Manchmal dreht das Leben einfach um

Eine wichtige Umbruchstelle im Leben eines Jugendlichen markiert das Ende der Schulzeit, eine echte „Bewährungsprobe“ (7), wie die Lehrer in Kathrin Steinbergers Roman Manchmal dreht das Leben einfach um nicht müde werden zu betonen. An ebendiesem Scheitelpunkt steht die 16-jährige Almuth, kurz von allen Ali genannt. Dass sie bereits mit fast 17 Jahren ihre Maturaprüfung ablegt, liegt an ihrer Hochbegabung, die sie während ihrer Schullaufbahn hat zwei Klassen überspringen lassen. Mit ihren Eltern und einem jüngeren Bruder lebt sie in einer kleinen – tendenziell verschnarchten – österreichischen Stadt und die Familie wohnt in einem eigenen Haus, „am Rand der Siedlung am Rand der Stadt“ (6). In dieser pampaesken Peripherie und abseits vom pulsierenden Leben der Stadt ist die Handlung verortet. Der Umstand kommt Ali jedoch durchaus entgegen, denn Ihre Begabung ist verbunden mit einem hohen Bedürfnis nach Ruhe, geordneten Strukturen und Konstanten: „Ich muss zugeben, dass auch ich ziemlich an fixen Gewohnheiten hänge“ (23). Frei nach dem Titel heißt es für sie aber nun plötzlich immer wieder Manchmal dreht das Leben einfach um. Und nicht allein wegen der anstehenden Abschlussprüfungen und einem möglichen Studienbeginn, denn zusätzlich sorgt der Einzug des neuen Nachbarn Kevin Donner für einigen Trubel und rührt Alis Alltag auf. Wie sich herausstellt, lässt der junge Mann nicht nur den kompletten Nachbarhof zu einem stylischen Heim umbauen, sondern installiert im Garten gar einen eigenen Skatepark. Er entpuppt sich als Profiskater, der mit nun 21 Jahren nach einer schweren Skateverletzung seine Profikarriere beenden musste und sich in die Ruhe der dörflichen Einöde zurückziehen möchte.

Im Sog des langsamen Erzählens

Deutlicher könnten zwei Lebenswelten kaum aufeinanderprallen und bei dieser Ausgangsituation ahnt man natürlich schon, worauf der Roman hinausläuft: beide Protagonisten werden sich ineinander verlieben und was auf den ersten Blick nach einem schematischen Jugendbuch klingen mag, überzeugt im Detail jedoch durch seine interessante erzählerische Konstruktion. Angenehmerweise lässt sich Steinberger nämlich viel Zeit im Erzählen, um sensibel nachzuzeichnen, wie sich die beiden Figuren langsam kennenlernen, sich befreunden und schließlich – natürlich – auch verlieben. Das nimmt man dem Roman aber jederzeit ab, da die Annäherung sukzessive aufgeschichtet wird, sich glaubhaft entfaltet und kein utopisches Moment der ‚Liebe auf den ersten Blick‘ als Ideal etabliert. Ali und Kevin dürfen sich lange und intensiv kennenlernen, etwa beim gemeinsamen Ski- und Snowboardfahren, bevor es zum ersten Kuss kommt. Darauffolgend wird das gemeinsame Zusammensein in all seinen schönen und schwierigen Facetten ausbuchstabiert, denn das gemeinsame Glück wird durch ein dunkles Geheimnis von Kevin getrübt. Auch dieser Plottwist beinhaltet nicht die Neuerfindung des Genres, ist aber überzeugend erzählt und beschließt dann doch noch mit einem interessanten narrativen Kniff, der das überhöhte und medial konstruierte Ideal der einen Liebe durchaus kritisch reflektiert.

Buntes Verweisspiel

Wenngleich die Handlungsebene relativ wenige innovative Wendungen bereithält, zeigt sich auf der Darstellungsebene ein umso differenzierteres Spiel mit literarischen Mitteln, medialen Verweisen und intertextuellen Querbezügen. Dieses Zitatmosaik speist sich insbesondere aus dem Fundus der Populärkultur, denn stetig wird auf Filme, Songs, Bands und Schauspieler Bezug genommen, wobei – und das macht die Besonderheit aus – diese Verweise nicht nur auf der Ebene des bloßen Aufzählens verbleiben, sondern für den Fortgang der Handlung zentral sind: Fragmente eines Songs unterstützen etwa einen Streit, ein Schauspieler dient als Referenzfigur, um den Protagonisten weiter zu charakterisieren oder eine Serie fungiert für Ali als Bezugssystem, an dem sie ihre eigene Situation abarbeiten kann. Beispielsweise mit dem Verweis auf Malcolm in the Middle „dessen Schwierigkeiten mit seinem Talent ironisch gebrochen werden“ (43). Die transmedialen Referenzen erfüllen immer auch narrative Funktionen und verbinden sich mit dem Erzähltext zu einem komplexen Verweisnetz, dessen Codes man durchaus entschlüsseln können muss, um alle Dimensionen der Erzählung zu erfassen. Gelungen ist dabei besonders, dass die vielen Zitate nicht künstlich aufgezwungen wirken, sondern stimmig in die erzählte Welt eingebettet sind und sich sinnvoll in den narrativen Fluss fügen.

Der Zitatteppich umfasst jedoch nicht nur die Populärkultur, sondern reicht bis zu antiken Mythen und Helden – die allerdings angenehm wertungsfrei nebeneinanderstehen und sich bisweilen unaufgeregt miteinander verbinden. Möchte man das Arrangement auf einer Metaebene ausdeuten, zeigt sich daran etwa auch eine medial geprägte Jugendkultur, in der keine fixe Trennung zwischen vermeintlicher ‚Hoch- und Unterhaltungskultur‘ mehr relevant ist.

Subjektive Wahrnehmung

Die erzählerische Konstruktion ist aber noch in einer weiteren Hinsicht gelungen. So erzählt die Protagonistin Ali aus ihrer Mitsicht in der Ich-Perspektive, was einfühlsame Einblicke in ihre Wahrnehmung erlaubt und ihr anderes Erleben von Alltagssituationen erfahrbar macht. Die Abläufe in ihrem Kopf vergleicht sie oft mit einem Film, der schneller vorspult als bei anderen oder mit einer Festplatte, die rotiert, „als Computer mit vielen Verzeichnissen, aus denen immer wieder Pop-ups aufspringen“ (59). Diese bildsprachlichen Pop-ups treten dann aber auch in der eigentlichen Handlung in Erscheinung: immer wieder fallen bestimmte Begriffe, die Lexikonartige Informationen in Alis Hirn abrufen und unvermittelt und vor allem unkommentiert den eigentlichen Erzählfluss unterbrechen. Auf der Darstellungsebene kann so ein zentrales Moment – nämlich das reflexive Erleben der Wirklichkeit Alis – abgebildet werden. Dass diese Einschübe am Beginn des Romans noch viel häufiger auftreten und sich im weiteren Verlauf reduzieren, zeigt dabei auch einen Wandlungsprozess, den sie in der Beziehung mit Kevin durchläuft. Ali gewinnt ein neues Gefühl der Sicherheit, das nicht mehr nur durch die Strukturen in ihrem Kopf erzeugt wird. Diese Einflussnahme funktioniert jedoch durchaus wechselseitig, so ist Kevin nicht Alis Retter in der Not, sondern auch er kann sich erst durch ihre Hilfe weiterentwickeln.

Manchmal dreht das Leben einfach um ist ein gelungener Jugendroman, der das Ende der Schulzeit, die erste Liebe und den Beginn eines neuen Lebensabschnitts behutsam entfaltet. Denn es geht nicht nur um die Liebesgeschichte zwischen Kevin und Ali, sondern auch um die Wahl eines Studienfaches und den Umzug in eine neue Stadt: eben um alle Herausforderungen, die einem in dieser Phase erwarten. Überzeugend ist insbesondere die erzählerische Konstruktion und das gelungene Verweisspiel auf eine vielfältige Medienkultur, die dann auch ein paar Schwächen in der wenig überraschenden Handlungsstruktur und dem bisweilen holzschnittartig gezeichneten Vater verzeihen lassen.

Literatur

Kathrin Steinberger: Manchmal dreht das Leben einfach um. Wien: Jungbrunnen, 2015.

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