Footnoted – Nils Mohl

Anna Stemmann fragt nach bei Nils Mohl … Nils Mohl 1971 in Hamburg geboren, lebt dort auch heute noch mit seiner Familie. Für Es war einmal Indianerland (2011) wurde Mohl 2012 unter anderem mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Mittlerweile sind die unmittelbare Fortsetzung Stadtrandritter(2013) und die kleine Zwischengeschichte Mogel (2014) erschienen, die auch im Kosmos des Stadtrandgebietes angesiedelt sind. Zentraler Reibungspunkt der Protagonisten sind dabei die nicht immer leichten Prozesse des Erwachsenwerdens, das urbane Setting in der Peripherie und alle damit einhergehenden Spannungen.

Zu Beginn darf natürlich die obligatorische Autorenfrage nicht fehlen: Wie bist du zum Jugendbuch gekommen?

Wie der 17-jährige an Drogen. Man hat mich gefragt, ob ich das mal ausprobieren will. Und ich gestehe: Anfänglich war ich nicht wirklich scharf drauf. Ich hatte Respekt vor der Sache, könnte man sagen. Innerlich habe ich jedenfalls heftig mit dem Kopf geschüttelt. Nicht zuletzt auch ein typischer Akt der Arroganz. Ich war mir relativ sicher: Das Genre ist der Tod des Autors als ernstzunehmender Künstler.

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Gibt es Autoren (gerade im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur), die deinen eigenen schriftstellerischen Arbeitsprozess immer noch beeinflussen?

Eine der besonders gefürchteten Fragen, weil sie so schrecklich intim ist. Also: Ohne andere Autoren, an denen man sich abarbeitet, ginge das Schreiben ja überhaupt nicht. Nur wie spricht man halbwegs vernünftig über diese Dinge? Wenn ich an dieser Stelle Namedropping betreiben würde, käme ich mir wie der Typ vor, der aufzählt, mit wem er alles schon im Bett war. Aber gut, los geht’s. Besonders toll waren: Lindgren, Hergé, Camus, Faulkner, Djian, Brinkmann, Brautigan, Chandler, Robbe-Grillet, Carver, Götz, Coetzee, Foster Wallace. Das sind die persönlichen Säulenheiligen. Da habe ich mich dann meist auch durch das Gesamtwerk gearbeitet. Da gucke ich auch bis heute immer wieder in die Bücher. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob die schlechten Erfahrungen nicht mindestens genauso wichtig sind. Es gibt einfach keine unschuldige Lektüre. Sind Geschichten erst einmal in der Birne, bekommt man sie da im Normalfall Zeit Lebens kaum raus. Und auch lustig: Man wird als Schriftsteller selten bis nie nach Lieblingsfilmen, Lieblingsgebäuden oder Lieblingssongs und so weiter gefragt. Aber die Antworten wären auch nicht besser.

Welches Kinder- oder Jugendbuch hast du im letzten Jahr besonders gern gelesen?

Das hätte ich vielleicht eben schon anmerken sollen: Für mich existiert Literatur nur im Singular. Und ohne Präfix. Wenn es so etwas wie Jugendliteratur gäbe, müsste es dann nicht auch Seniorenliteratur geben? Was ist mit Tierhalterliteratur? Oder Männerliteratur? Oder Freibadbesucherliteratur? Alles Quatsch im Grunde. Deshalb sortiere ich das auch nicht so auseinander. Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“ habe ich zum Beispiel letztes Jahr gelesen. Die Kurzgeschichten von Ted Chiang und George Saunders. Tamara Bachs „Marienbilder“. Alles Sachen, die für Leser fast jeden Alters geeignet sind. Auf ganz eigene Art geht es in all diesen Fällen jeweils um die guten alten Fragen, vor allem also darum, wer man ist – und ob sich das womöglich ändern lässt. Dringend empfehlenswert deshalb auch: Neuerscheinungen nur in geringer Dosis konsumieren und häufiger mal zu Büchern greifen, denen die Zeit nachweislich wenig anhaben konnte. Aus der Abteilung waren in den letzten Monaten bei mir „Krabat“ und Jerzy Kosińskis „Stufen“ dabei. Beides Volltreffer.

Du schreibst  nicht nur Romane, sondern immer wieder auch reflektierte Kommentare und Essays – zuletzt sehr kluge Beobachtungen zu Wolfgang Herrndorfs Romanfragment Bilder deiner großen Liebe (2014). Bist du  literaturwissenschaftlich vorbelastet?

