Von der Sehnsucht nachhaken zu dürfen
2013
Da sitzt auf dem Blauen Sofa Luke Harding vom Guardian. Er berichtet, dass er auf dem Weg nach Frankfurt seinen Laptop nicht mitnehmen konnte, aus Sorge die Behörden würden diesen am Flughafen konfiszieren. Die Angriffe auf die Pressefreiheit im Vereinigten Königreich sind ein brandheißes Thema.
Am Abend zuvor hat Julian Assange seinen Film Mediastan online gestellt, als Versuch, seine Seite der Geschichte den Erzählungen von Journalisten wie unter anderen Luke Harding entgegenzustellen. Zur Sprache kommt all dies auf dem Blauen Sofa allerdings nicht.
Am Hotspot zu Neuen Medien in Halle 3 ist ein Vortrag zu “Educational Games” angekündigt. Was man bekommt ist eine wirre Programmvorstellung eines asiatischen Spieleherstellers. Nicht nur ist die Sprechgeschwindigkeit zu schnell, um sinnvoll folgen zu können, der Inhalt der Präsentation ist zusammenhangslos und wenig informativ. Was an den Spielen “educational” sein soll, bleibt ein Rätsel. Möglichkeit zum Nachfragen gibt es auch keine. Die Präsentation endet abrupt. Applaus! Eine Assistentin verteilt große Bögen mit Aufklebern.
Buchmesse als Messe der verschenkten Gespräche?
Eine Messe ist zum Präsentieren da. Hier sollen Produkte vorgestellt, beworben und gefeiert werden. Dennoch verspricht die Buchmesse einem immer einen Mehrwert. Schließlich kommen hier alle zusammen: VerlegerInnen, AutorInnen, ÜbersetzerInnen, JournalistInnen, LeserInnen, BuchbloggerInnen. Im Veranstaltungskatalog stehen etliche Diskussionen und Interviews und auf dem Messegelände werden Hotspots und Foren zum Austausch eingerichtet. Genau betrachtet stimmt dieser Eindruck jedoch nur bedingt. Für Fachbesucher wie breites Publikum gilt meist: Miteinander reden, das tun die anderen. Diskussionen führen in der Regel Stellvertreter für einen. Oft genug interviewt sich so mancher Verlag oder Hersteller auch einfach selbst. Nachfragen oder eine kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenstand ist hier nicht vorgesehen. Schade, denn das Potential für spannende Gespräche wird eindeutig verschenkt. Auch kommt man nicht umhin sich zu fragen, wie bewusst allen Zuhörern ist, dass sie gerade eine Verkaufsveranstaltung besuchen?
2014
Fremdkörper Samsung
Auch diese Jahre wünschte man sich, man dürfte einfach mal die Hand heben, Dinge genauer und vor allem kritisch hinterfragen. So etwa bei Samsung Galaxy. In Halle 3.0, dort wo sich mal das Comic Forum befunden hat, konnte man dieses Jahr einen ausladenden Samsung Galaxy Stand bewundern. Statt Büchern lagen hier nun Smartphones und Tabletts aus, die man in gemütlichen Liegestühlen sitzend ausprobieren konnte. Der Stand hatte sicher seine Berechtigung. E-books werden ein immer wichtigeres Marktsegment und so werden auch die Geräte, auf denen Leser Bücher lesen interessant. Doch ist es sicher sinnvoller, diesem Aspekt einen eigenen Messebereich zu widmen, wo Entwicklungen besprochen und Geräte verglichen werden können. Samsung Galaxy, geht man von dem Logo auf der Bühne des Forums Kinder- und Jugendliteratur aus, trat hier jedoch als großer Sponsor der Sache Kinder- und Jugendbuch auf. Die Idee im Zentrum der jungen Konsumenten neue Smartphone- und Tablettkäufer gewinnen zu können, schien dabei jedoch eindeutig im Mittelpunkt zu stehen. Samsung Galaxy, so der Eindruck, hatte sich ganz gezielt in Halle 3.0 eingekauft.
