Es gibt manchmal wunderbare Zufälle: eine tolle Dokumentation, die man beim Zappen entdeckt, den alten Bekannten, der plötzlich neben einem in der U-Bahn auftaucht oder, wie heute Nacht geschehen, die Erkenntnis, dass John Green gleich eine Rede halten wird, die auch noch live im Internet übertragen wird und das Schicksal es will, dass man noch wach ist. So kam ich ganz unvorbereitet in den Genuss von John Greens Rede Thoughts on How to Make Things and Why, die er am 10. Februar in Kenyon College Ohio, seinem ehemaligen College, gehalten hat.
Ablenkung und Geschenke
Wer John Greens Bücher kennt oder ab und an seine Vlogs (Videoblogs) sieht weiß, dass John Green keine Angst hat, schmerzhafte Dinge direkt auszusprechen. So begann auch seine Rede mit der simplen aber tiefgreifenden Feststellung, dass was den Menschen beschäftigt, die Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz ist. Erwachsenwerden und die Zeit am College, so stellte er heraus, sei oft geprägt von der Erkenntnis, dass man bedeutungslos ist. Menschen als Spezies werden aussterben, der Planet Erde wird vergehen und es gibt keine Möglichkeit bleibende Spuren im Universum zu hinterlassen. Doch es gibt Hoffnung. “You don’t have to go to law school”, lautete Greens frohe Botschaft, die er selbst einmal am Kenyon College vermittelt bekommen hat. Unsere Gesellschaft, so Green, sei geprägt von Möglichkeiten sich abzulenken, ja hat die Kunst der Ablenkung perfektioniert und die Menschen verlieren sich gerne in diesen Ablenkungen. Bücher jedoch bieten in dieser Zeit des ‘Sichablenkens’ ihren LeserInnen die Chance sich mit der Dunkelheit des eigenen Selbst auseinanderzusetzen. Kinder- und Jugendliteratur ist dabei besonders effektiv, da sie viel offener und direkter ist als Bücher für Erwachsene, die die großen Fragen hinter abstrakten Metaphern verstecken würden.
Diese Herangehensweise an Bücher und was diese leisten können, beschrieb Green auch als entscheidend für seine Karriere. So schilderte er, wie Schreiben für ihn Anfangs geprägt war von der Idee, Anerkennung und Größe zu erlangen, besagte Spur im Universum zu hinterlassen (und nebenbei natürlich Mädchen zu beeindrucken). Aus heutiger Sicht mag es sicher lustig anmuten, dass Green damals nicht für den Schreibkurs für Fortgeschrittene im College angenommen wurde, weil seine Texte nicht gut genug waren. Heute, so erzählte Green, weiß er, warum er damals abgelehnt wurde. Seine Geschichten waren zu egozentrisch, zu fokussiert darauf, das eigene literarische Können zu demonstrieren. Bücher jedoch, so Green, müssen Geschenke sein.
Die Geschichte vom grünen Fleece – How
Um zu demonstrieren, wie Erzählungen zu Geschenken werden, berichtete Green von einer Party, die er in seinen Kenyon College Tagen besuchte. Der junge John Green war gerade von seiner Freundin verlassen worden und völlig versunken in seinem Liebeskummer. Freunde von ihm überreden ihn daher, auf eine Party zu gehen, um endlich mal wieder aus seinem Loch herauszukommen. Dort lernt er ein Mädchen kennen, von dem er denkt, dass sie Amanda heißt. Beide besaufen sich maßlos, knutschen, gehen schließlich gemeinsam auf ‘Amandas’ Zimmer und entkleiden sich. Da stellt Green fest, dass er mal dringend auf Toilette muss. Er rennt auf die Gemeinschaftstoilette (ja, nackt). Als er jedoch wieder den Gang betritt wird ihm klar, dass er keine Ahnung hat, aus welchem der Zimmer er gekommen war und wo ‘Amanda’ eigentlich wohnt. Er läuft einmal schnell den Gang hinauf und hinunter und hofft auf einem Nachrichtenboard an den Türen den Namen Amanda zu entdecken. (Was nicht funktioniert, denn das Mädchen hieß garnicht Amanda.) Schließlich flieht Green zurück in die Toilette, wo er eine grünes Stück Fleece findet. Das schlingt er sich nun um die Hüften und joggt durch die Dunkelheit über den Campus zurück zu seiner Wohnung.
