#MeFat
Die Spitznamen Abelix und Pumba verfolgten mich durch die Jahre meiner Schulzeit. Verletzend waren sie nicht gemeint, eine unschuldige Neckerei, nichts weiter. Als mein Vater im Urlaub zu seiner Teenagertochter sagte, Greenpeace würde bald versuchen sie wieder ins Wasser werfen (weil gestrandeter Wal und so), war dies ebenfalls als harmloser Scherz zu verstehen. Und die Worte meines ersten Freundes eines Abends beim Kuscheln, „So fühlen sich also Eichhörnchen, wenn Sie von einem LKW überfahren werden.“, waren auch wenig reflektiert, aber für mich eindeutig ohne boshafte Intention. Natürlich gibt es sie, die bewussten Beleidiger. Wie jenen Passaten, der mir im Ausland bei der höflichen Frage nach der nächsten Bushaltestelle selbstzufrieden riet, so wie ich aussähe, sollte ich besser laufen oder den Cafégast, der mich nach meiner Aufforderung, er solle seine Musik leiser machen, ärgerlich anraunste: „Benutz doch Deine Kopfhörer, dann hörst Du mich nicht. Miss Piggy.“
Übergewicht ist eine jener Alteritäten, die stets sichtbar und damit als Thema präsent sind. Der Körper wird zur permanenten Angriffsfläche und jede Handlung im öffentlichen Raum gibt potentiell Anlass für Kommentare. Die eigene Existenz steht so im Zeichen des grundlegenden Makels.
Mann sieht nur mit dem Herzen gut?
Bedauerlicherweise beschränkt sich die körperpositive, mediale Darstellung von übergewichtigen Frauen meist darauf, gut gemeint, aber wenig überdacht zu sein, vor allem dann wenn es um das Thema Liebe geht. Das Jahr 2001 bescherte uns den Film Shallow Hal, eine Komödie, in welcher der männliche Protagonist Hal (Jack Black) hypnotisiert wird und danach nur noch die innere Schönheit von Menschen wahrnehmen kann. Nun hat Netflix in der vergangenen Woche Sierra Burgess is a Loser auf ihrer Plattform präsentiert, eine Liebeskomödie in der ein junger Quaterback denkt, er chattet und telefoniert mit der Schulschönheit Veronica, während er eigentlich mit der leicht übergewichtigen Sierra flirtet. Getan hat sich in den 17 Jahren zwischen Shallow Hal und Sierra Burgess wenig. Im Zentrum steht jeweils ein vereinfachtes Gegenüber von Seele und Körper, wie ein Spiel mit An- und Abwesenheit, welche den Liebesplot signifikanterweise erst möglich machen.
Nachdem Hal nur noch innere Schönheit sehen kann, trifft er schließlich Rosemary (Gwynneth Paltrow, teils in einem Fatsuit) und verliebt sich in sie. Rosemary ist eigentlich extrem fettleibig, doch Hals nun gar nicht mehr oberflächlichem Blick erscheint sie stets als sehr schlank und unerklärlich unsicher. Aufgrund der Notwendigkeit filmischen Erzählens innere Schönheit hier visuell darstellen zu müssen, wird Schönheit so direkt in Dünnsein übersetzt. Dies bildet eine Konstante im Film, der, obwohl er einen komplexeren Umgang mit Äußerlichkeiten propagieren möchte, die Leinwand auf diese Weise hauptsächlich mit stereotyp-attraktiven Menschen füllt. Entsprechend ist es auch die zarte Version von Paltrow, welche die Plakate ziert, während Rosemarys dicke, wahre Gestalt nur als irritierender Riesenschatten im Hintergrund erscheint.
Ähnlichkeiten mit dieser Darstellungsweise finden sich in Sierra Burgess is a Loser. Nachdem Quaterback Jamey (Noah Centineo) Veronica um ihre Telefonnummer gebeten und diese ihm Sierras Nummer gegeben hat, texten Sierra und Jamey einander und telefonieren. Jamey denkt dabei stets, Sierra ist die schlanke Veronica. Bald bekommt Sierra Veronica dazu, sie bei bei Videochats und echten Dates zu spielen, um so die reifende Beziehung im physischen Raum fortsetzen zu können. Obwohl Jamey, als er Sierra das erste Mal trifft, positiv auf diese reagiert und am Ende selbst sagt: „You are exactly my type.“ (01:37:20), wird diese potentiell, konfliktfreie gegenseitige Anziehung der beiden vom Film nicht in den Fokus gerückt. Wenn Jamey und Sierra beim Happy End letztendlich zueinanderfinden, lassen die Drehbuchschreiber Jamey entsprechend ebenfalls gestehen: „Had we not met the way that we had, maybe I wouldn’t have noticed you.“ (01:36:00).
