Footnoted: Guido Schuh

UI Design für Kleinkinder

Guido Schuh ist Diplom-Informatiker, UI-Designer und Vater einer vierjährigen Tochter und eines fünf Monate alten Sohnes. Bei seinem Auftritt auf dem 73. Webmontag, einer Veranstaltung für Technik und Gesellschaft, wird er als “Übersetzer der kindlichen Logik auf ein App-Interface” vorgestellt. Sein fünfminütiger Vortrag zu UI-Design für Kleinkinder zeigt sehr anschaulich, was es bei seinem Versuch, seiner Tochter eine eigene Mp3-Player App zu bauen, zu beachten gab. Schuh sagt, es sei wichtig, dass bereits Kleinkinder eigenständig mit Technik umgehen könnten, was heute leider noch keine Selbstverständlichkeit sei. Eine auf Kleinkinder zugeschnittene Bedienbarkeit der Software ist der erste Schritt zu einem mit dem Kind mitwachsenden Technikverständnis.

Ich freue mich sehr, dass sich für diesen Artikel Guido Schuh bereit erklärt hat, mir ein paar Fragen zu beantworten. Ich empfehle jedem, sich zuerst seinen kurzen Vortrag anzuschauen (dauert dank des Ignite-Formats nur 5 Minuten und ist ausgesprochen erhellend!) um danach das Interview zu lesen.

 

Lieber Guido, als Laie hat mich dein Vortrag beeindruckt, denn allein bei dem Versuch, die gezeigte Metallbox-Variante des MP3-Players zu bauen, würde ich mich wahrscheinlich selbst anzünden. Daher lautet meine erste Frage:

Wieviel Zeitstunden stecken im Interface deiner App?

Das erste kindgerechte Interface war recht schnell aufgebaut, das hat vielleicht zwei oder drei Abende gedauert. UnsereTochter fand es gleich toll und ist bei der Benutzung direkt an ein paar Stellen auf die Nase gefallen. Dann habe ich das Interface an ihre Bedürfnisse angepasst – das waren noch ein paar Abende im Laufe einiger Wochen. Diese Version funktionierte allerdings nur zuhause, wo der Webserver steht. So richtig anstrengend war es, die Webanwendung unter Android so einzurichten, dass man sie auf dem Tablet mitnehmen kann. Aber das hatte nichts mit der Oberfläche zu tun.

Wieso warst  du überhaupt der Meinung, dir diese Arbeit machen zu müssen?

Meine eigene MP3-Player-Software nutze ich schon seit 15 Jahren. Meine MP3-Sammlung liegt auf einem Raspberry-Pi Minicomputer und ist so zu hause immer erreichbar und in mein Backup eingebunden. Die Alternativen für die Musikverwaltung (von Winamp damals bis iTunes heute) haben nie meinen Geschmack getroffen. Da lag es nahe, auch Töchterchens Hörbücher auf die gleiche Weise zu verwalten. Offen gestanden habe ich mich nicht nach kindgerechten Alternativen umgeschaut – ich mache so etwas einfach gern selbst.

Dein Eindruck als jemand, der offensichtlich etwas von Userinterfaces versteht (und zusätzlich noch Vater ist): Wie ist es um die Nutzbarkeit von Software und Apps für Kinder bestellt? Passen die Produkte zur Zielgruppe? Oder gibt es da ein Missverhältnis?

Schwer zu sagen. Unsere Tochter spielt gelegentlich mit Apps auf dem Tablet herum. Mit drei hat sie ein paar mal interaktive Wimmelbilder und einfache Rätsel angeschaut. Das war aber nicht lange spannend. Toll findet sie es, auf dem Tablet zu malen. Die Malprogramme haben wir vor allem danach ausgesucht, dass sie nichts kosten. Die Qualität der User Interfaces ist dementsprechend. Großartig ist übrigens das Malprogramm, das bei Scratch Junior auf dem iPad dabei ist. Damit konnte sie mit drei Jahren schon sehr gut umgehen und konnte es komplett eigenständig bedienen. Die Oberfläche  ist sehr grafisch orientiert und intuitiv – zum Beispiel ist die Farbauswahl als Farbtöpfe dargestellt, so wie sie es von Wasserfarben kennt. Insgesamt verbringt unsere Tochter nur sehr wenig Zeit mit Apps, sondern mit Wasserfarben, Bunt- und Filzstiften, buntem Papier und Kleber, mit dem sie die tollsten Objekte aus Steinen, Muscheln und Stöcken zusammenklebt.

…Aber zurück zur Frage: Gibt es viel gute UI für Kinder? Keine Ahnung. Ich habe aber schon viel schlechte UI gesehen, ob für Kinder oder für Erwachsene.

Kommen wir zur Gretchenfrage: Viele Erziehende stehen der ‚zu frühen‘ Digitalisierung ihrer Kinder eher kritisch gegenüber, sei es aus bewusster Ablehnung oder aus fehlenden Informationen zum Thema. Was ist deine Meinung zu diesem Thema? Hältst du es für relevant, deine Kinder mit allen gegenwärtigen Medien vertraut zu machen und was sind deine Argumente dafür oder dagegen?

Wir haben früh festgestellt, wie sich Kinder – ob unsere eigene Tochter oder die Kinder von Freunden – sich an digitalen Medien “festsaugen” können. Je immersiver ein Medium ist, desto schwerer fällt es den Kleinen, beim Konsum zu einem Ende zu kommen, und desto unausgeglichener sind sie, wenn sie zu lange konsumiert haben. Hier erscheint es mir wichtig, klare Grenzen zu setzen.

