Zimt und weg mit der Komplexität

Cover Zimt und weg RezensionDas Leben der vierzehnjährigen Victoria King, Vicky genannt, ist in diesem ersten Teil der Zimt-Trilogie nicht einfach. An ihrer Schule gibt es drei Jungen, die mit ihrem guten Aussehen allen Mädchen den Kopf verdrehen: David, Konstantin und Nikolas. David ist von allen Dreien der Coolste, findet Vicky. Leider hat sie noch nie mit ihm gesprochen. Als es dann endlich soweit ist, muss sie jedoch erkennen, dass sie vielleicht lieber mit Konstantin zusammen wäre. Die Lage verkompliziert sich zusätzlich dadurch, dass Vicky eine merkwürdige Gabe besitzt: sie kann eine andere Welt betreten. Dies tut sie jedoch nicht kontrolliert, es passiert einfach. Erst nimmt sie den Geruch von Zimt war, dann verschwindet Vicky und springt in den Körper von Tori. Tori ist Vickys Ich in einer alternativen Zeitachse. Hier wohnt sie nicht bei ihrer Mutter, sondern bei ihrem Vater. Was hat es damit auf sich? Und warum will ihr niemand verraten, warum ihre Eltern sich eigentlich einst getrennt haben?

Oberflächenfixierungen

Schaut man auf die Zeichnungen der Figuren, die Verwendung von Intertextualität sowie die Handlungsstränge zu den zentralen Themen, Parallelweltsprünge und Verliebtsein, so fällt schnell auf wie eindimensional Zimt & weg angelegt ist. Vickys Familie ist eine lustige Skurrilitätenparade ohne jegliche Charaktertiefe. Die Großeltern der Vierzehnjährigen verkleiden sich etwa auf einem Dorffest „ als goldglitzernde Energy-Drink-Dose (Oma) und als angebissener Müsliriegel (Opa)“ (139). Warum sie dies tun, bleibt ungeklärt. Tante Polly besitzt den Kramladen des Dorfes, in dem sie auch mal gerne mit Taucherbrille als Augenschutz Dinge schweißt. Polly zieht sich zudem wahlweise an wie Bellatrix Lestrange aus Harry Potter oder „Lady Gaga in den Wechseljahren“ (140). Vickys Zuhause, ein Themen Bed & Breakfast, in dem alles eingerichtet ist, als befände man sich in einer stereotypen Vision von England, bietet schließlich den passenden Dreh- und Angelpunkt für Vickys, so eher schwer ernstzunehmendes, Privatleben. Geschaffen wird eine Kulisse des drolligen Chaos, dessen einziger Zweck zu sein scheint, der jungen Protagonistin übertrieben peinlich sein zu können und eine Atmosphäre von liebenswerter Verrücktheit zu erzeugen. Diese wird, ohne handfeste, glaubhafte Problematiken, allerdings schnell schal und flach.

Ergänzt wird diese Achterbahn des Kuriosen durch eine Reihe an kulturellen und populärkulturellen Referenzen, denen außer die Handlung grob im Jetzt zu verorten keine sichtbare Funktion zukommt. Gekrönt wird dieses substanzlose, intertextuelle Spiel dann von dem Versuch eine Analogie für Vickys Probleme in der Lyrik auszumachen. Eines Tages nimmt Vicky Robert Frosts Gedicht The Road not Taken in der Schule durch. In Vickys Kopf werden sofort aus den zwei Wegen, die sich vor dem Erzähler des Gedichtes im Wald auftun „Zwei Welten. Zwei Jungs.“ (231/232). Vicky weiß von sich, dass sie „die unbequemere Straße“ (232) nehmen wird. Doch eines weiß sie nicht, wer am Ende dieser Straße warten wird, Konstantin oder David. So tiefsinnig dieser Vergleich anmuten mag, so völlig sinnentleert ist er doch. Weder ist klar, was Vicky meint, wenn sie von der ‚unbequemeren’ (die korrektere Übersetzung des Gedichts wäre ‚weniger bereisten’) Straße spricht, denn sie hat eigentlich gar keine Wege zwischen denen sie wählen muss, nur zwei Jungen. Weitreichende Lebensentscheidungen hat sie keine zu treffen. Was genau an diesen nicht vorhandenen Wegen ‚unbequem’ sein soll, erklärt die bisherige Handlung ebenso nicht. Auch dass Vicky unentschlossen ist, ist an dieser Stelle völlig unpassend, da zu diesem Zeitpunkt mehr als deutlich ist, dass Vicky David wirklich langweilig findet und Konstantin ihren Körper zum Zittern bringt. In der schon ziemlich bemüht zurechtgebogenen Übertragungsleistung des Gedichtes auf das Leben der Protagonistin tritt so die ganze banale Arbeitsweise des Romans zu Tage. Sicher kann Vicky, als Figur, das Gedicht auf ihre Situation anwenden, doch verpasst es die Erzählung, Vicky etwas aus ihrer abstrusen Interpretation lernen zu lassen oder diese Gedanken später wieder aufzunehmen und zu besprechen. Der Roman vermittelt vielmehr implizit die Vorstellung, dass diese Szene unproblematisch und verständlich, ja sogar durchaus bedeutend sei. 

