Johanna und Ernst sind beste Freunde, seit sie sich in der Grundschule kennengelernt haben. Die erzählte Gegenwart der Handlung setzt fast 20 Jahre später ein: mittlerweile befinden sich beide am Ende ihres Studiums und gehen – zumindest räumlich – weit getrennte Wege. Denn während Johanna im heimatlichen Wien lebt, sich um ihren demenzkranken Vater, die Veräußerung des Elternhauses, ihre Nachbarin und die Bachelorarbeit kümmern muss, macht Ernst sich auf eine große Reise nach China. Dort geht er den diffusen Hinweisen auf seine leiblichen Eltern nach, denn als Baby wurde er adoptiert und ist bei einer österreichischen Familie aufgewachsen. Dass Johanna und Ernst dennoch immer noch ein fast untrennbares Band verbindet, blättert der Verlauf des Romans langsam auf. Welches das ist, soll in dieser Rezension natürlich nicht verraten werden, lässt sich aber spätestens ab der Mitte bereits erahnen. Ansonsten zeigt Cornelia Travniceks neuer Roman jedoch nur wenige Schwächen.
Gedoppelte Perspektive
Zwar bleibt die Handlungskonstruktion und -auflösung ab der Mitte in erwartbaren Bahnen, dennoch entfaltet der Roman gerade am Beginn eine regelrechte Sogwirkung. Diese ist zum einen in der sehr poetischen Sprache begründet: Travnicek schafft ein atmosphärisch dichtes Bild ihrer erzählten Welt, mit viel sprachlichem Witz stehen die geschilderten und teilweise beängstigenden Erlebnisse in deutlichem Kontrast zueinander. So muss Johanna ihren demenzkranken Vater in ein betreutes Heim geben und entdeckt beim Ausräumen des Elternhauses einen Hinweis darauf, dass dieser gar nicht ihr leiblicher Vater ist. Ihre Mutter, die mittlerweile in Südamerika lebt, tut diesen Verdacht schulterzuckend ab und belässt die Tochter in der Ungewissheit.
Zum anderen profitiert der Text enorm von der gedoppelten Erzählperspektive. Denn Johanna und Ernst erzählen im Wechsel und erst langsam, aber umso stetiger verweben sich ihre zunächst völlig unvermittelt nebeneinander stehenden Erlebnisse zu einem unauflöslichen Ganzen. Im Kern geht es für beide Figuren dabei nicht nur um ihre gemeinsame Freundschaft, sondern vor allem um die Suche nach der eigenen (familiären) Identität. Während Johanna ihren Vater sucht, steht für Ernst insbesondere seine leibliche Mutter im Fokus der Suche. Dieses Moment der Dopplung ist leitmotivisch für den gesamten Roman realisiert und zeigt sich etwa auch in den titelgebenden jungen Hunden: Johanna und Ernst bekamen als Kinder im gleichen Jahr jeder einen Hund geschenkt und sind seitdem miteinander verbunden. Im Kern geht es also um die Suche der gemeinsamen Wurzel, die die beiden verbindet.
Vom Fremdsein in der Heimat
Der Erzählstrang um Ernst begleitet ihn auf seiner Reise in China und schildet dabei vor allem eine Form der intrakulturellen Fremdheit: Äußerlich wird Ernst zwar als Landsmann erkannt, scheitert aber in der alltäglichen Kommunikation und kennt nicht die kulturellen Codes des Zusammenseins. Stetig fühlt er sich im fremd im Land seiner leiblichen Eltern und bleibt trotz der Irritationen auf der diffusen Spur seiner unbekannten Mutter. Obwohl Ernsts Passagen in der Ich-Perspektive geschildert sind, bleiben diese eher distanziert und können nicht so überzeugen, wie die Parallelhandlung um Johanna. Ihre Sichtweise wird durch eine heterodiegetische Stimme transportiert, die zwar eine internen Fokalisierung auf Johanna realisiert, diese aber eben nicht als subjektive Ich-Erzählung ausgestaltet. Ihre Erlebnisse bleiben näher am Erfahrungshorizont des Bekannten und zeichnen sie als selbstbewusste junge Frau. Ernst kann in dieser Gegenüberstellung nur abfallen und unterstreicht die Einschätzung, die ihre Eltern bereits über sie als Kinder hatten: Johanna sei immer schon ein besonderes Kind gewesen. Dass Johannas Einsatz für andere und ihre Suche nach ihrer eigenen Familienidentität dann in ein fast schon überglückliches Ende mündet, in dem in regelrechter deus ex machina Manier alle finanziellen Probleme gelöst werden, zeigt die Schwächen der erzählerischen Konstruktion. Dennoch bleibt Junge Hunde ein lesenswerter Roman, der vor allem von seiner plastischen Sprache lebt.
Literatur
Cornelia Travnicek (2015): Junge Hunde. München: Deutsche Verlags-Anstalt.