Wie in Shallow Hal ist es damit ebenfalls die Abwesenheit des dicken Körpers, die im Zentrum der Handlung steht. Zwar wird die leicht übergewichtige Protagonistin Sierra (Shannon Purser) dankenswerter Weise von einer leicht übergewichtigen Schauspielerin gespielt, welche zudem die ganze Zeit auf der Leinwand zu sehen ist. Dennoch ist es Sierras Körperlosigkeit am Telefon und während der schriftlichen Kommunikation, die zur Bedingung für ihr Liebesglück wird. Es braucht, so die implizite Botschaft, die Unsichtbarkeit des übergewichtigen Körpers, um das Herz des Gegenübers so lange reifen zu lassen, bis es den Körper entweder ausblenden oder mit in die Sympathie für den Charakter einbeziehen kann.
Strange Thing
Der dicke Körper wird in Shallow Hal und Sierra Burgess als schreckliche Enthüllung inszeniert, die es aus dramaturgischen Gründen so lange wie möglich hinauszuzögern gilt, und im Zuge dessen mit verstörendem Potential aufgeladen. Rosemarys echte Erscheinung blitzt in Shallow Hal die ersten 85 Minuten des Films nur auf, wenn die Ereignisse kurz aus der Perspektive einer anderen Figur fokalisiert werden oder ein neutraler Blick von Außen auf die Situation geworfen wird. So wird Rosemary den ZuschauerInnen in Teilen vorgestellt: ein paar überdimensionale Beine im Schwimmbad, eine in der Ferne an der Theke stehende Person, deren Fettringe aus der Kleidung quellen, ein riesiger Rücken im Hausflur oder am Telefon. Stets bleibt das Gesicht dabei mysteriös verborgen. Als der nicht mehr hypnotisierte Hal die dicke Rosemary das erste Mal erblicken könnte, versetzt ihn diese Aussicht in solche Panik, dass er sich Vaseline ins Gesicht schmiert und damit das Sehen einfach verweigert. Durch Hals Augen ist Rosemarys erste Ansicht von Vorne somit völlig verschwommenen, ihre Gestalt wird in seiner schon überzeichneten Unförmigkeit noch gesteigert. Die Inszenierung des übergewichtigen Körpers als monströs wird komplettiert durch die Verwendung eines Fatsuits, der Paltrows Gesicht irritierend unmenschlich wirken lässt.
Sierra Burgess ist grundsätzlich als Teenagerkomödie angelegt: Dickes Mädchen verliebt sich in süßen Quaterback, es kommt zu allerlei Verwechslungen, dickes Mädchen kommt mit süßem Quaterback zusammen. Interessanterweise wählt der Film für den Einstieg in die Handlung jedoch keine fröhliche oder romantische Musik, sondern den 80er Jahre Synthesizersound der Stranger Things Titelmelodie. Damit wird ein Referenzrahmen geschaffen, der nicht nur auf Shannon Pursers Bekanntheit durch die Serie anspielt, und die Handlung zeitlich grob verortet, sondern der ebenso die Liebesgeschichte als unheimlich markiert. Dies ist sie schlussendlich auch. Obwohl Purser eine wirklich schöne Person ist, die definitiv attraktiver hätte gezeigt werden können, wird Pursers Sierra als grundlegend ungewöhnlich aussehend inszeniert. In einem emotionalen Höhepunkt des Films fragt das verzweifelte Mädchen schließlich ihre Mutter: „Do you have any idea what it’s like to be a teenage girl and look like this?“ (01:26) und verortet sich damit selbst im Kontext des Unausprechlichen und wird zum Wesen für dessen Aussehen es keine genauen Worte gibt. Auch beim „romantischen“ Happy End unterstreicht Jamey diesen Aspekt: „I mean, you are not exactly everybody’s type.“ (01:36:00) Zum anderen ist Sierra, im Unterschied zu der idealisiert gutherzigen Rosemary, keine fehlerfreie Figur. So lässt sie Jamey extrem lange über ihre wahre Identität im Unklaren, lügt ihn über ihr Aussehen an, verfolgt ihn und Veronica zum Date und küsst Jamey sogar, als dieser mit geschlossenen Augen denkt, er küsst Veronica. Obwohl diese Handlungen übergriffig und moralisch verwerflich sind und daher kritisch hinterfragt werden müssten, bekommt Sierra am Ende den Mann ihres Herzens, der auch direkt Verständnis für ihre Motivation zeigt. Der transgressive Körper der dicken Jugendlichen muss in dieser Logik nicht nur abwesend oder unsichtbar sein, um in ihrer Andersartigkeit liebenswert zu werden, ihre Grenzüberschreitungen sind, zumindest bei Sierra Burgess, ebenfalls Bedingung für die Chance auf das Liebesglück. Rosemary ist damit das Abjekte ihrer Liebesgeschichte, während Sierra Burgess die Rolle der Psychopathin statt der Geliebten einnimmt.
