Graduiertenkonferenz, 11. April 2013, California State University, Long Beach
Es sollte schon einen gewichtigen Grund dafür geben für eine eintägige Konferenz die lange Reise und die damit einhergehenden Unannehmlichkeiten des Jet-Lags, der nicht enden wollenden Kontrollen an den Flughäfen u.s.w. in Kauf zu nehmen. In meinem Fall bestand der Grund hierfür darin, dass die Aussicht an einer „Hysteria-Konferenz“ teilnehmen zu können, mich zu verschiedenen Phantastereien anregte; so wähnte ich mich umgeben von Hysterie-Forschern, die mich in meinen bisherigen, mit der Arbeit an meiner Dissertation im Zusammenhang stehenden Erkenntnissen, bestärken und die eigenen Forschungsansätze in erheblicher Weise bereichern würden. Leider stellte sich diese Phantasie als Wunschtraum heraus.
Da ich zuvor noch nie an einer Konferenz außerhalb Europas teilgenommen hatte, bin ich mir bis heute nicht sicher, ob das hier beobachtete Verhalten der anderen Konferenzteilnehmer in den USA üblich ist, oder ob es sich um einen Einzelfall handelte. Zu den befremdenden Aspekten zählte beispielsweise die vage Beschreibung der Konferenzräumlichkeiten, die sich zwischen der Bibliothek und „The Beach-Hut“ befinden sollten. Da sich der Campus nicht gerade in der Nähe des Strandes befand, irritierte mich die „Strand-Hütte“, zumindest so lange, bis sich herausstellte, dass es sich hierbei um den Namen eines Cafés handelte. Nach anfänglichen Orientierungs-schwierigkeiten war ich dennoch pünktlich zum ersten Panel der Konferenz im richtigen Raum angekommen. Der Leiter des ersten Panels kam etwas zu spät, erschien in einem ungebügelten Karo-Hemd und erzählte etwas nervös davon, wie phantastisch und großartig die Projekte der kommenden vier Redner seien, allerdings sei er weder im Stande auf Einzelheiten einzugehen, noch deren Namen vorzulesen, da er seine Brille vergessen hätte und daher das Programm nicht lesen könne. Nachdem ich diese Episode als willkommene Slapstick-Einlage abgehakt hatte, war ich etwas enttäuscht von den ersten vier Rednern bzw. deren Projekte, da es unter Anderem um homosexuelle Perversionen, Zombies und das jährliche Lobster-Festival in San Francisco ging. Doch nicht die Tatsache, dass man diese Themen mit der Hysterie nicht hätte in Verbindung bringen können, sondern vielmehr jene, dass eben gerade die Querverweise, die sich eröffnen würden, nicht aufgezeigt wurden, hat mich enttäuscht. Es schien fast so, als hätten sich die Redner nicht näher mit der Hysterie befasst. Sie wurde zu einer Floskel herunter gebrochen, die als Überbegriff für alle möglichen Dinge Verwendung fand, sodass die überaus interessante Geschichte der Hysterie, mit all ihren historisch wandelbaren Aspekten weitestgehend außer Acht gelassen wurde. So begann ein Redner seinen Vortrag mit der Äußerung, er habe “Hysterie” in einem Lexikon nachgeschlagen, zitierte dann einen verallgemeinernden Satz, um dann aber im Weiteren nicht mehr darauf zurück zu kommen.
Ebenfalls irritierte mich der Umstand, dass man nach den einzelnen Panels nicht mit den Rednern in Kontakt kommen konnte, da die allermeisten von ihnen nur für ihren Vortrag kamen und direkt danach wieder verschwunden waren. Mit Ausnahme der beiden studentischen Hilfskräfte, die für Getränke und die Technik verantwortlich waren, war ich tatsächlich die einzige Teilnehmerin, die während des gesamten Tages anwesend war. Selbst ein Vortragender, der eine relativ lange Anreise hatte und sich etwas verspätete, nutzte nicht die Gelegenheit bis zum Ende dabei zu sein. D.h. entweder war niemand an den Vorträgen der anderen Teilnehmer interessiert, oder es ist einfach üblich bei Konferenzen in den USA nur für seine Vorträge anzureisen. Da ich dies bei diversen Konferenzen innerhalb Europas bisher ganz anders erlebt habe, war diese Situation völlig irritierend. Dennoch nutzte ich die Gelegenheit mir 19 unterschiedliche Vorträge anzuhören, von denen ich zumindest drei als relativ interessant einstufen würde. So war Cecilia Paredes‘ Vortrag über Aspekte der Unterdrückung weiblicher Macht am Beispiel von Arthur Millers Hexen Jagd überaus gelungen. Hinzu kommt, dass sich mein Vortrag über die Konstruktion von weiblicher Identität durch männliche Autoren bzw. Therapeuten unter Berücksichtigung hysterischer Rhetorik sehr gut hieran anschloss. Ebenfalls hat mich Caitlin Morans Vortrag über patriarchale Einflüsse in Freuds Bruchstück einer Hysterie-Analyse überzeugt. Am stärksten hat sich mir jedoch Élice Hennessees Vortrag über Disneys Arielle die Meerjungfrau eingeprägt. Anhand verschiedener Beispiele verdeutlichte sie die patriarchalen Strukturen der Unterwasserwelt, deren männlicher Herrscher eine stark sexualisierte Gegenspielerin vernichten muss, die ihm kurzfristig sein Phallus-Symbol (seinen Dreizack) entwenden kann. Hinzu kommt, dass Arielle den Verlust ihrer Stimme für ein gemeinsames Leben mit einem Mann in Kauf nimmt, ist doch der Stimmverlust ein klassisches Symbol der hysterischen Frau, die folglich ihren Körper sprechen lassen muss.
D.h. auch wenn es eine sehr lange Reise war, hat sie sich doch zumindest was die unterschiedlichen Perspektiven und einige interessante Ansätze betrifft, durchaus gelohnt.