Praktisch genauso trat der Hersteller auch in Halle 4.1 auf, in der er die Didaktik- und Pädagogikkonzepte der Zukunft präsentierte. Am Stand warben vollmundige Thesen dafür, dass man die Rolle des Lehrers und des Unterrichts neu denken müsse, da sich ja die medialen Gegebenheiten verändert hätten. Präsentiert wurde einem dann allerdings ein Konzept, dass die Rolle des Lehrers und Unterrichts genau so denkt wie zu der Zeit, als wir selbst noch die Schule besucht haben, lediglich transportiert in ein neues Medium (sprich: Smarte Tablets von Samsung). Eine Kombination aus Teacher-Pad und Whiteboard ersetzen die Tafel, ein Tablet für jeden Schüler ersetzt eigentlich gar nichts, höchstens die Kopien auf dem Tisch. Ein begeisterter Verkäufer erklärt uns die Hardware-Spezifikationen der Geräte und ist sichtlich irritiert, als wir ihn nach dem dahinterstehenden Konzept fragen. Etwas überfordert erklärt er, dass man Schülern digital das Wort erteilen könne (ersetzt das melden) und das diese in Texten Hightlights setzen können. Mehr ginge nicht und die Tablets werden nach dem Unterricht auch brav wieder abgegeben, daheim wird folglich wahrscheinlich in den meisten Schulen weiter mit Kopien auf Recyclingpapier gearbeitet. Wo hier Unterricht neu gedacht wird, war uns nicht klar, dem Menschen am Stand wohl auch nicht. Es war ihm aber auch egal, so zumindest deuteten wir seinen Kommentar, dass ja auch eigentlich niemand mehr Partizipation und Kollaboration von Schülern wolle.
Die Sehnsucht, nachhaken zu dürfen, wurde in dieser Begegnung gezielt unterbunden. So ähnlich wie bei Samsung, meist nur weniger plakativ, erging es uns auch noch bei einigen anderen Anbietern neuer Lehr- und Lernkonzepte. Jeder schien vor allem am Verkauf seines Produkts interessiert, eine Diskussion über die dahinterstehenden Konzepte blieb aus und konnte auch erst gar nicht geführt werden, da die Anbieter eben ihre VerkäuferInnen geschickt hatten und nicht die Köpfe, die das System erdacht hatten.
Es stellt sich die Frage, wie das Auftauchen von Anbietern wie etwa Samsung auf der Messe auf lange Sicht zu bewerten ist. Sollte die Messe es wirklich fördern, dass nicht-buchverbundene Großkonzerne sich Werbefläche anmieten und dabei Verlage gegebenenfalls marginalisieren? Fairerweise könnte man hier ins Feld führen, dass die Buchmesse schon lange auch ein Ort buchfremder Produkte ist (Cosplay, Kochshows, Konzerte, etc.). Auch ist die Buchmesse schon lange ein Verkaufsort buchfremder Produkte (DVDs, Kochutensilien, Musik, etc.). Doch losgelöst vom präsentierten Medium stellt sich einfach die Frage, ob es für eine Messe förderlich sein kann, wenn niemand mehr Lust hat, zumindest eine echte Diskussion über die dort beworbenen Gegenstände zu führen. Kaufen kann man diese nämlich auch einfach im Internet.
Nymphs im Agora Lesezelt
Ebenso ärgerlich mit anzusehen oder vielmehr anzuhören war die Vorstellung des Buches Nymphs (unsere Rezension findet ihr hier) aus dem Verlagsprogramm von Fischer Kinder- und Jugendbuch im Agora Lesezelt am Samstagnachmittag. Es muss vorweggeschickt werden, dass die Buchpräsentation grundsätzlich durchaus schön gestaltet war: Fischer hatte zu dem Interview die Autorin der Bücher, Sari Luthanen, und den Regisseur der Serie, Miikko Oikonen, geladen. Ebenso anwesend war Sprecher Isaak Dentler, der zwei längere Passagen aus dem ersten Band vorlas. Moderiert wurde das Gespräch von einer Übersetzerin, welche namentlich leider nicht im Programm erwähnt wurde, die jeweils die Fragen stellte und die Antworten der Gäste vom Finnischen ins Deutsche übersetzte. Das Interview war oberflächlich (Was war zuerst da, Buch oder Serie? Wo wurde gedreht? Woher kam die Idee?) und auf eine erste Einführung der Serie und des Buches auf dem deutschen Markt ausgelegt. Hier erfuhr man ein paar grobe Fakten, die keinem wehtun. Schön und gut. Bei vielen von Luthanen und Oikonen gelieferten Antworten musste man sich ab einem gewissen Punkt jedoch durchaus fragen, ob das Publikum einfach nur ‘veräppelt’ werden sollte.