Thin is Sexy and We Know It
Mit der Bedingung der Abwesenheit des dicken Körpers für die Liebe, und der späten Enthüllung der wahren Gestalt in der Narration, geht eine betonte Inszenierung des dünnen Körpers als erotisch einher. Denn es ist dieser, der im Verlauf der Handlung entweder Sex hat oder zumindest als erotisch wahrgenommen wird. Sehen wir die „innerlich schöne“, also schlanke, Rosemary in Shallow Hal noch im Negligee, wie sie sich vor dem sichtlich begeisterten Hal entkleidet, ist diese körperliche Anziehungskraft am Ende des Films nicht mehr Teil der Geschichte. Entschlossen Rosemary zurückzuerobern, stürmt Hal ihre Abschiedsfeier, hält zunächst die circa 50-jährige Haushälterin für seine große Liebe und küsst diese herzhaft. Der Fokus der Beziehung, so wird hier deutlich, verschiebt sich rein auf den Charakter, der Körper ist für Hal nun austauschbar geworden. Eine erotische Szene zwischen Hal und der wahren Rosemary fehlt. Stattdessen ziehen am Ende beide aus, um in Sierra Leone Gutes zu tun. Dazu lässt der Film Rosemary, die bisher keine ungewöhnliche Stärke besaß, Hal plötzlich auf ihren Armen zum Auto tragen und unterstreicht so Rosemarys neue/echte Körperform als unweiblich.
Auch das Verhalten von Jamey gegenüber Veronica in Sierra Burgess ist wesentlich körperlicher, als jenes zu Sierra am Schluss. So gesteht Jamey Veronica beim Videochat voll aufgeregter Bewunderung „You are even more beautiful than I remember.“ (00:47:10). Er macht nervös Fotos mit nacktem Oberkörper, schickt Sierra diese im Glauben er hat sie Veronica geschickt, und Sierra bringt Veronica dazu ihm ein erotisch aufgeladenes Bild von ihr zu schicken. In einer Szene, welche die Situation eskalieren lässt, küsst Jamey Veronica, die Cheerleaderin des gegnerischen Teams ist, vor einem Spiel seiner Mannschaft und macht verschmitzt einen Witz darüber, dass dies eine „Verbündung mit dem Feind“ wäre. In den maximal vier Minuten die Sierra und Jamey am Schluss des Films ein Paar sind wird lediglich ein zärtlicher Kuss ausgetauscht und brav zum Abschlussball gegangen. Es verwundert entsprechend kaum, dass auf beiden Filmplakaten die männlichen Protagonisten Begeisterung über das Erscheinungsbild der dünnen Manifestationen ihrer Geliebten zum Ausdruck bringen.
Rosen sind dumm, Sonnenblumen sind schlau,
ich liebe nur dich, ich hoffe das weißt Du genau.
