me: I’ve got plenty of time left to be a kid.” (≈ 17:00) Kindheit ist hier, im Gegensatz zu The Cosby Show, nicht ans Kindesalter gebunden. Sie dehnt sich ins Erwachsenenalter aus, kann, wie die Elterngeneration der Serie zeigt, jederzeit ausgelebt werden. Im Unterschied zu Parenthood wird dies hier nicht negativ bewertet, sondern, obschon mitunter als unvernünftig, dennoch als normal und liebenswert dargestellt. Über Manny wird so allerdings auch deutlich, dass Reife und Gediegenheit Teil von Kindheit sein können.
Wenn auch nicht so ausgeprägt wie in Modern Family, so lässt sich die hier vorgestellte Überwindung klarer Generationenkonstruktionen doch schon in mehreren Serien beobachten. Im vierten Teil dieser Blogreihe soll daher ein Überblick geliefert werden, welche anderen Fernsehfamilien so konzipiert wurden, dass sie gezielt Alter und altersgerechte Performanz besprechen und in Frage stellen.
Episoden:
„Up all Night“. Modern Family. ABC. New York City. 6. Januar 2010.
„Travels with Scout“. Modern Family. ABC. New York City. 28. April 2010.
„Manny get your Gun“. Modern Family. ABC. New York City. 17. November 2010.
„Disneyland“. Modern Family. ABC. New York City. 9. Mai 2012.
„The Old Man & the Tree“. Modern Family. ABC. New York City. 11. Dezember 2013.
„Under Pressure“. Modern Family. ABC. New York City. 15. Januar 2014.