Vicky

Blickt man auf Vickys Handlungsstrang, wird klar, dass der Roman auch in Sachen Liebe Tiefergehendes vermeiden möchte. Mit unversiegender Hingabe widmet sich die Erzählung nämlich Vickys Berichten über das gute Aussehen ihrer Angebeteten. So erfahren LeserInnen wie stilsicher etwa Davids Kleidung ist und wie gut Konstantins Augen und „schönen, weißen (…) Zähne“ aussehen. Mag dies vielleicht bis zu einem gewissen Grad den oft verdummenden Zustand des Verliebtseins realistisch abbilden, so ist die dominante Präsenz dieser Anhimmeleien im Roman eher langweilig und teilweise sogar restlos anstrengend. Interessanterweise fragt Vicky sich mehrmals, warum sie David eigentlich so toll findet, ohne ihn zu kennen. Von ihrer besten Freundin Pauline wird sie sogar auf ihre oberflächlichen Auswahlkriterien hingewiesen. Dennoch findet keine Charakterentwicklung statt. Vicky tritt als Figur 350 Seiten lang auf der Stelle.

In diesem völlig auf Oberflächliches ausgerichteten Weltenaufbau, agiert nun ironischerweise eine Protagonistin, die oberflächliches Verhalten immer wieder kritisiert. So verachtet Vicky pauschal Mädchen, die zu sehr geschminkt sind oder zu viel Zeit in den Glanz ihrer Haare investieren oder nicht gerne Essen. Ihr Blick auf andere weibliche Teenager (die einzige Ausnahme bildet Pauline) ist dezidiert herablassend, und obwohl der Roman für diese Tatsache bedauerlicherweise völlig blind zu sein scheint, könnte man Vicky durchaus als grundsätzlich feindselig und unfreundlich bezeichnen. Etwa wird Claire, die Vicky nicht leiden kann, für die Aussage, dass das Menü bei der Hochzeit für Vegetarier „eine Zumutung“ war, in Gedanken direkt mit einem „Blöde Kuh“ (36) bedacht. Ein vertrautes Gespräch mit Tante Polly wird von Vicky im Nachhinein abfällig als „Gefasel“(327) bezeichnet. Konstantin wird von Vicky bei ihrem ersten Gespräch unterschwellig aggressiv vorgeführt, weil er mit Claire auf besagter Hochzeit war. Was Vicky ebenso aufstößt ist das ‚lächerliche’ Verhalten ihrer Schulkameradinnen, wenn die Traumjungen, David, Konstantin und Nikolas den Raum betreten: Diese tuscheln und kichern nämlich und benehmen sich wie ‚hysterische Kühe’ (vgl. 157). In der Tat geht Vicky in fast jede Situation mit einer genervten und ablehnenden Grundhaltung.

Phantastisches

Die phantastische Einbettung der Handlung, die immerhin titelgebend ist, ist, ähnlich Vickys Familie, ein weiteres chaotisches Kuriosum ohne tiefergehenden Sinn. Die Parallelwelt mit ihrer alternativen Zeitachse hat kaum eine weitere Funktion, als die Liebesgeschichte künstlich in die Länge zu ziehen. Chancen interessante Problemstellungen aufzuwerfen, Spannung zu erzeugen oder Humor in die Geschichte einfließen zu lassen werden fast vollkommen verpasst. Die Gelegenheiten für Vicky Konstantin und David zu treffen und von anderen Mädchen genervt zu sein werden über diese Weltenkonstruktion dafür verdoppelt. Denn auch hier gibt es einen Konstantin und Vickys anderes Ich, Tori, ist ebenso in diesen verliebt, so dass in beiden Welten oberflächlich oder eben von Oberflächen geschwärmt werden kann. Und auch hier gibt es eine Claire, die Vicky ätzend finden kann, obwohl diese ihr völlig freundlich gegenüber tritt, denn Tori (Vickys alternatives Ich) in der Parallelwelt und die dortige Claire sind Freundinnen. Eine interessante Wendung, die über Vickys Gejammer über diese Tatsache hinaus jedoch keine Beachtung findet.

