Teil 1: Kinder- und Jugendliteratur goes digital!

Kinder- und Jugendliteratur goes digital!

Teil 1: Einzug des digitalen Wandels. Kinder- und Jugendliteratur von E-Book bis App.

Ein Blick in die Fachzeitschriften der Buchbranche reicht, um zu erkennen, dass die Digitalisierung von Literatur auch in Deutschland längst Einzug hält. Früher oft negativ bewertet und verleugnet, ist mittlerweile in Bezug auf die Digitalisierung die Rede von einem „Wandel der Buchbranche“, einem „digitalen Umbruch der Literatur“ und von weitreichenden Veränderungen in der Struktur traditioneller Verlagsarbeit und schließlich von einem neuen Zeitalter des Geschichtenerzählens.

In beinahe jedem Branchenbereich stehen sich Befürworter und Gegner des digitalen Wandels gegenüber und führen in Fachmagazinen, auf Onlineportalen oder auf Fachtagungen ausufernde Diskussionen über die Vor- und Nachteile des digitalen Wandels, die Handlungsmöglichkeiten und Nutzung der entstehenden Chancen. Deutlich wird hierbei vor allem die Uneinigkeit und Unentschlossenheit innerhalb der Branche und es kommt die Frage auf, ob die Buchbranche trotz der frühzeitigen Ankündigung des digitalen Wandels unvorbereitet und deswegen zum größten Teil zumindest momentan eingeschränkt in der Handlungsflexibilität ist.

Um die Chancen und Veränderungen der Digitalisierung zu nutzen und beeinflussen zu können, ist es wichtig, die Diskussion über den digitalen Wandel in den verschiedensten Bereichen am Leben zu halten. Nicht nur von Seiten der Verlage und Autoren ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema zwingend erforderlich. Ebenso muss die wissenschaftliche Auseinandersetzung und die Kommunikation mit der Leserschaft gefördert werden.

Auch diese Blogreihe soll zur Förderung der Diskussionen über den digitalen Wandel dienen und sich dabei auf den Bereich Kinder- und Jugendliteratur fokussieren. Ganz nach dem Motto „Kinder- und Jugendliteratur goes digital!“ werden unterschiedliche Entwicklungen des digitalen Wandels im Kinder- und Jugendliteraturbereich diskutiert. Von klassischen und multimedialen E-Books bis hin zu den Entwicklungen der Kinder- und Jugendliteratur Apps gilt es, Veränderungen und Möglichkeiten des digitalen Wandels in den verschiedenen Bereichen näher zu erläutern, aufzuzeigen, festzuhalten und zu diskutieren.

Kinder- und Jugendliteratur digital: E-Books und Apps

Unabhängig von der Unentschlossenheit und Uneinigkeit der gesamten Buchbranche, beeinflusst die Digitalisierung der Literatur bereits jetzt die unterschiedlichen Literaturbereiche. Ein Blick auf die Homepage von Amazon, des weltweit größten Anbieters von digitaler Literatur, zeigt, dass mittlerweile viele der im Print erscheinenden Titel auch als digitale Version angeboten werden. Dies ist nicht nur in der Erwachsenenliteratur der Fall, auch im Kinder- und Jugendbuchbereich sind deutsche und internationale Verlage bestrebt, ihr Angebot an Kinder- und Jugendmedien in analoger und digitaler Form bereitzustellen. So sind allein auf Amazon.de knapp 10.000 (Stand Juni 2013) deutschsprachige E-Books unter der Kategorie „Kinder- und Jugendbuch“ zu finden. Diese E-Books sind teils von Verlagen, teils von Self-Publishern über Dienstleister wie beispielsweise Kindle Direct Publishing oder der deutschsprachigen Plattform neobooks (Droemer Knaur) (www.neobooks.de) veröffentlicht worden. Es stehen der Leserschaft bekannte Titel wie beispielsweise Suzanne Collins „Die Tribute von Panem“, erschienen im Oetinger-Verlag, und Titel unbekannter Autoren, die im Self-Publishing ohne jede Verlagsinstanz entstanden sind und vertrieben werden, zur freien Auswahl.

