Gorkicht im Gemank

Frei nach Lewis Carrolls Klassiker Alice im Wunderland widmete sich die vierte Fernkurstagung der Wiener STUBE Verrücktheiten aller Art. Vom 8-10.5.2015 wurde der kleine Ort Strobl am Wolfgangsee zum Treffpunkt und regen Diskussionsort zwischen Fernkursteilnehmern und Wissenschaftlern aus der Kinder- und Jugendliteraturforschung. Die Vorträge zeichneten dabei verschiedene mediale, topographische und ästhetische Zurück-, Ver-, und Entrückungen nach und zeigten die vielseitigen Facetten der Kinder- und Jugendliteratur auf. Ergänzt wurde das wissenschaftliche Programm durch eine Lesung der Autorin Holly Jane-Rahlens, einem Werkstattgespräch mit dem Illustrator Tobias Krejtschi und einem Lyrik-Podium.

„We’re all mad here“

Nach der stimmigen Begrüßung durch STUBE-Leiterin Heidi Lexe führte der kurzweilige Opener ihres Teams in das Tagungsthema ein: eine selbstproduzierte Film-Adaption des Alice Stoffs verlegte diesen in das Hier und Jetzt im Wiener Setting – inklusive Außendreh am Stephansdom. In die Hauptrollen schlüpften Heid Lexe, Kathrin Wexberg, Christina Ulm, Elisabeth von Leon und Simone Weiss, die wie nebenbei auch für einen perfekten Ablauf der gesamten Tagung sorgten.

Emer O’Sullivan setzte mir ihrem Eröffnungsvortrag die Beschäftigung mit Alice im Wunderland fort und zeigte aus translationswissenschaftlicher Perspektive die Herausforderungen einer Übersetzung des Englischen Originals ins Deutsche und deckte dabei auch die Konstruktion einer spezifischen ‘Britishness’ unter imagologischer Sichtweise auf. Die vielschichtigen parodistischen Dimensionen und der Nonsense Carrolls gehen in den Übersetzungen oft nicht nur verloren, sondern werden teilweise bewusst abgemildert. So zeigte sich, dass in vielen Übersetzungen umfangreiche Passagen hinzugefügt, Witze geglättet oder Bezüge ausgelassen werden. Eine wichtige Position nehmen in diesem Gefüge vor allem die Paratexte der jeweiligen Ausgaben ein. Das Wechselspiel aus Übersetzungen und Rückübersetzung bettet O’Sullivan schließlich auch in einen akademischen Diskurs ein und verfolgte die teilweise irrwitzigen Zurückrückungen von Alice.

Beschlossen wurde der erste Tagungstag mit einer Lesung von Holly Jane-Rahlens, die zunächst eine fast schon szenische Lesung ihres Romans Everlasting vortrug und im anschließenden Gespräch mit Heidi Lexe über ihre Werke diskutierte. Sie gab interessante Einblicke in ihren Recherche- und Arbeitsprozess, aber auch den teilweise verrückten Abläufen der Verlagsentscheidungen. Beendet wurde der unterhaltsame Abend mit einer kurzen Lesung aus ihrem neuen Werk Blätterrauschen.

Den zweite Tag eröffnete der Vortrag von Anna Stemmann (– und somit der Autorin dieses Berichts). Der Beitrag spürte (topo)graphische Entrückungen und verrückten Räume des Erzählens nach, die sich in aktueller Kinder- und Jugendliteratur in verschiedenen intermedialen Formen zeigen: Medienwechsel, Medienkombinationen und intermediale Bezüge wirken auf die poetologische Formen des Erzählens ein und lassen zunehmend hybride Räume des Erzählens entstehen. Es galt frei nach Wolfgang Herrndorf: „Verrückt sein heißt ja auch nur, dass man verrückt ist und nicht bescheuert.“

Michael Staiger schloss mit seinem Vortrag an diese theoretische Rahmung an und widmete sich den intermedialen Transponierungen des Märchens Die drei kleinen Schweinchen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. So schlug er einen klugen Bogen zwischen den Medienwechseln und Medienkombinationen, die den Stoff immer wieder in unterschiedlichen Genres, Stilen und Medien subtil transformiert, ergänzt oder verändert haben. Zentral sind dabei verschiedene Verfahren: über die Bildebene werden beispielsweise zusätzliche Informationen eingebunden, die den Erzähltext erweitern; dieser kann aber auch durch inhaltliche Änderungen entschärft und harmonisiert werden. Durch Perspektiv- oder Rollenwechsel entstehen parodistische Dimensionen, wenn beispielsweise aus der Sicht des Wolfes erzählt wird, so dass sich in diesem intermedialen Spannungsfeld der Kern des Stoffes teilweise umfassend verändert.

Nach der ausgiebigen Mittagspause bot Stefan Slupetzky unter der Ankündigung, er sei dort als Vogel und nicht als Ornithologe, einen unterhaltsamen Ausflug in Sprachspielereien, Reime und verrückte Buchstabenfolgen wie Anagramme, Palindrome und Pangramme. Diesen spielerischen Zugriff auf die dehnbaren Facetten von Sprache setzte auch das Format des international besetzen Lyrik-Podiums fort. Unter dem Motto „Was uns trennt ist die gemeinsame Sprache“ diskutierte Heidi Lexe mit Christine Tresch, Oliver Hepp und Stefan Slupetzky über die diversen Varietäten und Mundarten des Deutschen – Plattdeutsch, Bayrisch, Helvetismen und Wienerisch gingen munter durcheinander.

Den Abend beschloss Peter Rinnerthaler mit einem anregenden Werkstattgespräch, das er mit dem Illustrator Tobias Krejtschi führte. Gemeinsam bewegten sie sich durch die verschiedenen Werke Krejtschis und zeigten die doppelsinnigen Lesarten und Bildzitate auf.

Den letzten Tagungstag musste ich wegen des Bahnstreiks leider vorzeitig verlassen, so dass ich den Vortrag von Silke Rabus über die Metaebenen des Bilderbuchs und Manuela Kalbermattens Betrachtungen des Cyborgs in gendertheoretischer Perspektive leider verpasst habe.

Die beiden vorangegangen Tage waren aber nicht nur durch die vielseitigen Vorträge geprägt, sondern vor allem durch den regen Austausch danach und in den Pausen. Zwischen Referenten und Publikum gab es anregende Synergien, die beide Seiten bereichert haben.

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