Werte

Zimt & weg fehlt jedwedes Gefühl für die eigenen Wertestrukturen.

So gibt es interessanterweise im ganzen Roman keine Szene in der Vicky von irgendeiner der als negativ gezeichneten Figuren wahrlich gemein oder schlecht behandelt wird. Szenen in denen Vicky sich herablassend über andere äußert und vorurteilsbelastet Meinungen fällt machen hingegen einen Großteil des Buches aus. Dennoch wird Vicky dafür nie kritisiert. Der Roman unterstützt ihre Weltsicht ungebrochen. Hinzu kommt, dass die Geschichte den Fokus verwirrenderweise voll und ganz auf die Darstellung von Vicky als ‚hysterische Kuh’ legt. Nur wird dieses Verhalten, wenn es jenes der Protagonistin ist, als liebenswert-romantisch verkauft. Vicky geht voll und ganz im Anhimmeln auf, ja macht im Buch fast nichts anderes. Konstantin ist „groß und sportlich“(39), riecht nach „Wind und Sonne“ (204). Von seinem Aussehen wird ihr „ziemlich schwindelig“ (203). Wenn er ihre Wangen berührt, erklärt sie, dass „beinahe (ihre) Beine unter (ihr) nachgegeben“ (205) hätten und von seinem Lachen fängt sie „am ganzen Körper an zu zittern“ (208). Die erste Annäherung der beiden endet gar damit, dass Vicky dreimal auf zwei Seiten Gott anruft. Bei einer derartig einseitigen, jungenfixierten Zeichnung von Mädchen ist es dann auch nicht verwunderlich, dass Vicky nicht in der Lage ist, ihren neuen Laptop alleine aufzusetzen, sondern natürlich Konstantins Hilfe dafür braucht. Auch hat Vicky die Foto AG verlassen, weil ihr Technik einfach nicht liegt. (Was genau Fotografieren mit Technikaffinität zu tun hat bleibt schleierhaft.) Dennoch ist ihr Gymnastik dann wieder zu sehr ein ‚Mädchensport’, eine Aussage die im Kontext von Vickys sonstigem Verhalten nur belächelt werden kann und klarmacht, was für eine pseudo-starke Mädchenfigur hier konstruiert wurde.

Hätte die Parallelweltkonstruktion eine gute Möglichkeit geboten verschiedene Konzepte von Weiblichkeit zu besprechen, so lässt sich auch hier nichts Bemerkenswertes entdecken. Vicky und Tori unterscheiden sich kaum voneinander. Tori ist etwas ‚stereotyp’ mädchenhafter mit ihren langen Haaren und dem modebewussteren, etwas körperbetonterem Kleidungsstil. Doch nachdem sie Vickys Kleiderschrank (Tori befindet sich in Vickys Körper, während Vicky in ihrem ‚wohnt’) ausgemistet hat, freundet sich Vicky schnell mit dem neuen Kleidungsstil an und will sich bald auch die Haare länger wachsen lassen. Die Gegenüberstellung der beiden Mädchen ist völlig uninteressant und stellt erneut die Wahl der Parallelweltkonstruktion in Frage.

Auch in Bezug auf die Darstellung von Essen gibt der Roman Rätsel auf. Im britisch eingerichteten Bed & Breakfast von Vickys Mutter wird gerne herzhaft gefrühstückt. Bei Tori in der Parallelwelt sind jegliche Kalorien der Feind. Gerne zu Essen wird vom Roman dezidiert als positiv bewertet, nicht Essen wollen ist Teil der Welt der oberflächlichen Mädchen mit ihrer zu dick aufgetragenen Schminke. Dennoch gibt es keine Szene in der Essen Genuss bringt. Essen wird grundsätzlich genutzt um negative Gefühle darzustellen. Ständig vergeht Vicky der Appetit. Es ist fragwürdig, was der Roman einem damit sagen will und bedauerlicherweise liegt die Antwort nahe, dass er einfach nichts zu sagen hat.

Fazit

Zimt & weg ist eine Liebesgeschichte in der keine Inhalte verhandelt werden, sondern lediglich Oberflächlichkeiten abwechselnd bemängelt und bewundert werden. Ab und an werden komplexe Konzepte eingestreut, mit denen der Roman über deren Nennung hinaus aber nichts anfangen kann. Die Figuren sind eindimensional und die vermittelten Werte ein völlig unstrukturiertes Chaos. Unter dem Strich kommt so ein äußerst langweilige Erzählung zu Stande, die ein wirklich trauriges, plattes Mädchenbild entwirft.

Literatur

Bach, Dagmar: Zimt und weg. Frankfurt a.M.: Fischer KJB 2016.

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