Das klassische Kinder- und Jugend-E-Book 

Bei den momentan auf Amazon erhältlichen E-Books handelt es sich größtenteils um klassische E-Books. Diese klassischen E-Books (Begriff verwendet nach Bußmann, Hilke-Gesa: Das Prinzip E-Book, Fleet-Street-Press 2012, Frankfurt am Main), als Beispiele sind hier die digitalen Fassungen der Märchen der Gebrüder Grimm zu erwähnen, zeichnen sich durch ihre relative Nähe zum gedruckten Buch aus und sind letztlich auch nur als Adaption des Textes vom analogen Printbuch zum digitalen E-Book zu verstehen. Großartige Veränderungen innerhalb des Textes und multimediale Anreicherungen werden nicht vorgenommen. Der Grund hierfür liegt in den technischen Grenzen des von Amazon angebotenen E-Bookformats „mobi“, das lediglich von Kindle E-Readern gelesen werden kann. Dieses E-Bookformat unterstützt, aufgrund der technischen Auslegung auf E-Ink-Displays, keine weitreichenden multimedialen Anreicherungen wie Videosequenzen oder interaktive Schaltflächen. Mit der Veröffentlichung des ersten hauseigenen Tablets „Kindle Fire“, förderte Amazon mit einem neuen E-Book-Format (Kindle Format 8), das auf HTML5 basiert, den Weg zu multimedialen Inhalten auf den eigenen Tablets. Die Erstellung der E-Books in diesem Format erweist sich allerdings als ziemlich komplex und wird deswegen kaum genutzt.

Das multimediale Kinder- und Jugend-E-Book

Neben den klassischen E-Books finden allerdings auch die multimedialen E-Books (Begriff verwendet nach: Bußmann, Hilke-Gesa: „Das Prinzip E-Book“, Fleet-Street-Press 2012, Frankfurt am Main) einen immer größeren Absatzmarkt – in Form von Apps. Egal ob für Apples iOS oder Android: Der Bereich Apps für Kinder- und Jugendliche wird zunehmend erweitert. Anders als vielleicht der erste Blick vermuten lässt, handelt es sich bei diesen Apps allerdings nicht lediglich um Spiele oder praktische Programme wie Taschenrechner oder Taschenlampen. Verlage wie beispielsweise der Oetinger-Verlag machen es sich zur Aufgabe, Kinder- und Jugendbuchklassiker wie „Der Regenbogenfisch“ als App zu animieren und die Geschichte des bekannten Kinderbuchs zu erweitern.

So sind beispielsweise von Oetinger für das iPad verschiedene Kinder- und Jugendbuchklassiker aufgegriffen und als Gute-Nacht-Geschichten adaptiert worden. Animationen und interaktive, spielerische Schaltflächen ermöglichen es den Kindern- und Jugendlichen direkt mit der Geschichte zu interagieren und diese zu beeinflussen. Besonders auffällig ist, dass die Kinder- und Jugendbuchverlage hier den Verlagen der Erwachsenenliteratur einen großen Schritt voraus sind. Sie haben erkannt, dass die Multimedialität und Interaktivität digitaler Literatur eine Chance zum neuen Geschichtenerzählen ist und experimentieren mit diesen Apps auf verschiedene Art und Weise.

Multimediale E-Books sind allerdings nicht nur in Form von Apps erhältlich. An der Stelle, an der Amazon mit seinem Kindle Format 8 nur relativ kleine Fortschritte macht, setzt Apple mit seinem, für Applenutzer kostenlosen Programm, „iBooksAuthor“ neue Maßstäbe in der Realisierung von multimedialen E-Books. In Form einfacher Drag-and-Drop-Funktion können sowohl Verlage als auch Autoren auf einfachem Wege multimedialen Inhalt erstellen und diesen über Amazons iBooksstore als E-Book im ePub-Format verkaufen. Von der Einbindung einfacher Bildergalerien, kleinerer Spiele oder Videosequenzen sind den Produzenten der E-Books dank HTML-Widgets keine Gestaltungsgrenzen gesetzt. Die erstellten E-Books können von Nutzern im iBooksstore und bei iTunes erworben und über die iBooks-App auf allen Apple-Geräten gelesen werden.