Wir haben unsere Tochter beobachtet und dabei festgestellt, in welchen Mengen sie gut mit bestimmten Medien (Fernsehserien, Apps, Zuschauen bei Computerspielen…) umgehen kann. Wenn sie etwas konsumiert besprechen wir vorher mit ihr wie lange, und meist klappt das auch gut. Um einzuschätzen, ob Inhalte für sie altersgerecht sind, schauen oder hören wir selbst erst mal rein, bevor wir sie ihr zeigen. Wenn unsere Einschätzung mal daneben liegt dann merken wir das spätestens in der nächsten Nacht, wenn sie unruhig träumt. Spannend wird das in den nächsten Jahren allerdings bei ihrem kleinen Bruder, der wird bestimmt viel von der großen Schwester mitbekommen, was sie in seinem Alter noch nicht kannte.

Ist es schlecht, Kinder vor dem Fernseher zu “parken”, damit die Eltern mal Pause haben? Ganz ehrlich, ich würde das manchmal gern noch öfter machen, aber ich sehe ja in welchen Mengen und zu welchen Zeiten es unserer Tochter noch gut tut (20 Minuten zwischen dem Abendessen und dem Vorlesen am Bett), und wann es ihr schadet (sonst eigentlich immer). Ich denke, wenn man sein Kind beobachtet und mit ihm Regeln für einen gesunden Medienkonsum findet, dann gibt es doch kein Problem.

Kinder grundsätzlich von bestimmten Medien fernzuhalten, davon halte ich gar nichts. Das sind dann die Kinder, die schreiend aus der Klasse rennen, wenn in der Schule zum ersten Mal ein Film gezeigt wird.

Viele sprechen bei der gerade aufwachsenden Generation von Millenials von den “Digital Natives”, also den Menschen, die ganz natürlich mit Technik und digitalen Medien aufwachsen. Hast du eine Meinung zu diesem Begriff und seiner Nutzung?

Bemerkenswert finde ich, dass Kinder von heute kein Leben ohne Computer kennen. Für die Kinder und Jugendlichen ist ein Alltag ohne Smartphones genauso unvorstellbar wie eine Mauer, die Quer durch Deutschland geht. Wir Eltern der Digital Natives haben so rasante technische Umbrüche erlebt wie kaum eine Generation vorher: Heimcomputer, Modem, Mailboxnetze, Internet, Laptops, Smartphones. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Entwicklung genauso rasant weitergehen wird. Vielleicht gehen unsere Kinder als Jugendliche nicht auf Facebook sondern ins Schwarmbewusstsein, um sich zu Informieren. Vielleicht erkennt ihr Haus sie beim Heimkommen. Aber wahrscheinlich wird es ganz anders sein, als wir uns das heute vorstellen. Und bestimmt wird es dann für ihre Kinder einen tollen Begriff geben der beschreibt, dass die mit dem Schwarmbewusstsein viel besser zurechtkommen als die ollen Millenials. So ist das Leben…

Zum Abschluss der große Wurf: Wo siehst du, neben deiner persönlichen Eigenleistung, Ansatzpunkte, um den Umgang mit zeitgemäßen Medien zu fördern. Was sollte getan werden, damit Kinder und Jugendliche möglichst optimal mit den Medien aufwachsen, die sie umgeben?

Natürlich müssen wir User Interfaces bauen, die schon kleine Kinder selbst bedienen können, um sie von ihren Eltern unabhängig zu machen. Einen gesunden Umgang mit Medien lernen Kinder nur, wenn sie sie selbst bedienen können, davon bin ich fest überzeugt.

Eine ganz schlimme Fehlentwicklung müssen wir korrigieren: Digitale Rechteverwaltung ist grundsätzlich böse. Wenn ich die Medien, die ich gekauft habe, nicht auf jedem Gerät konsumieren kann, dann besitze ich sie nicht. Und wenn ich für jedes Hörbuch einzeln überlegen muss, mit welcher App oder welchem Gerät ich es abspielen kann, dann versteht das kein Kind. Muss es auch nicht. Das ist Quatsch.

Weil unsere Tochter erst vier ist, habe ich aber noch einen sehr eingeschränkten Blick auf digitale Medien für Kinder – das sind bei uns aktuell Filme und Serien, Hörbücher, Xbox-Spiele zum zuschauen, Papas Youtube und gelegentlich Mal- oder Wimmelbild-Apps. Wenn unsere Kinder größer werden, dann werden wir noch vieles mit ihnen entdecken. Lets Plays, Facebook, Zickenkrieg über Whatsapp, das wird noch spannend.

Für unsere Kinder mache ich mir da nicht viel Sorgen. Ich bin der Meinung, dass wir sie gut auf das Internet da draußen vorbereiten können. Aber was, wenn Eltern sich nicht die Zeit nehmen können, die es dafür braucht? Was wenn Eltern sich nicht mit Webseiten, sozialen Netzen und all dem auskennen? Hier sehe ich keine Alternativen: Wenn man Kinder von Anfang an ohne Unterstützung vor das Internet setzt, werden sie schlimme seelische Wunden davontragen. Kinder-Firewalls können vom Konzept her schon nicht funktionieren. Und Schule kann Kindern den Umgang mit dem Internet auch nicht beibringen. Wenn man seinen Kindern das Internet vorenthält werden sie sozial ausgegrenzt, das ist auch keine Lösung. Also bleibt nur der Appell an die Eltern: Geht mit euren Kinder zusammen ins Internet und helft ihnen, sich dort zurechtzufinden. Und wenn sie die Grundregeln gelernt haben, dann redet weiter mit ihnen darüber, was sie dort machen.

Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast, die Fragen zu beantworten!

Medien

Webmontag Frankfurt: UI-Design für Kleinkinder.

URL: https://www.youtube.com/watch?v=4NPy0I2ApNg Datum des Zugriffs: 06.10.2015.

 

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