Zu Beginn der Ereignisse erklärt Sierra ihrem besten Freund: „I know that he is imagining her, when he’s talking to me but… they are my words. He is falling for me.“ (00:22:20). Es ist diese angeblich problemlose Trennbarkeit von Körper und Charakter im Kontext von gegenseitiger Anziehungskraft, auf die Shallow Hal und Sierra Burgess bei ihrer körperpositiven Botschaft bauen. Statt den rundlicheren Körper aufzuwerten, wird dieser vom Charakter getrennt und als irrelevant bewertet. Gleichzeitig baut Sierra Burgess auf die stereotype Idee, dass hübsche, schlanke Mädchen dumme Zicken sein müssen, um Sierra attraktiver, weil schlauer, zu machen. Spaltet sich die Figur Rosemary in ihre innere und physische Schönheit auf, so exitiert Sierra in ihrer realen, leicht übergewichtigeren Manifestation und in Jameys Kopf als konventionelle Schönheit, welche Veronica für sie darstellt. Der Film beginnt zunächst damit, Sierra und Veronica als Gegensätze zu inszenieren. Veronica ist gemein, ungebildet und Cheerleaderin, Sierra ist belesen und in der Marschkappelle. Obwohl diese unterkomplexe Binarität im Verlauf der Handlung aufbricht, da Veronica sich sehr schnell zu einer netten und lernfähigen Person entwickelt, braucht der Wertehaushalt des Films für das Happy End das Bild der gemeinen Schönen. Um sich bei Jamey zu entschuldigen komponiert und dichtet Sierra ein Lied, Sunflower:
“But I’m a sunflower, a little funny, if I were a rose, maybe you’d pick me” heißt es dort in einer Metareflexion des Verhältnisses von Sierra und Veronica zu Jamey. Obwohl diese Gegenüberstellung von Rose und Sonnenblume zunächst Sierra in ihrem Anderssein unterstreicht, dient sie ultimativ der Rettung des dicken Körpers für die Liebe. So zückt Jamey am Ende des Films eine Sonnenblume und verkündet: “For the record, I think that roses are more like the bitchy supermodels of flowers.” (01:37:34) Erst indem der Charakter der Rose pauschal abgewertet wird, kann Sierra in ihrem Anderssein strahlen.
Kein Stolz und viel Vorurteil?
Darf Jane Austens Lizzie Bennett ihrem Mister Darcy in Pride and Prejudice (1813), als dieser bei seinem ersten Heiratsantrag genau ausführt, warum er sie entgegen seines besseren Wissens heiraten möchte, noch Stolz eine Ablehnung erteilen, müssen die Protagonistinnen von Shallow Hal und Sierra Burgess is a Loser dankbar sein, dass sie für eine Beziehung in Frage kommen, dankbar dafür, dass sie ein paar Minuten am Ende der Geschichte sichtbar sein können. Liebesfilme zeigen seit jeher ins Ideal überhöhte Versionen von Realität; Valentinstagstreffen auf dem Empire State Building, überwundene Flughafenabsperrungen und Küsse mit Katze im Arm im strömenden Regen. Doch im Kontext weiblichen Übergewichts wird diese Regel gebrochen. Nicht das Maß der Liebe steht im Fokus, sondern die Möglichkeit der Liebenswertigkeit der weiblichen Hauptfigur. Die Hindernisse, die es zu überwinden gilt, ist der Makel der Protagonistin selbst, welcher die Beziehung im Moment seiner Enthüllung zu bedrohen scheint.
Es bleibt fragwürdig, ob Filme, in denen die Kräfte eines Profihypnotiseurs dicke Frauen erst annehmbar machen und leicht übergewichtige Mädchen sich Küsse erschleichen müssen, indem sie Jungen mit schlanken Mädchen ködern, auch nur ansatzweise ermächtigend wirken können. Eher präsentieren sich diese Liebeskomödien wie narrative Ausformulierungen unbedachter Witze. Im besten Falle werden übergewichtige Rezipientinnen angehalten mitzulachen, wenn Rosemary wiederholt auf Sitzgelegenheiten zusammenkracht und Sierra sich immer weiter in das Netz ihres Versteckspiels verstrikt, und damit eingeladen sich zu einem gewissen Grade über sich selbst und ihre Positionierung in Liebesnarrativen zu amüsieren. Im schlimmsten Falle generieren diese Filme Scham, für die Repräsentation des Selbst auf dem Bildschirm und für den eigenen Körper. Mediale Produktionen, die körperpositive Botschaften über den weiblichen Körper vermitteln wollen, perpetuieren so negative Bewertungen von Dicksein, entmutigen statt zu ermutigen. Entsprechend formuliert Sierra in Sunflower: “If I could, I’d change over night. I’d change into something you like.” Das Lied zum Film, eine Ode an die eigene Minderwertigkeit.
Medien:
Shallow Hal. Bobby Farrelly, Peter Farrelly. 20th Century Fox: 2001.
Sierra Burgess is a Loser. Ian Samuels. Netflix: 2018.