Willkommen im Club: How to Be Gay

„Warning: Honestly explicit in parts!“ steht auf dem Klappentext der deutschen Ausgabe von James Dawsons How to Be Gay, dieses Jahr erschienen im Fischer Kinder- und Jugendtaschenbuch. Angelehnt an Warnhinweise auf Filmen und Musikalben wird so ein popkulturell bekanntes Signal gesetzt, dass in diesem Titel kein Blatt vor den Mund genommen wird. Vorausgreifend kann erwähnt werden, dass How to Be Gay genau aus diesem Grund ein starkes, ehrlich wirkendes und informatives Sachbuch für Jugendliche (und Erwachsene) geworden ist, die sich mit dem Themenkomplex des Schwul- und Lesbischseins und der Bi- und Transsexualität befassen möchten.

Exklusive Clubs haben viele Regeln

Dawson eröffnet das erste Kapitel seines Buchs mit einem Vergleich, dass ihm an vielen Stellen als roter Faden dienen wird: „Ein alter Witz lautet, dass man allen jungen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transleuten bei ihrem Coming-Out einen Mitgliedsausweis und eine Gebrauchsanleitung in die Hand drücken sollte.“ (S. 8) Die Club-Analogie (im deutschen wäre ebenso das Wort Verein passend gewesen) funktioniert in der Gliederung des Textes erstaunlich gut: Zuerst widmet sich Dawson ersten Anzeichen des Interesses, also der Erkenntnis, dass man sich für den Club interessiert – man entwickelt Gefühle für das eigene Geschlecht, orientiert sich sexuell gleichgeschlechtlich oder stellt seine eigene Geschlechtsidentität in Frage.  Mit dem Interesse an der Sache kommt vor der Mitgliedschaft, also dem Coming-Out, eine lange Phase, in der sich die Frage gestellt wird, ob man in diesem Club ‚richtig ist‘. In How to Be Gay wird dies durch ausführliche Kapitel zu Etikettierungen, Stereotypen, Klischees, naturwissenschaftlichen Studien und Ängsten abgedeckt. Nach dem Coming-Out (zu dem der Autor immer wieder nachdrücklich ermutigt) folgt quasi das Leben im Club und es geht um Dating, Sex, Zusammenleben, Identitätsaufbau und die Kommunikation mit der Umwelt.

Die Kapitelübersicht zeigt bereits, dass der Text bemüht ist, Lesern eine umfassende und offene Aufklärung zum Thema zu bieten. Unterstützung holt sich der Autor dabei in jedem Kapitel von unterschiedlichsten Stimmen aus der LGBT*-Community, welche er im Rahmen der Arbeit an seinem Sachbuch durch eine Umfrage eingeholt hat.

Etiketten, Hüte und Clubausweise

Dawson ist sichtlich um umfassende Aufklärung im doppelten Sinne bemüht. Er möchte seine Leserschaft informieren und das Thema dadurch auf der einen Seite normalisieren, Ängste nehmen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, auf der anderen Seite aber auch gesellschaftliche Vorurteile und die Abneigung gegen alles, was der Normativität widerspricht, aufzeigen und problematisieren. Immer wieder beschäftigt sich der Text mit Labeln, solchen, die von der Gesellschaft an Mitglieder der LGBT*-Community herangetragen werden und solchen, die innerhalb der Community kursieren. So geht es zu Beginn des Buchs um grundlegende Erklärungen der Labels lesbisch, gay, bisexuell, queer, neugierig, asexuell, Transgender, Intersexualität und Cisgender (S. 27-42). Nach den Grundlagen folgt an späterer Stelle die ‚Feinabstimmung‘ und im Abschnitt über Stereotype werden Gruppen innerhalb der Szene erklärt, wie etwa Cubs, Twinks, Butchs oder Lipstick-Lesben (S. 64f). Was diese Kategorisierung gelingen lässt, ist die ambivalente Erzählweise, mit der Dawson an das Thema herangeht. Es gelingt ihm, sowohl ernsthaft als auch mit einem deutlich erkennbaren Augenzwinkern zu schreiben. Ein Beispiel: „Natürlich gehören die meisten Lesben und Schwulen in keine dieser Kategorien, sondern stehen einfach auf Leute mit den gleichen Geschlechtsmerkmalen. Mit der Identität ist das wie mit einem dicken Buffet – ihr könnt euch mit einem Klacks Homo begnügen oder euch so viele Etiketten auf den Teller schaufeln, bis er überquillt.“ (S. 66) Durch seinen Erzählstil schafft How to Be Gay es, sein Anliegen klar, ernsthaft und gleichzeitig als absolute Normalität herüberzubringen. Dies gelingt unter anderem immer wieder durch Verweise auf die normgebende Heterosexualität, zum Beispiel durch „Dinge, die nie jemand sagt: Wann hast du gemerkt, dass du heterosexuell bist?“ (S. 20)

