Eine herkömmliche Rezension über The Fullbright Companys 2013 erschienenes Gone Home ist nur sehr schwer zu schreiben. Jedes Wort zuviel über die Handlung des Spiels, würde ihm seinen einmaligen Reiz nehmen. Um Spoiler an dieser Stelle zu vermeiden, wird der Artikel stattdessen das Setting des Titels ins Auge fassen und über dessen Zielgruppe nachdenken.
Eine unerwartete Heimkunft
Zu Beginn soll die Ausgangssituation von Gone Home in aller Kürze umrissen werden. Protagonistin des Spiels ist Kaitlin Greenbriar, eine Studentin, die nach einem Auslandsjahr in Europa im Juni 1995 in das Haus ihrer Familie zurückkehrt. Auch wenn ihre Ankunft sehr kurzfristig angekündigt ist, erwartet sie, dort ihre Eltern und ihre jüngere Schwester Samantha, kurz Sam, anzutreffen. Wie sich schnell herausstellt, ist das Anwesen jedoch vollkommen verlassen. Kaitlin geht daher im gesamten Haus auf Spurensuche und erkundet dafür akribisch Raum für Raum. Dabei findet sie zahlreiche persönliche Gegenstände der Bewohner, vor allem Texte, Briefe, Nachrichten und Notizen aller Art. Die Schriftstücke bringen im Laufe des Spiels langsam Licht ins Dunkel und erzählen Kaitlin dabei auch noch, wie sich das Leben ihrer Familie im Jahr ihrer Reise verändert und entwickelt hat.
Die Spielmechanik ist ganz auf das Erkunden des Heims ausgerichtet. Man läuft durch die Räume, nimmt Gegenstände auf und betrachtet sie, legt sie danach wieder ab und geht weiter. Selten findet man einen Schlüssel, welcher einen vorher verschlossenen Bereich des Hauses öffnet, die meisten Räume sind von Beginn an begehbar. Einen großen Wert legt der Titel darauf, dass sich seine SpielerInnen tatsächlich alle Textstücke durchlesen. Lediglich einige Tagebucheinträge der jüngeren Schwester sind vertont, alle restlichen Dokumente liegen rein visualisiert-schriftlich vor. Durch ein reduziertes und entschleunigtes Gameplay wird der Fokus ganz auf die aufwendigen Details gelegt. Der Spieler konzentriert sich dadurch merklich auf die durch die Umgebung hervorgerufene Stimmung.
Textadventure
Wie oben erwähnt, befindet man sich im Jahr 1995. Dieses Datum wurde von den Machern des Spiels bewusst gewählt, um Kommunikation auf Papier als Norm setzen zu können, wie Steve Gaynor erklärt: “For Gone Home to work, you need to be able to find handwritten notes between people and turn on the answering machine and find all of this physical evidence of what went on. If we set it any later than ’95, they’d have AOL. Somebody would be using a pager.”
Durch die Nutzung vieler verschiedener Textsorten entsteht eine besondere Art der Kommunikation mit und zwischen den Mitgliedern der Familie. Ihre physische Abwesenheit wird durch die Anwesenheit ihrer Meinungen, Erlebnisse und Geheimnisse in textlicher Form ersetzt.
Durch das Auffinden von Fragmenten, die auch in Papierkörben und Ritzen in der Wandvertäfelung stecken können, setzen sich die Geschichten der Familienmitglieder nach und nach wie ein Mosaik zusammen. Man erfährt intime Details über den Job der Mutter, die Schriftstellerei des Vaters oder das Aufwachsen der Schwester, welche in früheren Gesprächen anscheinend nicht artikuliert wurden. Dem Spiel gelingt es, ein ausführliches und glaubhaftes Familienportrait zu entwerfen.
Do you remember the 90’s?
Diese Authentizität entsteht nicht nur durch die auffindbaren Texte, sondern auch durch das Interieur des Hauses. In jedem Raum, in jeder Ecke, finden sich Artefakte der 90er Jahre. Seien es sauber beschriftete VHS-Kassetten, elektronische Schreibmaschinen, schrille Klamotten oder fragwürdige Motive auf Cornflakespackungen – SpielerInnen, die die 90er Jahre miterlebt haben, werden ständig Momente des Wiedererkennens und -entdeckens erleben. Diese Nostalgie kann charmant wirken, vor allem aber hilft sie dabei, das Setting von Gone Home realistisch und nachvollziehbar wirken zu lassen.
