Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket
Barnaby Brocket ist nicht wie andere Menschen. Von Geburt an scheinen die Gesetze der Schwerkraft nicht für ihn zu gelten. „For Barnaby Brocket, the third child of the most normal family who had ever lived in the southern hemisphere, was already proving himself to be anything but normal by refusing to obey the most fundamental rule of all. The law of gravity.“ (11) Auch liegt es nicht in seiner Macht, ob er nun schweben möchte oder nicht. Barnaby ist einfach schwerelos und dies sehr zum Leidwesen seiner Eltern, die sich selbst dazu beglückwünschen, ausgesprochen normal zu sein. Während Alistair und Eleanor Brocket also nun Matratzen an die Decke nageln, damit der sonderbare Spross sich nicht verletzt oder widerwillig die Blicken der Nachbarn ertragen, während sie ihren Sohn wie einen Luftballon hinter sich her schweben lassen müssen, formt sich ein Plan in ihren Köpfen. Ein Plan, der die Ordnung wieder herstellen soll…
Einmal um den Globus führt dann, nach der schrecklichen Tat der Mutter, die Handlung des Buches. Es ist eine Reise zurück nach Australien und zurück zur Familie. Stets begegnen Barnaby dabei weitere ‚Andersartige‘ und ihre Geschichten. Zum Beispiel Liam McGonagall, sein ehemaliger Schulfreund, der Haken statt Händen besitzt, da er ohne Hände geboren wurde. Oder Marjorie und Ethel, zwei ältere Damen, die eine Kaffeefarm in Brasilien besitzen und welche sehr, sehr eng ‚befreundet‘ sind. Wie Barnaby wurde auch Ihnen in ihrer Jugend von den Eltern erklärt, dass etwas mit ihnen nicht stimmt.
Familienverhältnisse – Anderssein oder Anpassung
So ist Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket nur auf den ersten Blick ein unglaubliches Abenteuer, eine „magische Reise durch die Welt“, wie Fischer den Roman auf seiner Internetseite beschreibt.[ii] Unter der Oberfläche lauert das, was der englische Originaltitel The Terrible Thing that Happened to Barnaby Brocket von Anfang an in den Vordergrund rückt – eine Geschichte vom Anderssein und den schrecklichen Dingen, die Menschen passieren, die anders sind. Zwar etwas episodenhaft erzählt, jedoch äußerst komplex verhandelt die Geschichte dabei das Verhältnis von Familienzugehörigkeit und der Möglichkeit zu wählen, wer man ist. Im Zentrum der Lebensgeschichten der Figuren steht daher die Beziehung von Eltern und Kindern und die Fragen danach, wann man aufhört zu einer Familie zu gehören. Was ist man bereit zu tun, um noch Teil des Familienverbundes zu sein? Inwieweit ist Familie wichtiger, als die Kränkung, dass das eigene Kind anders ist als man selbst und ist Vergebung möglich ist?
Gleichgeschlechtliche Liebe – Vom Sein-wie-man-ist
Dabei greift der Roman unter anderem aktuelle Diskussionen zur gleichgeschlechtlichen Liebe auf. Barnaby schwebt und Liam hat Hakenhände, so wie Schwule und Lesben nun einmal schwul und lesbisch sind – von Geburt an. „No, I was born like this,[…] It was just one of those things“, gibt Liam Auskunft, als Barnaby fragt, ob er seine Hände durch einen Unfall verloren hat. Das ‚ungewöhnliche‘ Ereignis wird so normalisiert und für alltäglich erklärt. „Some people have no sense of style, […]. But me, I have no hands“ (44), fährt Liam fort und nimmt dem angeblichen Skandalon den Stachel. Beide, Liam und Barnaby, so wird deutlich, sind wie sie sind. Ihr Sein ist kein ‚Lebensstil‘ für den sie sich entscheiden. Wenig verwunderlich ist es daher, dass die ersten, die Barnaby auf seiner Weltreise helfen, Marjorie und Ethel sind, das klar als solches gekennzeichnete lesbische Paar, welches den schwerelosen Jungen sofort akzeptiert. Dass die älteren Damen und Barnaby einander ähnlich sind, wird schon allein dadurch deutlich, dass Marjorie und Ethel einen Heißluftballon besitzen, sich also wie Barnaby gerne schwebend fortbewegen. Wer könnte den jungen Brecher von Naturgesetzen auch besser verstehen, als jene, so impliziert der Roman, denen es in der Jugend zum Vorwurf gemacht wurde, wenn sie die Gesetze der Heteronormativität außer Kraft setzten? Alle Drei verbindet so die Tatsache, dass sie das Natürliche als verhandelbar in den Raum stellen.
Wunderbare Vielfalt
Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket feiert Anderssein auch als einen Ort der eine besondere Sicht auf Dinge möglich macht. Anderssein bedeutet einzigartig sein. Und so ist der Roman mit seinem Aufgebot an besonderen Individuen in gewisser Weise eine Hommage an Vielfalt, an ein Wunderbares, welches erst durch ein Abweichen von Norm möglich wird. Doch löst sich dieses Wunderbare im Roman nie in reine Freude auf, stets bleiben die schrecklichen Taten der Mitmenschen präsent. Schweben ist Freiheit, doch bedeutet auch Bodenlosigkeit und Abgrund, wenn es niemanden gibt der einen sichert. Und so, wie alle seine Freunde, denen er begegnet ist, muss auch Barnaby sich am Ende die Frage stellen, was er bereit ist zu tun, Teil seiner Familie zu werden.
Für Interessierte hier noch der Buchtrailer von Random House: