Kurioses Kritzelkino-Kabinett – Ein künstlerischer Selbstversuch
‚Mal was ganz anderes‘, das ist mein spontaner erster Eindruck der neuen Kritzelkinos aus dem BELTZ&Gelberg Verlag. Nicht nur wegen des fabulierenden Titels Mein Kinder Künstler Kritzelkino, sondern auch wegen des Formats fällt die Reihe aus dem üblichen Rahmen: die einzelnen Büchlein kommen im praktischen Hosentaschenformat daher, sind nicht größer als eine halbe Postkarte und daumendick. Bisher gibt es neun Teile, ich durfte drei davon ausprobieren: Lecker Geklecker, Robo Rock und Super Hotte (und in der Serie sind ähnlich wohlklingende Titel erschienen). Zu lesen gibt’s dann aber gar nichts, sondern man muss, beziehungsweise darf selber kritzel-künstlerisch aktiv werden. Ich bin begeistert.
Die Bücher sind als Daumenkinos angelegt, die darauf warten, erweitert, ergänzt oder überschrieben zu werden, um daraus seinen eigenen gezeichneten Film – eben ein klassisches Daumenkino – zu entwickeln. Neun Künstler aus der Ateliergemeinschaft LABOR haben an diesem Projekt mitgewirkt und jeweils einen Band gestaltet; unter anderem auch die bekannte Illustratorin Anke Kuhl, die 2011 mit dem deutschen Jugendliteraturpreis für das Kinderbuch Alles Familie! ausgezeichnet wurde. Vorgegeben werden in jedem Buch dabei nur eine lose Rahmung und das Thema: super Hotte ist ein lustig hüpfender Punkt mit Cappie, im Robo Rock zappelt ein tanzender Roboter ab und beim lecker Geklecker schaufelt ein Baby munter sein Essen in den Mund. Für alles weitere ist der Leser, beziehungsweise der geneigte Zeichner, gefragt und darf die Geschichten der Figuren weiterspinnen, mit neuen Details ausschmücken oder diesen eine ganz andere Erzählrichtung geben. Das funktioniert hervorragend, weil die vorgegebenen Seiten wirklich viele Leerstellen lassen, die von kleinen – oder großen – Künstlern befüllt werden können. Die liebevolle Aufmachung der jeweiligen Cover, die spielerisch schönen Titel und die latent skurrilen Ausgangsthemen begeistern dabei unmittelbar und regen sofort zum Kritzeln und Mitmachen an.
Der ersten Anfangseuphorie – nach jeder bekritzelten Seite muss das Zwischenergebnis natürlich neu gesichtet und das Daumenkino noch einmal durchgeblättert werden – weicht in der Mitte des Buches ein wenig die Müdigkeit: es sind plötzlich ganz schön viele Seiten, die nicht nur geplant, sondern dann doch sorgfältig gezeichnet werden müssen, um nicht den Effekt des bewegten Bildes zu verlieren. Zum Glück darf man ja Pausen machen. Am Ende hat sich aber jede Mühe gelohnt: Der Moment, wenn das gezeichnete zum bewegten Bild wird, ist immer wieder verblüffend. Mein Ergebnis (‚Auch Superbabys haben Hunger‘) gibt es hier zu sehen.
Das Konzept der Reihe geht voll auf und lädt zum munteren kreativen Umgang ein, der ausdrücklich mit anderen geteilt werden soll und die Kritzelkinos zum kurzweiligen Spaß, nicht nur für Kinder, macht.