Das Publikum im Saal von Kenyon College (und wohl auch alle online Zuschauer) war, wie man sich denken kann, durchaus amüsiert von dieser Geschichte. Doch, eröffnete Green nun sofort, sind nur circa 60 % davon wahr. Vielmehr, so stellte er klar, hat er diese Geschichte aus eigenen Erlebnissen und denen eines Kumpels und der angenommenen Erwartungshaltung des Publikums zusammengesetzt. Der Zuhörer/ Leser rückt so ins Zentrum und der Autor in den Hintergrund.
Schreiben fürs Jetzt – Why
Erzählen wird in Greens Ausführungen so zu einem Handwerk, dass jedoch nicht als kaltes Kalkül oder gezielte Instrumentalisierung von narratologischen oder dramaturgischen Mitteln zur Effekterzeugung verstanden werden kann. Auch geht es nicht platt darum Geschmack zu treffen. Greens Verständnis von Schreiben ist durchdrungen vom Willen zur Empathie, der Hoffnung aus Büchern das besagte Geschenk zu machen. Als entscheidendes Ereignis auf dem Weg zu dieser Erkenntnis, nannte Green die Poesieabende bei Kenyon College Professor Rogan. Hier, so berichtete Green, fanden sich Studenten und Professoren zusammen und lasen gemeinsam Gedichte oder präsentierten einander eigene Texte. Und, so musste Green erkennen, eben nicht um sich selbst als talentiert zu präsentieren, sondern um den Anwesenden etwas zu geben – ein Geschenk.
Die Chance in dieser Art Literatur zu sehen liegt in deren Wirkrichtung. So zeigte Green, dass es vielleicht nicht möglich ist, dem Universum einen bleibenden Stempel aufzudrücken, doch im Jetzt kann man Spuren hinterlassen und zwar in den Menschen, für die man schreibt. Literatur hilft sich mit der Dunkelheit des eigenen Selbst auseinanderzusetzen und bietet auf gewisse Weise Raum zur Heilung.
The Fault in Our Stars
Schön beobachten ließ sich diese wandelnde Sicht auf die eigene Kunstproduktion an Greens Ausführungen zu The Fault in Our Stars. So berichtete der Autor, dass die Idee zu dem Buch schon für viele Jahre existierte. Fokus des Romans war zu Beginn ein junger, gut aussehender Seelsorger, der heroisch und aufopferungsvoll Kinder auf einer Krebsstation im Krankenhaus betreut. Dieser Ansatz hat autobiografische Hintergründe. John Green selbst ist Religionswissenschaftler und war oft als Seelsorger in einem Kinderkrankenhaus unterwegs (die platte Positionierung der eigenen Person ins Zentrum der Handlung kommentiert Green nun meist mit entsprechend belustigenden Bemerkungen). Zwei Dinge jedoch fielen ihm nach und nach auf: Erstens die abstrusen Aufmunterungsparolen, mit denen krebskranke Jugendliche umgeben werden (Green nennt sie einfach und offen “Bullshit”). Zweitens wurde Green die Instrumentalisierung von kranken Figuren in der Kinder- und Jugendliteratur bewusst. Kranke, so macht Green in seiner Rede deutlich, dienen meist als Werkzeug um die Entwicklung der gesunden Figuren zu motivieren. Diese Wachsen am Umgang mit den sterbenden Figuren, deren Aufgabe es ist, möglichst tapfer ihr Schicksal zu ertragen.
Es sind diese Aspekte, von denen sich The Fault in Out Stars nun positiv abhebt. Das Buch will eben genau das, ein Geschenk sein, das sich mit der Dunkelheit des Selbst beschäftigt und vermeidet dabei explizit simple Aufmunterungsparole oder Aufruf zur Tapferkeit zu sein.
Leben im Bewusstsein der eigenen Krankheit oder der eigenen Sterblich- und Bedeutungslosigkeit macht Angst. John Green, so zeigt seine Rede, scheut sich nicht sich mit dieser Verunsicherung zu beschäftigen und will auch nicht von ihr ablenken oder sie verschweigen. Es dürfte diese Offenheit sein, die ihn bei seiner jungen Leserschaft so beliebt macht.
Natürlich hat John Green noch viele andere spannende Dinge erzählt. Wer sich also die ganze Rede ansehen möchte, kann dies hier tun: John Green Thoughts on How to Make Things and Why