Es ist viel zu schnell dunkel geworden. Ich bin immer noch im Park, der Weg vor mir nur erhellt von meiner Stirnlampe. Ich bin erschöpft, aber ich darf nicht langsamer werden, denn ich habe Verfolger. Ich war zu laut, zu gierig bei der Suche nach Materialien und nun ist ein ganzer Pack Untoter hinter mir her, die nur darauf warten, dass ich nicht mehr kann, dass sie mich in ihre Finger kriegen. Ich gebe noch einmal alles, steigere mein Tempo für einen letzten Lauf, der mich hoffentlich in die sichere Basis bringen wird.
Zombies, Run!
Die Multiplattform-App Zombies, Run! ist 2012 erschienen und ein sogenanntes “exergame”, ein Exercise-Game, welches in diesem Fall Fitness und Spiel miteinander kombiniert. Programmiert und betrieben wird die App von der britischen Firma Six to Start. Zombies, Run! gilt auch heute noch als eine der (kommerziell) erfolgreichsten Apps in diesem Sektor. Die grundlegende Nutzung ist frei, weitere Funktionen lassen sich in Abonnements freischalten.
Das grundlegende Element der Software ist ein Hörspiel, welches parallel zu Läufen in der realen Welt abgespielt werden kann. Aktuell gibt es 7 Staffeln mit hunderten von Einzelepisoden, die Läufer und Läuferinnen während des Sports unterhalten. Zu Beginn jeder Episode entscheidet man sich, ob man eine festgelegte Distanz oder eine festgelegte Zeit laufen möchte, entsprechend werden die einzelnen Abschnitte der Episode aufgeteilt. In den Zwischenräumen können Nutzer*innen eigene Musik oder Podcasts abspielen. Die App misst wie andere Sport-Apps typische Daten der Aktivität, etwa die Distanz, Zeit und durchschnittliche Geschwindigkeit. Zugleich sammelt man spielrelevante Materialien, die zum Ausbau einer virtuellen Basis genutzt werden können, Details über die Welt verraten oder die Erzählung vorantreiben.
Gamification des Sports
In Zombies, Run! schlüpft man in die Rolle von ‘Runner 5’ einem geschlechts- und stimmlosen Protagonisten, welcher nach Ausbruch einer Zombieapokalypse als nicht näher präzisierter Teil einer Übergangsregierung zur englischen Siedlung Abel geschickt wird. Noch auf dem Hinweg wird der Transporthelikopter allerdings auf mysteriöse Weise abgeschossen, man selbst ist der einzige Überlende. Sam, der für die Siedlung sämtliche Kommunikation durchführt, nimmt über Funk Kontakt auf und lotst einen hinter die schützenden Mauern. Von nun an ist man Teil von Abel und verdingt sich seine Kost und Logis als ‘Runner’, ein Läufer für alle Belange außerhalb der Siedlung – das kann Versorgung, Erkundung, Rettung oder das Weglocken von Zombiegruppen bedeuten. Jede Mission ist dabei eine Hörspielepisode und gleichzeitig ein Lauf. Man selbst entscheidet, ob man in der Haupterzählung voranschreiten möchte, oder ob man wiederholbare Nebenmissionen abspielt, die zum Beispiel eine Treibstoffsuche oder die Bergung eines Carepakets beschreiben.
Erzählt wird die Geschichte von professionellen Sprechern und Sprecherinnen. Da man selbst stumm ist, steckt man stets in der Rolle des Zuhörenden, die anderen Akteure übernehmen die Unterhaltung. So kann es etwa passieren, dass Sam aus der Basis den Auftrag gibt, in einem nahen Krankenhaus nach Patientendaten zu suchen, die Aufschluss über den Ausbruch der Zombiekrise liefern könnten. Unterstützt wird er dabei in seiner Funkkabine von Doktor Meyers, der Ärztin von Abel. Da diese beiden Figuren sich in den einzelnen Abschnitten miteinander unterhalten, entsteht ein Gespräch, für dass der eigene Protagonist keine Stimme benötigt. Im Krankenhaus angekommen könnte man dann beispielsweise eine weitere Person antreffen, welche dann mit einem selbst und mit den Auftraggebern in der Basis spricht – so erlangt man weitere Informationen über die Spielwelt, ist dabei aber selbst stets nur stummer Beobachter. Die Erzählung nutzt hier das aus Videospielen genutzte Element der stummen Heldenfigur, welches das Identifikationspotential der spielenden Person mit seinem Avatar in der Spielwelt erhöhen soll.