Die Probleme der Digitalisierung

An dieser Stelle wird eines der Hauptprobleme der momentanen weltweiten E-Book-Situation deutlich: Die Uneinigkeit bezüglich eines standardisierten E-Book-Formats. Wer vor der Kaufentscheidung eines E-Book-Readers steht, wird mit Formaten wie mobi, ePub, ePub3 und HTML5 bombardiert, ohne möglicherweise die genauen Unterschiede zu kennen und zu verstehen, wieso man mit jedem E-Reader nicht einfach überall E-Books erwerben kann. Letztlich basieren die unterschiedlichen E-Book-Formate auf dem Bestreben der Anbieter, die Käufer mit dem Endgerät E-Reader an den hauseigenen Shop zu binden. So können beispielsweise die Kindle E-Reader des Marktführer Amazons lediglich E-Books im mobi-Format lesen. Der Erwerb von E-Books im stationären Handel oder in anderen Internetshops ist dadurch nahezu unmöglich. Andere Buchhändler, wie beispielsweise der Zusammenschluss von Hugendubel, Thalia und Weltbild versuchen mit dem E-Reader Tolino (die deutsche Antwort auf Amazons Kindle) und dem E-Book-Format ePub zwar möglichst viele Shops anzubinden, machen aber dadurch einen Kauf bei Amazon unmöglich.

Diese Ausführung zeigt, dass das natürlich nur verständliche und marktwirtschaftlich logische Bestreben der einzelnen Buchhandlungen, den Kunden an den eigenen Shop zu binden, auf Kosten des Endverbrauchers geht. Es wundert nicht, wenn der Teil der Leser, die sich bisher nicht mit dem Thema digitale Literatur beschäftigt haben, aufgrund dieser starken Differenzierung und Einschränkung eher abwertende und abneigende Tendenzen gegenüber der digitalen Literatur zeigen.

Welche Fragen wirft die Digitalisierung von Kinder- und Jugendliteratur auf?

Diese Ausführung über die verschiedenen Formen und Formate von E-Books soll lediglich als theoretische Grundlage für die kommenden Beiträge dieser Blogreihe dienen. Bereits bei dieser Ausführung sind mit Sicherheit einige Fragen aufgekommen, die es in der kommenden Zeit zu beantworten gilt. Um an den letzten Abschnitt anzugliedern, stellt sich beispielsweise die Frage nach einer möglichen Lösung eines standardisierten E-Book-Formats und dem Bestreben verschiedener Buchhändler und Buchhandlungen danach. Hier ist auch die Frage nach dem Kopierschutz inbegriffen. In den kommenden Artikeln sollen außerdem die Veränderungen im Geschichtenerzählen von Printbüchern zu (multimedialen) E-Books untersucht und einige Beispiele vorgestellt werden. Es bleiben auch Fragen zu klären, ob und inwiefern das Angebot von digitaler Kinder- und Jugendliteratur von eben dieser Zielgruppe genutzt werden? Welche Möglichkeiten haben Kinder und Jugendliche diese Endprodukte zu erwerben? Verfügen Sie über die technische Voraussetzungen und die Endgeräte? Weiterhin soll auch ein Blick hinter die Kulissen der Produktion von digitaler Literatur geworfen werden. Mit der Etablierung des Self-Publishings im deutschsprachigen  Raum ist es mittlerweile jedem Textproduzenten möglich, seine eigenen Texte über Dienstleister zum Verkauf anzubieten. Die Frage, ob und inwiefern dies qualitative Veränderungen im Gesamtangebot der Kinder- und Jugendliteratur mit sich bringt, gilt es ebenso zu diskutieren.

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