Bin ich. Magister der Literaturwissenschaft. Muss aber nichts zwangsläufig etwas bedeuten in diesem Zusammenhang, habe ich mir sagen lassen. Davon ganz unabhängig finde ich: Das Sprechen und Schreiben über Literatur könnte dieser Tage insgesamt ein bisschen mehr den Geschmack von Rost und Knochen haben. Auch damit dieses Wir-Leser-gehören-alle-zum-selben-Club-Getue mal ein bisschen gestört wird. Klingt das jetzt leicht garstig? Es sollte im Idealfall richtig garstig klingen. Wir tun ja immer so, als wäre Lesen an sich schon eine prima Sache. Wir tun auch gerne immer so, als wäre es sogar im Grunde schnuppe, was wir lesen. Hauptsache eben, es wird noch gelesen. Glaube ich alles nicht. Ich kriege zum Beispiel immer mächtig schlechte Laune, wenn Schwachköpfe ihre Schwachkopfbücher im Akkord lesen und sich damit dann auch noch öffentlich brüsten: „Yeah, Lesechallenge gepackt! Letzten Monat wieder 30 Bücher und 9.000 Seiten reingepfiffen.“ Und so weiter. Das funktioniert doch nur, wenn man das Hirn nicht wirklich anwirft. Sofern man mich also lässt, bemühe ich mich, so über Literatur zu sprechen, dass es im besten Fall etwas darüber verrät, was beim Lesen wirklich Glück beschert – um ein oder zwei Erkenntnisse reicher werden etwa.

Ist dir Kinder- und Jugendliteratur im Studium schon begegnet oder war das kein Thema?

In den 90er Jahren habe ich an drei Hochschulen in Deutschland studiert. Mir ist das Label nirgends aufgefallen. Ein Seminar zu Erich Kästner habe ich besucht – das ist das einzige in dieser Richtung, was mir einfällt.

In deinen Stadtrand-Romanen spielen Bezüge zu anderen medialen Erzählformen, wie dem Film oder der Musik eine große Rolle und prägen den flotten Erzählstil. Nimmst du das bewusst auf oder sind das mittlerweile präsente narrative Formen, die wie selbstverständlich einfließen?

Wie könnte man das aussparen? Nicht umsonst bedient man sich zur Beschreibung von Texten gerne ausgeborgter Begriffe wie „Komposition“ oder „Schnitt“ oder „Rhythmus“. Letztlich gibt es bei mir immer den Wunsch, für die Geschichte Inhalt, Form und Sprache so aufeinander abzustimmen, dass sich alles möglichst organisch fügt. Dafür sind lauter Entscheidungen nötig. Ich fühle mich wohler, wenn ich viele davon bewusst fällen kann. Deshalb suche ich mir meine Ideen auch links und rechts zusammen. Aus dem ganzen Fundus, der da ist. Und was stimmt: Film und Musik gehören für mich zu einem gelungen Tag dazu. Allerdings: Film und Pop = flott – die Gleichung stimmt natürlich nicht per se.

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Bei Mogel (2014) ist es z.B. sehr spannend, dass sich die Figuren via Handynachrichten permanent austauschen. Die damit verbundene knappe Sprache funktioniert als Stilmittel sehr gut und fängt die Stimmung innerhalb der Clique wunderbar ein. Führt die gewandelte Mediennutzung und ständige mobile Medienpräsenz langfristig auch zu Veränderungen in den Erzählstrategien? Oder anders gefragt: Wie beeinflusst die aktuelle Medienkultur die Konstruktion deiner Texte?

Es hat mich einige Überwindung gekostet, Textnachrichten in den Roman einzubauen. Zeug dieser Art ist furchtbar schnell überholt. Und ich mag es überhaupt nicht, wenn ich weiß, einer Geschichte ist schon wegen der Ausstattung das Verfallsdatum eingeschrieben. Hinzu kommt: Ich selbst hasse es, Kurznachrichten auf meinem 12-Tasten-Gerät zu tippen. Aber was hilft es? Diese eine Figur aus Mogel, Dimi, teilt sich seinen Freunden nur schriftlich mit, weil ihm das Sprechen aus bestimmten Gründen peinlich ist. Und dass jemand, der sich nur schriftlich mitteilen mag, heute mit Schiefertafel und Kreide herumläuft, kauft einem ja keiner ab … Insofern ist das Ganze schon ein Wechselspiel. An zeitgenössischen Texten lässt sich zeitgenössische Wirklichkeit ablesen. Logisch. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass die Medienkultur für eine enorme Beschleunigung sorgt – jetzt gerade auch was das allgemeine Wissen über Erzählstrategien angeht. Die Regeln, an die sich eine solide gestrickte Geschichte zu halten hat, sind schon lange kein Geheimwissen mehr. Das erzählerische Niveau der meisten Romane, Filme, Fernsehserien, Reportagen, aber auch der Kampagnen in Werbung und Politik ist heutzutage sensationell hoch. Und in der Regel das Ergebnis von ausgefeilter Teamarbeit. Der Literat, der in seinem Kämmerlein noch als Einzelkämpfer an seinem Kram herumbastelt, wirkt da manchmal fast schon wie ein Relikt aus vergangenen Tagen – und ein bisschen auch auf verlorenem Posten. Die Impulskraft der Literatur hat jedenfalls stark nachgelassen, scheint mir. Zugleich sind einzigartige Geschichten weiter sehr begehrt. Eine spannende Frage, wohin die Reise geht.