Die Immersion des Erzählten funktioniert erstaunlich gut und verbindet narrative und sportliche Elemente überzeugend. Möchte man zum Beispiel in seinen Läufen Temposteigerungen einbauen, scheucht einem die App in regelmäßigen Abständen besonders schnelle Zombies in den Weg. Ein Warnsignal bedeutet dann, dass man die Geschwindigkeit um eine selbst festgelegte Zahl steigern muss, etwa 10% des momentanen Tempos über einen Zeitraum von einer Minute. Schafft man dies nicht, kriegen einen die Zombies und man muss zur Rettung der eigenen Haut wertvolle Materialien abwerfen, die nach abgeschlossener Mission für den Ausbau der eigenen Basis verwendet werden. Jegliches Training wird in ein narratives Gerüst eingebunden, welches eine wirkungsvolle Motivation darstellen kann. Das Gefühl, ein integraler Bestandteil einer Gemeinschaft zu sein, die sich auf einen verlässt, kann noch einmal genau den Aufschwung bieten, den man für den letzten Kilometer braucht. Nach Abschluss der Laufeinheit bietet einem die App Statistiken zu beiden Dimensionen – neben Daten zu den sportlichen Leistungen bekommt man auch detailliert aufgeschlüsselt, wie vielen Zombies man entkommen ist und wie viele Supplies man mit nach Hause gebracht hat.
Professionelles Training, professionelle Erzählung
Zombies, Run! setzt hohe Maßstäbe sowohl im sportlichen, als auch im spielerischen Bereich. Die App bietet neben den bereits erwähnten Story- und Endlosmissionen hinter einer Paywall auch Trainingsprogramme, um Distanzen von 5, 10 und 21 Kilometern zu erreichen. Zusätzlich hat man die Möglichkeit, sich eigene Intervallläufe zusammenzustellen oder vorgegebene Varianten auszuprobieren. Auch diese Optionen sind allesamt mit Gamification-Elementen unterlegt, man bekommt speziell zugeschnittene Erzählungen zu hören und kann Materialien erlaufen.
Zusätzlich bietet Betreiber Six to Start auch regelmäßig offizielle Wettkämpfe wie zum Beispiel einen Halloween-Lauf an, die zu bestimmten Zeiträumen überall auf der Welt parallel bestritten werden. Diese (mit Extrakosten verbundenen) Wettrennen bringen ein zusätzliches kompetitives Element in das Spiel, inklusive Siegerurkunden und speziellem Merchandise. Der große Erfolg der App hat also auch eine vermehrte und professionelle Vermarktung und Kommerzialisierung zur Folge.
