In Regenbogentage von Nora Dåsnes beginnt die Geschichte um die 12-jährigen Tuva nicht zufällig mit dem letzten Tag der Sommerferien, als sie ihrem Vater zuruft: „Bin noch mal kurz im Spielhaus.“ (o.S.) Das Spiel ist im weiteren Verlauf zentrales Leitmotiv für Übergänge und Veränderungen im Heran- und Herauswachsen aus der Kindheit. Dabei stehen auch die endenden Sommerferien als zeitliches Symbol für das Ende einer Lebensphase. Am Anfang des neuen Schuljahres stellt Tuva nämlich fest, dass sie auf einmal nicht mehr wie vorher mit ihren beiden besten Freundinnen spielen kann und sie auf einmal im diffusen Dazwischen von Kindheit und Jugend steckt.
Übergänge
Während Tuva und ihre Freundin Bao weiterhin die Pausen im Wald auf dem Schulgelände verbringen wollen, hat sich ihre Freundin Linnéa über die Ferien das erste Mal verliebt und hat ihren ersten festen Freund. Daher möchte sie in den Pausen auch nicht mehr gemeinsam im Wald spielen und findet, dass dies nichts mehr für sie sei. Aus dieser Ausgangslage entspinnen sich die weiteren Handlungskonflikte, bei denen die Freundschaft der drei Mädchen im Zentrum steht.
(c) Klett Kinderbuch
Das gezeichnete Tagebuch
Erzählt werden die Ereignisse in einer Tagebuchform, die sich auch im Erzählraum des Buches spiegelt. Der Text ist eine Mischung aus Roman, Comic und Bilderbuch. Jede Seite weist neben der Schriftebene mit nachgeahmter Handschrift ebenso diverse Zeichnungen auf. Dabei gibt es sowohl comicartige Panelsequenzen als auch großformatige Abbildungen, die unmittelbar mit dem Schrifttext verbunden sind. Andere mediale Formen, wie etwa Handy-Chats, Musik Playlists oder Blogs werden ebenfalls eingebettet. Daraus ergibt sich ein vielstimmiges erzählerisches Konstrukt, das das Erleben von Tuva anschaulich abbildet. Sie schreibt und erzählt an ihrem eigenen Tagebuch und gibt offenen, aber oftmals auch humorvoll-reflektierten Einblick in ihre Gefühlswelt:
Ich weiß bei so was nie, was ich sagen soll. Das mit dem Verliebtsein ist so MEGA geworden. Und es geht gar nicht nur darum, ob man einen Freund hat oder nicht. Man muss sich entscheiden, wer man sein will.
o.S.
Das Dazwischen
Für Tuva entwickeln sich im Verlauf immer wieder neue Konfliktkonstellationen, mit denen sie sich auseinandersetzt. Zentraler Reibungspunkt ist die Ambivalenz ihrer gegenwärtigen Statuspassage, denn einerseits geht sie noch gerne ihren als kindlich markierten Interessen nach (wie das Spiel im Wald). Andererseits entdeckt Tuva neue Dinge, wie Make-UP, BHs und das erste Verliebtsein. Differenziert zeigt Regenbogentage dieses Erleben eines komplexen Dazwischen, ohne jedoch eindeutige Lösungsangebote zu vermitteln.
Diverser Erzählkosmos
Besonders gelungen ist die Vielschichtigkeit und Diversität der erzählten Welt. Tuvas Freunde und Freundinnen haben unterschiedlichste Hautfarben, ihr Vater ist alleinerziehend und sie selbst hat sich in ein Mädchen verliebt. Jedoch wird keiner dieser Punkte als Problem markiert, womit ein heterogenes Miteinander gezeigt wird, in dem Vielfalt ganz ‚normal‘ ist (mehr zu Diversity in der aktuellen KJL hier). In ihrem Vater hat sie eine liebevolle Vertrauensperson, die ihre erste Liebe nicht in Frage stellt. Der Titel Regenbogentage deutet das queere Heranwachsen zwar deutlich an, aber auf erfrischende Weise ist dies nicht der Kernkonflikt. Vielmehr geht es für Tuva um all die drängenden Fragen, die mit der beginnenden Jugend verknüpft sind. Regenbogentage ist daher ein humorvoller und reflektierter Text, der sowohl auf der inhaltlichen als auch der erzählerischen Ebene überzeugt.
Literatur
Nora Dåsnes: Regenbogentage. Aus dem Norwegischen von Katharina Erben. Leipzig: Klett Kinderbuch 2021.