Laut Bao ist Minh Thi eine Banane: außen gelb und innen weiß. Für die Einwohner Herfords ist sie eine Chinesin, also nur eine weitere ‚Ausländerin‘ die sicherlich kaum der deutschen Sprache mächtig ist. Für ihren Onkel Wu aus Australien hat Minh Thi ihre Wurzeln verloren. Fast ist sie eine Gwai Lou – ein Gespenstermensch – wie er und ihr Vater die blassen Deutschen gerne bezeichnen.
Es sind Schulferien in Herford, aber die sechzehnjährige Minh Thi ist dazu verdonnert ihrem Vater im familieneigenen Restaurant zu helfen. Zu allem Übel kündigt sich noch der strenge Onkel Wu aus Australien an, der immer alles besser weiß und an jedem herummäkelt. Am liebsten an Minh Thi. Dann gibt es da noch den faulen Koch Bao, den schüchternen Gehilfen Ling und Bela – Minh This heimlicher Schwarm, wegen dem sie mit ihrer besten Freundin Sarah Streit hat. Als Minh This Vater ins Krankenhaus muss, ist die Katastrophe perfekt. Von nun an bestehen die Ferien nur noch aus Kellnern, abwechselnd mit Bao und Onkel Wu streiten, sich um den herzkranken Vater sorgen und heimlich an Bela denken, mit dem Minh Thi nur einmal in der Disko tanzen konnte. Inmmitten dieses Chaos erfährt sie so einiges über ihre Herkunft, die chinesische Kultur und einem dunklen Geheimnis das schon lange Zeit zwischen ihrem Vater und Bao steht.
Neben den üblichen Teenager Problemen wie Schule, Jungs und schlechter Haut, hat die Protagonistin von Que Du Luu’s erstem Roman täglich mit Vorurteilen und Argwohn seitens der Gwai Lou zu kämpfen. Von der unmöglichen Nachbarin – die sich bei der Hausverwaltung über angeblichen Krach beschwert aber selbst gerne ihren Hund vom oberen Balkon aus sein Geschäft verrichten lässt – bis hin zum naserümpfenden Krankenhauspersonal und der kaltschnäuzigen Kundschaft im Restaurant wird in Im Jahr des Affen an den Deutschen kaum ein gutes Haar gelassen. Der Grund dafür liegt im offensichtlichen Bezug zwischen Geschichte und Gegenwart.
Schrei nach Liebe
Wenn in diesem Buch von Musikkassetten und Lockenwicklern gesprochen wird, dann handelt es sich nicht um einen Hipster Trend. Die Handlung von Im Jahr des Affen ist in den frühen 1990er Jahren angesiedelt, als Die Ärzte gerade ihren Schrei nach Liebe veröffentlicht haben – eine Reaktion auf den steigenden Fremdenhass im frisch vereinten Deutschland. Die Parallelen zur gegenwärtigen Situation im Deutschland der 2010er Jahre sind unmissverständlich: Pegida, AfD und Hass auf Flüchtlinge könnten ebenso in Minh This Herford auftauchen, wo die Ausländerfeindlichkeit scheinbar zur Alltagsbegegnung gehört.
Minh This Sichtweise auf ihre kulturelle Ausgrenzung und Performance als Deutsch-Chinesin wird erst umgekehrt als Onkel Wu anreist. Denn nun kommt der ‚deutsche‘ Lebensstil, den Vater und Tochter pflegen, erst einmal unter Kritik. Warum, zum Beispiel, hätten sie keine Wächterlöwen vor dem Restaurant oder zumindest einen ‚Küchengott‘ in der Küche? Und wieso nur isst Minh Thi ihren Reis mit der Gabel? Vielleicht ist sie ja doch eine Banane…
Bechdel auf Chinesisch
Auffallend und etwas überraschend an Im Jahr des Affen ist die Abwesenheit weiblicher Bezugspersonen. Obwohl Minh This Schulfreundinnen Sarah und Micha vorgestellt werden, bleiben beide Charaktere zweidimensional und hauptsächlich im Hintergrund. Zudem geht es in den wenigen Interaktionen zwischen den Mädchen einzig und allein um ein Thema: Jungs. Genauer gesagt um einen bestimmten Jungen: Bela. Im Streit um dessen Aufmerksamkeit mutieren die Freundinnen auch noch zu Antagonistinnen und man würde sich für Minh Thi wenigstens eine vielschichtige, bedeutsame Bindung zu einem anderen weiblichen Charakter wünschen, vielleicht sogar aus ihrem eigenen Kulturkreis, denn hier steht sie gänzlich allein. Besonders fällt die offensichtlich abwesende Mutterfigur auf. Doch anders als vielleicht erwartet, ist es aber Baos Mutter und nicht Minh This, deren Fehlen stark thematisiert wird – ebenso wie die traurigen Umstände die dazu führten.
Die Flüchtlingsthematik
Bao, mit dem sich Minh Thi eher schlecht als recht versteht, erzählt ihr von der gemeinsamen Flucht aus Vietnam im Jahre 1976. In verstörendem Detail berichtet er von den Strapazen und Gefahren der Flucht über das Meer, von der Verzweiflung der Menschen auf dem Flüchtlingsboot und wie seine Mutter von Minh This Vater ‚betrogen‘ wurde. Ab diesem Punkt stiehlt Bao den restlichen Buchcharakteren gehörig die Show, denn ähnlich wie der nervige Onkel Wu hat auch der träge Bao seine eigene Geschichte, wie Minh Thi erst spät feststellt. Bela mag Minh This erster fester Freund sein, aber es sind die Beziehungen die sich im Laufe der Handlung zwischen Minh Thi, Onkel Wu und Bao entwickeln, die Im Jahr des Affen wirklich Tiefgang verleihen. Der Eindruck bleibt, dass Schulfreundschaften und die erste Liebe vergänglich sind, wohingegen Familie, Kultur und die eigenen Geschichte ein Leben lang erhalten bleiben.
Que Du Luus erster Roman Im Jahr des Affen ist ein vielschichtiges Buch, das einen interessanten, oftmals ungewohnten Einblick in einen hier beheimateten Kulturkreis vermittelt der damals wie heute mit Klischees und Vorurteilen behaftet ist. Luu gelingt es dabei, ein unterhaltsames aber auch ein bitteres Abbild davon zu zeichnen, wie es sich anfühlt, als Deutsch-Chinesin in den frühen 90er Jahren aufzuwachsen – wie es ist, eine Banane zu sein.
Literatur
Luu, Que Du. Im Jahr des Affen. Hamburg: Königskinder Verlag, 2016.