Mein Leben und andere Katastrophen

Mit ironischem bis altklugem Ton schildert die 13-jährige Barnie – kurz für Bernadette – in ihrem Tagebuch das Zusammenleben mit ihren beiden Vätern, ihre Erlebnisse bei einem Schulprojekt, schreibt herzzerreissende Pubertätslyrik oder zählt die Küsse rückwärts, die sie angeblich im Leben verteilen kann, angefangen bei 100.000. Das Schulprojekt wird zu einem dominanten Faktor in Barnies Leben. Ihre Lehrerin Frau Zelenki, die sich loriotesque in alle Schattierungen von Grau hüllt, startet ein Projekt zur Schwangerschaftsprävention. Paarweise kümmern sich die Schüler für zwei Wochen um eine computergesteuerte Babypuppe, welche die Bedürfnisse eines Säuglings simuliert. Die Verwicklungen beginnen, als Barnies heimlicher Schwarm Sergej sich bereit erklärt, mit ihr zusammen den elektronischen Nachwuchs zu betreuen. Allerdings kommt sie mit ihm nur bis 99.996 bevor der Traumprinz zum Frosch schrumpft.

Regenbogenfamilienleben

Doch wie wächst ein Kind mit zwei gleichgeschlechtlichen Eltern auf? So wie alle anderen auch, die zwei Elternteile haben. Für Barnie ist es selbstverständlich, dass ihre Eltern Papa und Dad sind. Beide Männer bringen ihre persönliche Note in die Erziehung ein. Dad ist Barnies Kumpel während Papa misstrauisch die romantischen Regungen seines kleinen Mädchens beäugt. Manchmal besucht Barnie Martina, die sie zur Welt gebracht hat. Tatsächlich macht dem Mädchen die Abwesenheit von Kommunikationstechnik in ihrem Leben am meisten zu schaffen. Das Notizbuch, das sie zum 13. Geburtstag anstelle eines iPads bekommt, wird zum Tagebuch wider Willen. Die fehlende Wii oder die Tatsache, dass sie keinen eigenen PC hat, lassen sie in Sergejs Augen kurz als Außenseiterin dastehen. Dank des im Aquarium versenkten Handys ist auch der Austausch von Textnachrichten nicht mehr möglich und Barnie zweifelt, wo sie mit Sergej nach einem Streit steht. Das Babyprojekt liefert die Kulisse für klassische Pubertätsprobleme: Barnie kommt mit ihrem ersten festen Freund zusammen, küsst zum ersten Mal, zerstreitet sich zum ersten Mal mit ihrer besten Freundin wegen eines Jungens und bekommt zum ersten Mal das Herz gebrochen.

Der größere Zusammenhang

Trotz der Leichtigkeit im Erzählton, blendet der Roman die ernsthaften Aspekte des Lebens in einer Regenbogenfamilie nicht aus. Der größere politische Zusammenhang wird angedeutet, als zu Hause ein Planungstreffen für den CSD stattfindet und auf die Situation in Frankreich und Russland angespielt wird. Barnie selbst muss sich immer wieder gegenüber Klassenkameraden und Freunden erklären, warum sie zwei Väter hat und dass beide ihre richtigen Väter sind, unabhängig von der Biologie. Es nervt sie manchmal, aber es ist einfach Teil ihres Lebens. Die größte Enttäuschung erlebt sie, als Sergej ihr in einem entscheidenden Moment nicht zur Seite steht. Doch der Roman kehrt zu seiner Leichtigkeit zurück und Barnie findet unverhofft neue Perspektiven bei der Betrachtung von Seepferdchen.

Zusammenfassend betrachtet

In ihrem jüngst veröffentlichten Roman Mein Leben und andere Katastrophen gelingt es der mehrfach ausgezeichneten Autorin Kathrin Schrocke, ein kontrovers diskutiertes Diverstiy-Thema mit Humor in einem Jugendbuch zu behandeln. Dies tut sie ohne belehrend zu werden und ohne aufgeregt zu problematisieren, indem sie ihre Protagonistin als Ich-Erzählerin den ganz normalen Alltagswahnsinn einer 13-jährigen beschreiben lässt, die zufällig zwei Väter hat.

Literatur

Schocke, Kathrin: Mein Leben und andere Katastrophen. Frankfurt a.M.: Fischer Sauerländer, 2015.

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