Die Angst, im falschen Club zu sein

Gerade durch die Leichtigkeit seiner Erzählung schafft der Titel es, die Thematisierung der Angst vor dem Coming-Out und dem gesellschaftlichen Hass, der der LGBT*-Community entgegenschlägt, eindrücklich zu schildern. Unterstützt von einer Menge an Daten wie etwa aus „Homophobic Hate Crime: The Gay British Crime Survey 2013“ (S. 104) spricht Dawson ungeschönt von psychischer und physischer Gewalt gegen Menschen, die in den Augen engstirniger Gruppen von der Norm abweichen. In einem politischen Abschnitt listet der Text Länder auf, in denen homosexuelle Handlungen unter Strafe stehen, kurze Zeit später geht es um die Haltung der größeren Weltreligionen zur Homosexualität. Auch in diesem Abschnitt lässt Dawson Menschen zu Wort kommen, die von politischer Verfolgung, religiöser Unterdrückung oder gesellschaftlicher Ausgrenzung berichten. Der starke Kontrast, der zwischen diesen Kapiteln und den deutlich positiveren Themen des restlichen Buches liegt, verstärkt den Eindruck, den das Gelesene auf einen hinterlässt, zusätzlich.

Liebe, Kennenlernen und ganz viel Sex

Nach dem Coming-Out und dem damit verbundenen Eintritt in den Club kommt der Alltag in ebendiesem. Der Text widmet gut eine Hälfte seines Umfangs dem Sozial-, Liebes- und Sexleben der LGBT*-Community und bespricht dabei ebenso offen wie zuvor alle relevanten Themen, von der schwul-lesbischen Clubszene über Dating- und Sexapps hin zu konkreten Sextipps für Schwule, Lesben und Transmenschen. Auch zu diesem Thema gelingt Dawson die elegante Gratwanderung, seine Inhalte ernstzunehmen und diese gleichzeitig entwaffnend offen und humorvoll anzusprechen. Erneut greift er zu seinem schon vorher gewählten Mitteln, Klischees und Stereotype zu schildern, um diese anschließend auf ihre Hieb- und Stichfestigkeit abzuklopfen. Unter der Kapitelüberschrift „Warum sind alle schwulen Männer dauergeile Schlampen“ (S. 214) spricht er beispielsweise über gesellschaftlich-historische Entwicklungen, die dazu geführt haben könnten, dass der Schwulenszene eine größere Promiskuität innewohnt, als das (zumindest nach außen hin) bei Heterosexuellen der Fall ist.
Auch zum Thema Safer Sex vertritt How to Be Gay eine klar bejahende Meinung und unterstreicht dieses Plädoyer mit der an manchen Stellen schon lustvollen Schilderung von Geschlechtskrankheiten. Ein Beispiel gefällig? Bitte sehr: „Filzläuse, auch ‚Sackratten‘ genannt, sind grässliche Tierchen, die sich vor allem in den Schamhaaren einnisten. […] die lästigen Biester sind verdammt hartnäckig. Das stellt euch vor die äußerst unangenehme Pflicht, eure Eltern einzuweihen. Die kleinen Ungeheuer setzen sich nämlich auch in Bettwäsche, Handtüchern und Kleidung fest, und eure gesamte Wäsche muss ausgekocht werden. Ansonsten besteht Gefahr, dass ihr eure Filzläuse an Mutti und Papi weitergebt.“ (S. 221)

Die erste Regel des LGBT*-Club: Redet über den LGTB*-Club!

Mit diesem launigen Zitat über Filzläuse soll ein starkes Plädoyer für James Dawsons How to Be Gay ausgesprochen werden und zwar vollkommen unabhängig davon, ob man gerade jugendlich ist und über sein Coming-Out nachdenkt oder nicht. Das Buch hilft in seiner offenen und ehrlichen Art dabei, aktuelle Diskurse der LGBT*-Community nachzuvollziehen und zu verinnerlichen. Ohne die Erfahrungswerte zu besitzen, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass das Buch eine echte Hilfestellung beim schwierigen Prozess des sexuellen Identitätsfindung sein kann. Den Text zu lesen bedeutet auf alle Fälle, Aufklärungsarbeit für sich selbst zu leisten, ganz egal, ob man sich bereits für eine tolerante und aufgeklärte Person hält oder nicht. Durch seine starke Unterfütterung mit Quellen, Daten, empirischen Studien und persönlichen Anekdoten bietet der Text für jede Person etwas Neues und Lernenswertes.

Literatur

Dawson, James: How to Be Gay. Alles über Coming-Out, Sex, Gender und Liebe. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Fischer Taschenbuch: Frankfurt am Main 2016.

Kommentare sind geschlossen.