David Levithans Fortsetzung zu “Letztendlich sind wir dem Universum egal”
Der Klappentext von David Levithans Letztendlich sind wir dem Universum egal beschreibt den Roman als “Die bezaubernde Fortsetzung des SPIEGEL-Bestsellers”. Diese Aussage verwundert, denn eine Fortsetzung ist Levithans Letztendlich geht es nur um dich nicht. Vielmehr ist der Roman noch einmal die Erzählung der Geschichte des Vorgängers, mit einem Wechsel der Innensicht auf Rhiannon, die weibliche Hauptfigur. Diese Verschiebung könnte durchaus ein interessantes literarisches Experiment sein, fühlt sich aber eher wie ein wirklich langweiliges Déjà-vu an.
Worum es (erneut) geht
Letztendlich geht es nur um dich ist eine Liebesgeschichte der besonderen Art. Rhiannon ist ein typischer Teenager und führt eine nicht sehr gleichberechtigt erscheinende Beziehung mit Justin. Während sie ihr Leben auf ihren Partner ausrichtet, scheint Justin sie allerhöchstens zu dulden. Eines Tages jedoch ändert sich sein Verhalten und die beiden erleben den perfekten Tag zusammen: Schule schwänzen, Fahrt zum Strand, Picknick, knutschen und über alles quatschen, was einem in den Sinn kommt. Rhiannon traut der Sache nicht so richtig und tatsächlich wirkt Justin in den Tagen danach, als könne er sich kaum noch an den Ausflug erinnern.
Gleichzeitig begegnet die Protagonistin vielen neuen Menschen, wie zum Beispiel der neuen Mitschülerin Amy, die sie für einen Tag durch die Schule begleitet. Eine merkwürdige Vertrautheit, die sie zu diesen Personen empfindet, erklärt sich kurze Zeit später: All diese Menschen sind an dem Tag, an dem sie Rhiannon begegnen, die gleiche Person: A. A ist so etwas wie ein körperloses Bewusstsein, welches für jeweils 24 Stunden den Körper anderer Personen übernimmt, Männer und Frauen, stets etwa im Alter von Teenagern und in geographischer Nähe zueinander lebend. A übernimmt die volle Kontrolle über diese Person, inklusive des Wissens und der Erinnerungen. Normalerweise hält er sich im Hintergrund, doch an dem Tag, als er in Justins Körper Rhiannon kennenlernt, verliebt er sich Hals über Kopf, gibt seine Deckung auf und unternimmt im Folgenden große Anstrengungen, um sie immer wieder aufzusuchen.
Rhiannon lässt sich nach einiger Zeit davon überzeugen, dass es sich bei den vielen Personen, die sie Tag für Tag neu kennenlernt, tatsächlich immer um das gleiche Bewusstsein handelt. Es entsteht eine Beziehung zwischen den beiden Charakteren, die letztlich in einer Romanze gipfelt, die aufgrund der Besonderheit der Situation praktisch zum Scheitern verurteilt sein muss.
Redundanter Perspektivwechsel
In Letztendlich geht es nur um dich geht es um Geschlecht, Identität und gesellschaftliche Prägung. Dies sind genau die gleichen Themen, die auch schon in Letztendlich sind wir dem Universum egal behandelt werden. An dieser Stelle soll daher auf die bereits auf unserer Seite erschienene Rezension zum ersten Teil der Erzählung verwiesen sein.
Was bringt nun der Perspektivwechsel von der geschlechtslosen Innensicht As auf die weibliche Perspektive von Rhiannon der wiedererzählten Geschichte an Mehrwert? Genau hier beginnt das Problem: Eine Änderung ist nicht zu erkennen. Zugegeben, als Leser taucht man nun in die Gedankenwelt einer neuen Hauptfigur ein, die im ersten Teil stets nur durch die Draufsicht von A beschrieben wurde, oft noch dazu aus der Distanz, da sich die beiden Teenager an vielen Tagen nicht persönlich sehen konnten und so auf E-Mails oder Telefonate angewiesen waren. Der Punkt ist allerdings, dass es Levithan bereits in Letztendlich sind wir dem Universum egal gelungen war, Rhiannons Perspektive mitzuteilen, einfach, indem er sie in Dialogen offen über ihre Empfindungen sprechen ließ.
Ein Vergleich einer Stelle beider Bücher ist aufschlussreich: A existiert für einen Tag in Rhiannons Körper, was für das junge Liebespaar verständlicherweise eine besonders schwierige Situation ist. Er versucht den Tag so wenig übergriffig wie möglich zu vollbringen und schreibt Rhiannon einen erklärenden Brief, welchen diese am kommenden Morgen findet. Daraufhin treffen sich die beiden für ein klärendes Gespräch. In Letztendlich geht es nur um dich beginnt das Gespräch wie folgt:
Ich breche die Stille. “Es fühlt sich an wie der Morgen danach.”
Sein Blick ist lieb und nervös. “Geht mir genauso.”
