Interdisziplinäre Konferenz, 16.-18. März 2013, Lissabon
Die interdisziplinär ausgerichtete Tagung: The Patient, die vom 16. bis 18. März 2013 in Lissabon abgehalten wurde, hat mir wieder einmal deutlich gemacht, dass die Öffnung des Blickfeldes für unterschiedlichste Forschungsgebiete überaus bereichernd sein kann. Auf der Tagung, die sich um „den Patienten“ drehte, waren Psychoanalytiker, Krankenschwestern, Literaturwissenschaftler, Philosophen und in verschiedenen Bereichen tätige ehrenamtliche Helfer vertreten. Es kam zu einem sehr interessanten Austausch und, auch wenn man es kaum vermuten mag, herrschte eine sehr angenehme Atmosphäre, da jeder Teilnehmende mit dem Respekt und Interesse der anderen Teilnehmer rechnen durfte.
Als Resultat hat sich mir besonders die von Teresa Casal (University of Lisbon, Portugal) aufgeworfene Frage eingeprägt, was einen Kranken zum Patienten macht, die Diagnose eines Arztes oder Analytikers, oder die selbst bemerkten bzw. erlittenen Schmerzen? Abgesehen davon wurden vielfältige Fragen aufgeworfen, die zum Nachdenken anregen, wie beispielsweise die Tatsache, dass wir alle (früher oder später) Patienten sein werden und es daher absurd ist, die Figur des Patienten als das Fremde, das Andere zu inszenieren. Dies wurde vorwiegend mit der Angst des gesunden Betrachters erklärt, der sich im Angesicht des Patienten seiner eigenen Schwächen bewusst wird und sich daher von dem als Patienten bezeichneten distanziert. Dies ändert sich natürlich, wenn eine Krankheit nach außen nicht sichtbar ist, da hierdurch der Status einer Person als Patient nicht unmittelbar deutlich wird.
Was den Inhalt der unterschiedlichen Beiträge betrifft, seien aufgrund der Vielfalt nur einige Forschungsansätze genannt, die sich mir besonders eingeprägt haben: So beschäftigte sich beispielsweise die 21jährige Forscherin Holland Kaplan (Texas A&M University in College Station, USA) mit der Frage nach Patientenautonomie im Zusammenhang mit unmündigen, d.h. noch nicht volljährigen Patienten. Sie arbeitet in einer Kinder-Krebs-Station, wo sie erlebt, wie sich Kinder weigern eine Chemotherapie über sich ergehen zu lassen. Sie hat die Frage danach aufgeworfen, wie viel Autonomie man Kindern in dieser speziellen Situation zugestehen kann bzw. darf. Das vorläufige Fazit ihrer Studie lautet, dass man prinzipiell nur dann zu einer Entscheidung befähigt ist, wenn man sich der Konsequenzen dieser Entscheidung bewusst ist. Wenn die Konsequenz einer Entscheidung jedoch der Tod ist, dann sollte es keinen Unterschied machen, ob man ein Kind oder ein Erwachsener ist, da keiner, aus einer lebendigen Perspektive heraus behaupten könnte, er wüsste was der Tod sei.
Sehr eindrucksvoll waren auch einige Berichte der Psychoanalytiker, bei denen man zu dem Schluss kommen muss, dass das Leben die absurdesten Geschichten schreibt und man einem Schriftsteller, der solch eine „Geschichte“ veröffentlichen wollte, höchstwahrscheinlich vorwerfen würde, dass er zu dick aufträgt. Der Ruf nach Realitätstreue, gerade im Bereich der Jugendliteratur, kann jedoch besonders in dieser Hinsicht in Frage gestellt werden. Denn wenn es darum geht, einen Zustand, wie jenen der Adoleszenz abzubilden, ist man einerseits mit der Problematik konfrontiert, dass dieser Zustand aufgrund seiner vielen möglichen Ausprägungen schwer einzuordnen ist, und andererseits betrachten die Autoren diesen Zustand immer aus einer Distanz heraus, sodass er in erster Linie zu einem Zustand der Andersartigkeit und Fremdheit wird. Der erwachsene Autor schreibt zwar über einen Zustand, den er selbst zwangsläufig erlebt, jedoch überwunden hat, gleich einem Patienten, der seine Krankheit überwunden hat und quasi als Geheilter fiktive Patienten entwirft, um diese verschiedenen Leiden auszusetzen. In dieser Hinsicht hat sich die Jugendliteratur kaum verändert, denn schon über Schnitzler und Musil wurde im Bezug auf „Leutnant Gustl“ und „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ geschrieben, dass sie ihre männlichen Helden, wie in einem wissenschaftlichen Experiment, einer Krisensituation aussetzen, um dann aus der Ferne zu betrachten, wie sie damit umgehen.
Um wieder zum Inhalt der Tagung zurückzukommen, war es beispielsweise bemerkenswert, dass sich das von Patricia Fennell (Albany Health Management Associates, Inc., USA) entwickelte Modell zur Bewältigung chronischer Krankheiten scheinbar ideal auf die „Bewältigung“ der Adoleszenz anwenden lässt. Es besteht aus den vier Phasen der 1. Crisis, 2. Stabilization, 3. Resolution und 4. Integration. Hierauf angesprochen bestätigte die Psychologin diese Möglichkeit, die sie auch darin bestätigt sieht, dass sich die Adoleszenz immer mehr einer chronischen Krankheit annähere, weil sie sich im Laufe der Zeit stetig verlängert und nicht mehr zu einem Abschluss kommen muss, sondern in vielen Fällen von der Postadoleszenz nahtlos in die Midlife-Crisis überzugehen scheint. Um den Umfang dieses Berichts nicht zu sprengen, verzichte ich auf weitere Beispiele und verweise auf den bald erscheinenden Tagungsband (vorerst als E-Book). Die genaue Bezeichnung wird nach Erscheinen bekannt gegeben.