Vom 24. bis 26. Juni 2016 bot die Evangelische Akademie Tutzing, unmittelbar am Starnberger See gelegen, nicht nur einen malerischen Rahmen zum Lustwandeln, sondern lud ein zur anregenden Diskussion aktueller Tendenzen im Kinder- und Jugendmedienfeld. Die Tagung ‚Schöne Schwäne, wilde Kerle‘ widmete sich dabei vor allem der Frage von Gender-Konstruktionen in Kinder- und Jugendmedien und beleuchtete die Darstellungen, Inszenierungen und Verhandlungen von Geschlechterkategorien in diversen medialen Formen und Spielarten. In Kooperation mit dem Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt und der Forschungsstelle ALEKI der Universität zu Köln wurde dazu von der Akademie Tutzing unter der Leitung von Judith Stumptner ein buntes Programm aufgestellt. Unterstützt wurde die Tagung außerdem von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V.
Tag 1
Ute Dettmar führte in ihrer Begrüßung mit den Schlagworten der ‚Pink-Ponies‘ und ‚Power-Action-Heroes‘ kurz und knapp in die Eckpunkte gegenwärtiger Gender-Debatten ein und zeigte auf, wie sich Geschlechterbilder zwischen den Polen von Stereotyp und Diversität verorten lassen. Der Abendvortrag von Maya Götz beschloss den ersten Tag; sie unternahm einen Parforceritt durch die Ergebnisse diverser Studien des IZI (internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen) und stellte heraus, welche Geschlechterkonstruktionen in aktuellen Fernsehserien vorzufinden sind, welche Figuren besonderes Faszinationspotential bieten und wie männliche und weibliche Figurenkörper inszeniert werden. Der weit angelegte Vortrag bot so einen umfangreichen Überblick, dem jedoch an mancher Stelle etwas Vertiefung gut getan hätte. Das informelle Abendprogramm setzte sich danach in unterhaltsamer Stimmung in den Gesprächen in den Salons weiter fort.
Tag 2
Andreas Seidler eröffnete den zweiten Tag und stellte in seinem Vortrag die Plattform boysandbooks.de vor. Er benannte die Rahmenbedingungen und Ziele einer gendersensiblen Leseförderung, die insbesondere Jungen im Blick hat, um deren vermeintliche Defizite in der Lesekompetenz zu kompensieren. Einen etwas erweiterten Zugriff auf das Tagungsthema bot hingegen Anika Ullmanns Beitrag, der nicht dezidiert Genderkonstruktionen untersucht hat, sondern Queerness und Diversity in aktuellen Kinder- und Jugendmedien diskutierte. Im Zentrum stand dabei der Mechanismus eines ‚heteronormativen reproduktiven Futurismus‘, in Form eines linearen Lebensverlaufs, der einem ‚queeren Lebensnarrativs‘ meist diametral entgegensteht. Mit einem Füllhorn an Beispielen zeigte sie auf, wie aktuelle Kinder- und Jugendmedien, vom Roman über Comic bis hin zur Serie, diese Aspekte aufgreifen und ausgestalten.
Nach der Mittagspause nahm Felix Giesa den Faden wieder auf und richtete seinen Blick auf das Medium Comic und die Darstellung von Geschlecht in den medienspezifischen Erzählstrategien. In einem Dreischritt wurden von ihm zunächst historische Tendenzen aufgezeigt, dann Ausformungen stereotyper Geschlechterbilder diskutiert und abschließend Beispiele eines ‚gender-bendings‘, also eines Auflösens ebendieser verfestigten Stereotype, vorgestellt. Der Nachmittag bot die Gelegenheit, sich in einem der vier Workshops intensiver mit einem der Themen auseinanderzusetzen und aktiv daran mitzuarbeiten. Den Abschluss des zweiten Tages bildete die Lesung der Wiener Autorin Lilly Axster, die aus ihrem Roman Atalanta Läufer_in vorgetragen hat. Im Anschluss an ihre lebendige Lesung diskutierte sie mit Gabriele von Glasenapp über ihre Texte und die Darstellungen von Gender in Kinder- und Jugendliteratur und stellte z.B. ein sehr interessantes Projekt vor, das sich mit Sexualerziehung in der Grundschule auseinandersetzt. Einen Einblick in das dazugehörige Bilderbuch gibt es hier: http://www.dasmachen.net/video-bilderbuch
Tag 3
Die Tagung beschloss am letzten Tag mit zwei sehr anregenden Vorträgen: Marion Rana untersuchte die Darstellung von Liebe, Sexualität und Schönheit in drei populären Jugendliteraturserien. So konnte sie zeigen, welche postfeministischen Lesarten beispielsweise Die Tribute von Panem anbieten und wies daraufhin, dass viele dieser Reihen nicht allein auf ihr stereotypes Geschlechterbild und die Übersexualisierung des weiblichen Körpers hin kritisiert, sondern ebenso auf die ambivalenten Zwischentöne hin gelesen werden sollten. Nadine Seidel wies in ihrem Vortrag dann abschließend auf ein in Europa wenig bekanntes Thema hin: die Geschlechter-Maskerade der Bacha Posh. Dies sind Mädchen in Afghanistan, die sich von der Familie erzwungen als Jungen ausgeben müssen. Sie untersuchte die entsprechenden Romane mit Lotmans Modell der Raumsemantik und konnte zeigen, wie die Geschlechteridentitäten und Transformationen über die Raumordnungen des literarischen Textes codiert werden.
Die Tagung erwies sich als impulsgebende und animierende Veranstaltung, um vorherrschende Geschlechterbilder kritisch zu hinterfragen und insbesondere die Bedeutung von Kinder- und Jugendmedien in der Reproduktion von sozialen Normativierungen zu reflektieren, was in der regen Diskussion von allen Teilnehmern auch in Anspruch genommen wurde. Das bunt gemischte Publikum setzte sich aus Literaturwissenschaftlern, Verlagsmitarbeitern, Journalisten, Bibliothekaren und Lehrern zusammen und bot einen gelungenen Rahmen zum fruchtbaren Austausch. Ein Angebot, das in Zukunft – denn die Tagung findet alle zwei Jahre statt – hoffentlich auch noch ein paar mehr Verlage wahrnehmen werden.