Der Morgen danach. Was rede ich denn da? Was weiß er schon von einem Morgen danach? Ist er nicht immer woanders?
Er sieht mich an. Ganz und gar. Meine Hände. Mein Gesicht. Meine Augen. Obwohl es für mich jeden Tag so ist, frage ich mich, wie es war, in mir zu stecken und die Welt mit meinen Augen zu sehen. ohne daran gewöhnt zu sein.
Ruhe. Was ich im Augenblick empfinde, ist eine seltsame Ruhe. A und ich haben etwas getan, was möglicherweise noch nie jemand getan hat. Ich sitze jemandem gegenüber, der durch meine Augen geblickt hat. Und A sitzt jemandem gegenüber, der ihm sagen kann, wie es war, einen Tag lang verschwunden zu sein. (Levithan 2018, S. 243)
In Letztendlich sind wir dem Universum egal liest sich diese Stelle so:
“Es fühlt sich an wie der Morgen danach”, sagt sie.
“Geht mir genauso”, sage ich.
Sie hat uns Kaffee geholt, und jetzt sitzen wir am Tisch, die Hände um die Becher gelegt.
Ich sehe manches von dem, was mir gestern aufgefallen ist – das Muttermal, die über die Stirn verstreuten Pickelchen. Aber viel wichtiger als diese Einzelheiten ist mir das Gesamtbild.
Sie wirkt nicht außer sich. Wirkt nicht wütend. Wenn überhaupt, scheint sie mit dem, was gestern war, im Reinen zu sein. Wenn der Schock nachlässt, hofft man immer, darunter auf Verständnis zu stoßen. Und bei Rhiannon hat sich das Verständnis offenbar schon eingestellt. Keine Spur mehr von irgendwelchen Zweifeln. (Levithan 2014, S. 251)
Sie bemerkt wie er sie ansieht – er sieht sie an. Er denkt, dass sie mit der Situation im Reinen ist – sie ist mit der Situation im Reinen. Sie hat nun ein gesteigertes Verständnis für die ganze Sache – er denkt, dass sie nun ein gesteigertes Verständnis für die Sache hat. So harmonisch, so unspektakulär: Letztendlich geht es nur um dich offenbart so gut wie keine Elemente, welche die Handlung des ersten Romans erweitern oder dessen Bewertung verschieben würden. Es wird vor allem bestätigt, dass A und Rhiannon meist eine sehr gute Kommunikation miteinander haben. Selbst in den Szenen des ersten Romans, in denen sie Meinungsverschiedenheiten und Streits austragen, ist einem als Leser stets klar, wieso Rhiannon so agiert, wie sie es tut – A mag sich nicht immer in sie hineinversetzen können, der unsichtbare Beobachter von außen kann es in praktisch jeder Szene.
Eine Fortsetzung für alle, die den Vorgänger nicht gelesen haben
So bleibt in Letztendlich geht es nur um dich leider so gar nichts mehr übrig, was diesen Roman lesenswert macht, wenn man den ersten Teil bereits gelesen und nicht schon wieder komplett vergessen hat. Kann man sich noch an die grundsätzliche Handlung des Vorgängers erinnern, wird man beim Lesen von Levithans neuer Erzählung von einem Moment der Wiederholung in den nächsten stolpern. Das Gefühl, dass sich dabei wahrscheinlich einstellt, ist leider kein wohliges Wiedererkennen, sondern ein zunehmend genervtes “Das habe ich doch alles schon einmal gelesen”.
Letztendlich geht es nur um dich ist dabei grundsätzlich kein schlechter Roman, im Gegenteil. Die Erzählung beschreibt eine außergewöhnliche, kluge und unverbraucht emotionale Liebesgeschichte, die vor den wahrscheinlich größten Hindernissen steht, die jemals in einem Jugendbuch beschrieben wurden. Diese Erzählung existiert nur bereits in einer leicht veränderten Form. Levithan verpasst mit seiner Fortsetzung die Chance, der Geschichte neue Facetten zu geben, etwa durch eine veränderte Bewertung der Situation durch Rhiannon oder weitere Plotelemente, die A im ersten Teil einfach nicht mitbekommen konnte.
Wer immer noch keinen der beiden Texte gelesen hat, dem sei dies nun wärmstens empfohlen. Sie haben nun die komfortable Wahl, sich die Perspektive der Erzählung auszusuchen und entweder die ungewöhnliche Sicht von A oder die normale, aber nicht weniger spannende Sicht von Rhinannon einzunehmen. An dieser Stelle möchte soll weder die eine, noch die andere Variante empfohlen werden, denn beide Romane sind für sich genommen sehr gut. Warum man aber beide Teile lesen sollte, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
Literatur
Levithan, David (2018): Letztendlich geht es nur um dich. Aus dem Amerikanischen von Martina Tichy. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch. Roman.
Levithan, David (2014): Letztendlich sind wir dem Universum egal. Aus dem Amerikanischen von Martina Tichy. Frankfurt am Main: Fischer FJB. Roman.