In den Stadtrand-Romanen geht es mitunter ja durchaus drastisch zur Sache. Mauser muss einige ruppige Faustkämpfe bestehen, wird im Wald gefesselt und allein zurückgelassen und auch Silvester gerät mit Brand III aneinander. Inwieweit hältst du Gewaltdarstellung in jugendliterarischen Texten für nötig und welche Funktionen übernehmen diese für dich?

Warum verspeisen Wölfe im Märchen kleine Kinder? Warum erzählen wir uns ehrfürchtig seit 2000 Jahren von dem Kerl, der sich ans Kreuz hat nageln lassen. Ganz offensichtlich teilen wir uns über Geschichten etwas mit, das über das Geschehen an der Oberfläche weit hinausgeht. Wir kapieren: Der Wolf ist kein Wolf, das ist der Mensch in Gestalt einer Bestie. Wir kapieren: Der Kerl am Kreuz glaubt, auf das Leid folgt Erlösung. Gewalt gehört zu den Erfahrungen, die wir alle als soziale Wesen, als Mensch unter Menschen, machen. Immer wieder. Und gerade zur der Zeit des Erwachsenwerdens sind wir vielleicht besonders empfindlich und verletzlich. Die Hornhaut ist noch dünn. Es käme mir unredlich vor, das in Geschichten auszusparen. Der Filmregisseur Bruno Dumont vertritt den Standpunkt, dass Gewalt in der Kunst wie ein Impfstoff wirkt. Erzählungen helfen uns somit, eine gewisse Immunität gegen das so genannte „Böse“, gegen die Zumutungen des Lebens also, aus eigener Kraft zu entwickeln. Ich denke, da ist was dran.

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Du bist bei Facebook und Twitter relativ aktiv, tauschst dich rege mit deinen Lesern aus und lässt dort auch mal über mögliche neue Titel abstimmen. Außerdem gab es eine Mitmachaktion, bei der gemeinsam ein Vorlesevideo zum Roman entstehen sollte. Welche Rolle spielen diese multimedialen Kommunikations- und Kontaktwege für dich als Autor?

Das ist ein Versuchsfeld. Man ist als Schriftsteller ja immer auch Schriftstellerdarsteller.

Was kommt als nächstes, stehen die Astronauten schon auf der Startrampe?

Countdown läuft. Erscheinungstermin: Frühjahr 2016. Ich bin da guter Hoffnung.

—————– Bonus-Track:

In Es war einmal Indianerland: „Ich sag mal: So bist du als Junge mit 18 einfach, oder? Eine merkwürdige Ansammlung widersprüchlicher Ichs.“ Die Identitätssuche in der Phase der Adoleszenz, der Übergang von Jugendlichen zum Erwachsenen ist permanenter Reibungspunkt für deine Protagonisten – werden wir im Abschluss der Trilogie Antwort auf diese Frage bekommen oder ist dieser Prozess vielleicht auch nach 18 noch nicht vorbei?

Nach meinem nächsten Geburtstag bin ich das erste Mal den 70 näher als der 17. Kann sein, dass ich besonders langsam bin, aber ich habe noch immer nicht den Eindruck, dass ich mit dem Erwachsenwerden und der Identitätssuche schon wirklich durch bin. Was das für mich als Schriftsteller bedeutet? Ich weiß es noch nicht. Ideen, die auch in das Genre passen würden, das ich nun seit ein paar Jahren beackere, gäbe es jedenfalls reichlich. Ich hätte zum Beispiel Lust auf einen großen Abenteuerroman mit fantastischen Elementen. Eine durchgeknallte Sache, die ich schon recht deutlich vor Augen habe. Mit Schlingpflanzen und Tretbootschwan. Mal gucken, mal gucken.

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