Die herumliegenden Memorabilia verleihen den jeweiligen Figuren weitere Charakterzüge. Im Haus finden sich beispielsweise vom Vater verfasste Krimiromane. Hebt man diese aus einem Karton, finden sich darunter Erotikhefte. Mixtapes von Punkbands, welche Sam als Ausdruck eines adoleszenten Protestes zu hören scheint, liegen überall herum. Wo immer man sie findet, steht ein Tapedeck nicht weit, um die Erkundung des Raums mit Musik zu untermalen. Zusätzlich zur Musik finden sich Poster und Konzertflyer der gerade gespielten Bands.
Die Familie ist damit auf gewisse Weise stets durch ihre persönlichen Hinterlassenschaften anwesend. Gerade Sam, deren Tagebucheinträge vertont sind, wirkt im gesamten Haus ausgesprochen präsent. Das Anwesen der Greenbriars wirkt trotz seiner physischen Verlassenheit bewohnt und alles andere als leer.
Ein Spiel für Erwachsene
Sowohl die Spielmechanik als auch das Setting von Gone Home wirken darauf ausgelegt, ein ‘älteres’ Publikum anzusprechen. Um mit dem Interieur des Anwesens etwas verbinden zu können, muss man in den 90ern aufgewachsen oder bereits erwachsen gewesen sein. Jüngere Spieler dürften an der Erkundung und der damit verbundenen Rückerinnerung an typische Dinge dieser Epoche weit weniger Gefallen finden. Die Entwickler selbst scheinen diesen Effekt durchaus bewusst einkalkuliert haben, wie Gaynor deutlich macht: “The intent is to work with that familiarity that people have with their memories of this time. To make it feel authentic and real and relatable in a way that another setting in a decade we weren’t actually alive in or a totally fictional location doesn’t have the advantage of.”
Nicht nur zeitlich, sondern auch spielerisch wirkt der Titel schon beinahe rückschrittlich. Man geht durch die verschiedenen Zimmer, nimmt sich Zeit, betrachtet Gegenstände und liest Texte. Man wird nicht gezwungen, all dies zu tun, jedoch wird man bei Verzicht der Handlung nicht mehr folgen können. Im Vergleich zu gegenwärtigen (und aufwendiger produzierten) Titeln wirkt Gone Home geradezu behäbig. Der Freiraum, der SpielerInnen bei ihrer Erkundung gelassen wird, ist ebenfalls untypisch für den Großteil zeitgenössischer Spiele. Das Fehlen klarer Anweisungen könnte daher ebenfalls zu Missmut führen
Unabhängig von der Altersfreigabe liegt hier also ein Spiel vor, für das man durchaus zu jung sein kann.
Jugendbilder
Wenn es sich hierbei um ein Spiel für Erwachsene handelt, wieso wird es dann auf einem Blog für Kinder- und Jugendmedien besprochen? Der Grund liegt vor allem in dessen überaus gelungener Zeichnung der jugendlichen Figuren, besonders natürlich Kaitlins Schwester. Die Handlung legt nahe, dass Sam im vergangenen Jahr mit dem Höhepunkt ihrer Pubertät zu kämpfen hatte. Damit einher gehen ein Nachdenken über ihre Rolle in der Schule, dem Freundeskreis und der Familie, die Erforschung ihrer Sexualität und ein sich entladender Generationenkonflikt. Die Art, wie Sam in ihren Tagebüchern, Aufzeichnungen und Geschichten schreibt und spricht, wirkt vielschichtig und nachvollziehbar. Ihre Stimmungen variieren von spielerischer Unbekümmertheit bis zu pessimistischem Schwermut.
Da die Konflikte in der Familie von all ihren Mitgliedern thematisiert werden, ergibt sich ein multiperspektivisches Bild von Kindern, Eltern, und ihrer Beziehung zueinander. Ohne die Figuren in einen tatsächlichen Dialog miteinander treten zu lassen, gelingt es dem Spiel, sie alle in eine tiefgründige Erzählung zu packen.
Für die Qualität seiner Handlung, ihrer außergewöhnlichen Inszenierung und der Detailverliebtheit des Settings verdient Gone Home Beachtung auch im Bereich der Kinder- und Jugendspiele. Keinesfalls soll jugendlichen SpielerInnen abgeraten werden, den Titel auszuprobieren. Um damit warm zu werden, ist es jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass viele Elemente ungewöhnlich umgesetzt werden. Entstanden ist daraus ein mutiges Spiel, welches nicht jedem gefallen will, aber an dem man dafür potentiell umso mehr Gefallen finden kann.
Medien
Sämtliche Screenshots sind Ingame-Material des Titels Gone Home
Gone Home. The Fullbright Company. 2013. Computerspiel.
Onyett, Charles: Gone Home is Undiluted Adventure. The Fullbright Company emphasizes mood and exploration above all else. 2012. http://www.ign.com/articles/2012/11/15/gone-home-is-undiluted-adventure. Letzter Zugriff am 03.02.2014. Internetartikel.