Für sportliche Motivation ist also zur Genüge gesorgt. Der Sinn von Gamification ist es, durch spielerische Elemente (zusätzliche) Motivation zu schaffen, falls die Begeisterung für die eigentliche Aufgabe oder Aktivität noch steigerungsfähig ist. Wie schafft Zombies, Run! es also, auch Laufmuffel regelmäßig zum Sport zu motivieren? Die App setzt dazu auf eine professionelle und multimediale Erzählung, die Nutzer*innen eine größere Bedeutung vermittelt, als die reine sportliche Betätigung. In den Missionen geht es im Grunde immer darum, von A nach B zu rennen und wieder heil zurückzukommen. Plausible Gründe für diese Läufe findet Zombies, Run! erstaunlich viele. Die Erzählung steigert sich kontinuierlich und bietet weit mehr als nur simple Botengänge. Ohne dass an dieser Stelle gespoilert werden soll, kann verraten werden, dass man es im Laufe der Staffeln mit anderen Siedlungen, mächtigen Feinden und der Suche nach den Ursprüngen der Zombieapokalypse zu tun bekommt. Die Geschichten werden dabei stets unterhaltsam und fachmännisch präsentiert, alle Akteure sind originelle und individuelle Charaktere, die einem im Laufe der Staffeln immer näher gebracht werden. Die Handlungsstränge in Zombies, Run! reichen vom Überlebenskampf über humorvolle Versuche, den Alltag in der Zombieapokalypse auszugestalten, bis hin zu epischen Anstrengungen, die Bedrohung durch die Zombies einzudämmen. Geschichten werden dabei auch über komplette Staffeln hinweg fortgesetzt und sorgen so für eine kontinuierliche Motivation. Ein Beispiel: Zu Beginn einer Staffel trifft man auf einem Versorgungslauf einen ehemaligen Mechaniker, der Informationen über ein großes Treibstofflager besitzt. Diese Informationen will der verzweifelte Mann preisgeben, wenn man ihm dabei hilft, ihn und seine kleine Tochter vor der Zombies in Sicherheit zu bringen. Dies erledigt man in einer anschließenden Mission, darauf folgend wird man in einer noch späteren Aufgabe den Treibstoff aus dem Lager beschaffen. Nach dieser Missionsreihe tauchen Vater und Tochter immer wieder als Bewohner der Siedlung Abel in Sprechrollen auf. Die Erzählung von Zombies, Run! gestaltet auf diese Weise eine konsistente Welt, die sich um das Wirken des eigenen Avatars herum weiterentwickelt.
Eine weitere Ebene der Erzählung ist die Basis von Abel. Diese wird in der App über eine eigene Sektion angesteuert und kann mithilfe von Materialien ausgebaut werden. Es gilt, Platz für Bewohner zu schaffen, diese zu ernähren, für ihre Sicherheit und für ihre gute Laune zu sorgen.
Die Materialien für den Ausbau sammelt man in den Missionen; je länger man läuft, umso mehr wertvolle Ressourcen stehen für die Basis zur Verfügung. Je weiter man in der Geschichte voranschreitet, umso mehr Bauoptionen werden freigeschaltet. Nachdem man in der zweiten Staffel auf eine Gruppe paramilitärischer Girl Scouts trifft und mit diesen ein Zombienest ausräuchert, kann man den jungen Damen im Anschluss ein Clubhaus in Abel bauen. Die eigene Siedlung steigert so die Verteidigung, da die Pfadfinderinnen ganz genau wissen, wie sie sich lästiger Zombies entledigen können.
Hat Gamification eine Zukunft?
Zombies, Run! ist ein nicht mehr ganz junges aber immer noch aktuelles Paradebeispiel für die motivierende Funktion von Gamification. Der Überbau von erzählerischen und spielerischen Elementen gibt der sportlichen Aktivität weitere Dimensionen, die Millionen von Nutzern immer wieder dazu treiben, ihre Laufschuhe zu schnüren. Sport wird so in den Alltag eingebunden und zur Routine, ohne dass er als reine Routine empfunden werden muss. Jeder neue Lauf kann in Kombination mit den Missionen immer neue Abenteuer und spannende Geschichten bereithalten.
Gamification wird bereits (oder immer noch) in vielen Bereichen eingesetzt. Während das Konzept nicht mehr neu ist und Visionen von flächendeckender Anwendung nicht Realität geworden sind, findet sich das Prinzip der spielerischen Motivationssteigerung durchaus in vieler Software, die den Alltag strukturieren will. Erfolgreiche Beispiele dafür sind etwa die Sprachlern-Plattform Duolingo, der Alltagsplaner Habitica oder auch Elemente wie das Karma-System in Reddit. Gamification scheint vor allem dazu geeignet, Nutzer*innern von Programmen und Medien zu aktivieren, sei es in der Interaktion mit der eigentlichen Plattform oder in der Interaktion zwischen den Personen der Plattform. Für all jene, die das Konzept von Gamification als nicht zukunftsträchtig ansehen, sei ein Blick auf Apps wie Zombies, Run! empfohlen, die seit 6 Jahren eine wachsende und aktive Nutzerbasis verzeichnen können und auf einem hohen Niveau innovative Inhalte entwickeln.
Medien
Zombies, Run!. Six to Start. 2012. App.
Alle Screenshots stammen aus der App.