Für jene, die weder das Buch noch unsere Rezension gelesen haben: Nymphs ist ein wenig literarisch ansprechend geschriebener Softporno, in dem es darum geht, dass ein minderjähriges Mädchen herausfindet, dass sie eine Nymphe ist und um zu überleben, zu jedem Vollmond mit einem Mann schlafen muss. Der Weltenaufbau und die Handlung fokussiert darauf, zu beschreiben, wer gerne mit wem Sex hätte und hat und, dass der Anführer der Satyrn, welche sich Nymphen traditionell als Sexsklavinnen halten, Didi sehr erregend findet. Themen, die hier durchaus relevant gewesen wären, sind die Romantisierung von Zwangssex, Sex mit Minderjährigen und die Adressierung von erotischen literarischen Nachrichten an 14 Jährige.
Dass all dies Themen sind, die bei einem solchen Event sicher nicht zur Sprache kommen sollen ist verständlich, schließlich ist es ja eine Messe und man will Werbung machen. Ärgerlich war jedoch, welches Bild hier stattdessen versucht wurde zu erzeugen. Statt zu schweigen, über den äußerst fragwürdigen Inhalt des Romans, wurde dreist intellektueller Anspruch kommuniziert. So gab Sari Luthanen an, dass sie Mythen und Märchen schon während ihres Literaturstudiums sehr interessiert haben. Beide, Oikonen und Luthanen, berichteten, dass der Hintergrund für die Welt der Nymphen in anderthalbjähriger Recherche entstanden sei, wobei sie sich viele alte Gemälde zur Inspiration angesehen hätten. Auch die Anziehungskraft der Nymphen sei in ein realistisches, medizinisches Gerüst eingebettet, nämlich einer Theorie, die auf Pheromonen beruht. Doch nicht nur konstruierten die Macher der Serie und des Buches, ihre Produkte als anspruchsvoll, auch ermächtigend für die weiblichen Figuren solle es sein. So gab Oikonen auf die Frage, was das Erfolgsgeheimnis von Nymphs sei, an, dass es ein neues und frisches Konzept sei. Es würde den Fantasytrend bedienen und dennoch anders sein als Twilight, wo die Mädchen alle jungfräulich seien und gerettet werden müssten. Bei Nymphs, so der Regisseur, wäre das umgekehrt. Hier wären die Mädchen nicht jungfräulich (*grins*) und es wären die Frauen, die den Männer überlegen sind. Nun ist die Idee krankhaft triebgesteuertes Sexualverhalten als eine Art sexuelle Befreiung, einer biederen, amerikanischen Sittenmoral gegenüberzustellen äußerst absurd. Auch definieren sich Didi und ihre Beschützerinnen Katja und Nadia ausschließlich über ihre aktuellen und vergangen Beziehungen zu Männern. Didi ist zusätzlich extrem unfähig, stolpert ständig und träumt von schützenden Männerarmen. Emanzipiert geht auf jeden Fall anders.
Es ist das Messesystem des nicht-nachfragen-Dürfens, das solche irreführenden Präsentationen ermöglicht. Sicher würden sich weniger Aussteller auf solch eine Bühne begeben, wenn damit die Gefahr einher ginge, ins Kreuzverhör genommen zu werden. Vielleicht würde so aber auch verhindert werden, dass die Zuschauer ganz von der Intention der Veranstalter abhängig sind und man einfach alles erzählt bekommen kann, ohne dass es kritisch hinterfragt werden könnte.
Was bleibt ist die Sehnsucht nachhaken zu dürfen.