Spiel mit der Beklemmung
Ende Juni erschien mit Inside das zweite Spiel des dänischen Entwicklerstudios Playdead, welches bereits 2010 mit ihrem Erstling und Indie-Hit Limbo auf sich aufmerksam machte. Wenn bei einem kleinen Team nach einem Bestseller sechs Jahre ins Land ziehen, ist die Aufmerksamkeit für die neue Veröffentlichung garantiert. Und Playdeads neuestes Spiel weiß diese sehr gut zu nutzen.
Die Spielwelt von Inside hüllt sich in Geheimnisse, Spielende werden unvermittelt und ohne jede Erklärung in die Handlung geworfen. Man spielt ein Kind, welches sich zu Beginn der ersten Szene in einem Wald befindet. Die Spielfigur betritt den spielbaren Bereich, indem es einen Abhang herunterrutscht, erst dann übernimmt man als spielende Person selbst die Steuerung. Direkt macht sich ein Gefühl der Rastlosigkeit und der Dringlichkeit breit. Die Figur war bereits in Bewegung, sie will irgendwohin und man selbst weiß nicht, was ihr Ziel ist. Insides Mechanik ist die eines zweidimensionalen Sidescrollers, man steuert die Spielfigur wie auf einer Schiene von links nach rechts (und in seltenen Fällen auch einmal von rechts nach links), dazu springt man und kann sich per Grifftaste an Gegenständen festhalten, entweder, um an diesen hochzuklettern oder um diese zu bewegen.
Das vage Gefühl der Dringlichkeit wird schnell zur Gewissheit, denn schon nach wenigen Metern bemerkt man, dass man im Wald nicht alleine ist. Gestalten mit Masken verladen schemenhaft umrissene Menschen in einen Lastwagen, den Wald kreuzende Straßen werden für dessen Fortkommen extra abgesperrt und mit Hunden bewacht. Die eigene Figur scheint nicht gesehen werden zu wollen, automatisch macht sie sich klein oder versteckt sich hinter Gerümpel, wenn ihr jemand anderes zu nahe kommt. Ohne dem Spielenden auch nur ein Wort der Information zu geben, zeigt einem Inside durch die Gestik und das Verhalten der Spielfigur, dass man sich gemeinsam in einer bedrohlichen Situation befindet.
Es dauert nicht lange, bis die andere Gruppe einen entdeckt. Mit Taschenlampen jagen sie dem kindlichen Protagonisten hinterher, schießen auf ihn und lassen die Hunde los. Man selbst ist vollständig auf die Flucht zurückgeworfen, watet durch seichte Flüsse, springt über Abgründe und versteckt sich in Kornfeldern. Wann immer man zu langsam ist oder eine Situation nicht schnell genug löst, droht einem ein kurzes und brachial inszeniertes Spielende. Die Hunde holen die Spielfigur ein und gehen ihr an die Kehle, ein maskierter Agent schießt einen nieder, ohne auch nur den Hauch eines Zögerns zu zeigen. Inside hetzt einen in diesen ersten Spielmomenten, es ruft Bilder von Filmklassikern wie Auf der Flucht hervor, in denen die Hauptfigur ihren Verfolgern immer nur gerade so entkommen kann.
Ästhetik der Angst
Die in diesem Artikel gezeigten Bilder liefern einen guten Eindruck von Insides grundlegender Ästhetik. Wie schon Limbo wird viel mit Kontrasten zwischen hell und dunkel gearbeitet, dass Spiel kommt zu einem großen Teil in schummerigem Schwarz-Weiß daher, nur wenigen ausgewählten Elementen wird ein akzentuierender Farbtupfer gewährt. In Inside herrscht eine stete Dämmerung, man bekommt den Eindruck vermittelt, als hätte die eigene Spielfigur schon lange nicht mehr die Sonne gesehen.
Genauso trist wie das Wetter und die Beleuchtung ist auch die Spielwelt an sich. Egal wo man sich befindet, ob im Wald, auf bewirtschafteten Feldern oder in einer weitläufigen Industrielandschaft, jede Gegend wirkt trostlos und feindselig. Das Spiel schafft es dabei mit geschickten Mitteln, den Status dieser Welt weiterhin im Ungewissen zu lassen. Zwar trifft man nur selten auf andere Lebewesen, dennoch wirken viele Umgebungen so, als schwebten sie in einem paradoxen Zustand zwischen jahrelanger Verwahrlosung und aktiver Nutzung. Auf einer verstaubten Farm stehen dann zum Beispiel Maschinen herum, die aus einem vergangenen Jahrhundert zu stammen scheinen. Gleichzeitig brummt zwischen den verstaubten Relikten eine immer noch funktionierende Maschine, deren Zweck sich dem Spielenden nicht erschließt. Läuft man dann zu einem späteren Zeitpunkt durch einen gigantisch großen Industriekomplex, häufen sich derartige Momente: Riesige Maschinen ohne erkennbare Funktion sind zwar aktiv, werden aber von niemandem bedient. Eine überdimensionale Forschungseinrichtung wirkt, als seien nur Minuten vorher noch Experimente durchgeführt worden, doch niemand ist anwesend. Inside liefert für all diese visuellen Eindrücke keinerlei Erklärung, die Geschichte der Spielwelt wird vollkommen der Interpretation der spielenden Person überlassen. Der reduzierte Soundtrack des Spiels unterstützt dieses Konzept zusätzlich und setzt die Welt vor allem durch eine Geräuschkulisse in Szene, auf stimmungsgebende Musik wird größtenteils verzichtet.
Minimalistische Dystopie
Jedes Wort zur weiteren Handlung von Inside würde zu viel verraten, wichtiger noch, es wäre müßig, da vollkommen spekulativ. Was genau im Spiel passiert, wie dessen Handlung zu deuten ist und was es mit dem grandiosen Finale auf sich hat, kann nicht abschließend geklärt werden. Der Titel liefert damit eine Menge Gesprächsbedarf und bietet seinen Konsumenten einen Mehrwert über die reine Spielzeit hinaus.
Was mich an Inside besonders begeistert hat, ist sein minimalistisches Design, welches einen breiten Resonanzraum für Assoziation eröffnet. Die Spielwelt lässt mich persönlich immer wieder an die Genregrößen dystopischer Romane denken, von 1984 bis Brave New World. Die Feindseligkeit der meisten auftauchenden Figuren und die Absurdität der Architektur und Aufmachung der Spielwelt lassen mehr Fragen offen, als Antworten gegeben werden. Die Geschehnisse in Inside ergeben keinen Sinn, sie fordern die spielende Person aber immer wieder auf, sich eigene Sinnzusammenhänge zu erschließen, die vielen Leerstellen mit Inhalt zu füllen. Inside kann daher allen empfohlen werden, die ein geistig forderndes und kunstvolles Spiel erleben möchten, dass sie noch lange über die letzten Spielminuten hinaus beschäftigen wird.
Medien
Inside. Playdead. 2016. Computerspiel.