Vaterschaft und Kindheit in The Walking Dead
Als am 24. April 2012 die ersten Folge von The Walking Dead dem Computerspiel erschien waren viele SpielerInnen sicher überrascht von der Ausrichtung des Spiels. Die Pilotfolge“A New Day” stellt Lee Everett vor, der zunächst auf dem Weg ins Gefängnis ist. Durch einen Zombieangriff auf das Polizeiauto wird er unerwartet freigesetzt. Lee wird von nun an der Avatar sein, den die SpielerInnen durch die Welt der Zombieapokalypse steuern. Lee ist groß, muskulös und hat eine tiefe Stimme. Er wirkt wie der perfekte Zombiebekiller. Doch ist es nicht seine Eigenschaft möglichst viele Zombies niederstrecken zu können, die für das Spiel vorrangig wichtig wird, sondern seine Freundschaft zu der jungen Clementine (Clem). In seinem Footnoters-Beitrag “Das Gewissen in The Walking Dead” hat Dennis Fassing bereits aufgezeigt, wie die Spielmechanik dazu beiträgt, dass die SpielerInnen ungewöhnlich stark in die Handlung involviert werden und eine empathische Verbindung zu den Figuren aufbauen. In diesem Beitrag soll nun die Rolle von Kindheit für das emotionale Gewebe des Spiel näher beleuchtet werden.
Vaterschaft
Relativ früh in der ersten Episode trifft Lee in einem verlassenen Einfamilienhaus auf die achtjährige Clem. Die Eltern von Clem, so wird durch eine Anrufbeantworternachricht deutlich, waren in einer anderen Stadt, als sie von Zombies angegriffen wurden und sind wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Lee nimmt sich daher des kleinen Mädchens an und wird zu ihrem Vaterersatz.
Von nun an ist es die Aufgabe der SpielerInnen, sich um Clem zu kümmern und Unheil von ihr fern zu halten. Dabei baut das Spiel nicht nur auf große Gesten, wie die Verteidigung von Clem gegen Untote. Lee gibt ihr Essen und verarztet ihren verletzten Finger. So die SpielerInnen sich dazu entscheiden, sich intensiver mit Clem zu unterhalten, erkundigt sich Lee auch, ob Clem Allergien hat von denen er wissen sollte (eine schon fast plakative Inszenierung von guter Elternschaft) und redet mit ihr immer wieder über ihre Gefühle. Es wird den SpielerInnen allerdings auch die Wahl gelassen, sich eher wenig für Clem zu interessieren. So kann man sie anschweigen, wenn sie etwas fragt oder keine Zeit für sie zu haben. Dies wird jedoch von Clem durchaus registriert:
(Achtung: dieser Ausschnitt enthält einen Spoiler.)
Clem ist verärgert über Lees Verhalten, fordert Ehrlichkeit für sich ein und in Verbindung damit, dass er seine Aufgabe als Vater besser wahrnimmt. So ist es durchaus möglich sich der Rolle als Vater in Gewissem Maße zu entziehen, doch wird dies von den anderen Figuren im Spiel stehts negativ bemerkt.
Auf seinem Weg muss Lee seine Rolle als Vater schließlich immer wieder verteidigen. Wiederholt begegnen ihm Figuren, meist andere Väter, die ihn zunächst als Vater von Clem ansprechen. Wenn jedoch klar wird, dass Lee nicht der leibliche Vater ist, wird ihm meist pauschal die Eignung zum Vatersein abgesprochen und ihm geraten, Clem in ‘fähigere’, erfahrenere Hände zu geben. Was braucht es, so lautet die Frage, in einer Welt, in der Untote durch die Straßen ziehen und die Gesellschaft sich im Umbruch befindet, um ein guter Vater zu sein? Mit Lee und Clem als Hauptfiguren der Handlung positioniert das Spiel seine SpielerInnen also an einer interessanten Schnittstelle: zwischen Vergangenheit und Zukunft, Informationsverweigerung und Ehrlichkeit, Stärke und Schutzlosigkeit.
Kindheitsbilder und emotionales Kalkül
Clems Hilflosigkeit wird schon über ihre körperliche Gestaltung unterstrichen. Clem hat weiche, runde Züge und große Augen, die sie, entsprechend dem Babyschema, besonders unschuldig und schutzbedürftig wirken lassen. Ihre Stimme ist dezidiert niedlich gewählt. Ergänzend wird ihr der äußerst hochgewachsene Lee an die Seite gestellt. Wenn Clem in der elterlichen Küche zum ersten Mal Lees Hand ergreift und sich so symbolisch in seine Obhut begibt, wählt das Spiel eine Perspektive bei der man von oben auf beide hinunter blickt. Clem wird zum Ende der Blickachse, die entlang von Lees Arm zu Clem verläuft. Dadurch wirkt das Mädchen besonders klein und von Lee abhängig. Der Effekt dieser klaren Inszenierung von Schwäche ist zum einen eine gesteigerte emotionale Investition in die Handlung – man fühlt sich verantwortlich. Zum anderen wirkt jedoch auch die permanente Präsenz der Zombies plötzlich umso bedrohlicher, wenn Kinder in Gefahr sind.
Clem, diese hilflose Achtjährige, wird nun mit einer Welt konfrontiert, in der physische Stärke von immer größerer Bedeutung wird, während Sozialverhalten und Rücksicht Werte sind, die, so macht dass Spiel immer wieder deutlich, neu verhandelt werden, nur um eventuell ganz abgeschafft zu werden. Damit steht diese neue Gesellschaft im starken Kontrast zu Vorstellungen von idealen, behüteten Kindheitsräumen. Diese werden im Verlauf der Handlung jedoch immer wieder ins Gedächtnis gerufen. Wenn Lee Clem in der ersten Folge trifft, hat sich diese in ihrem Baumhaus versteckt. Im Garten unter dem Baum steht ein Teeservice, ein Überbleibsel aus Tagen bevor die Eltern verloren gingen und der Babysitter zum Zombie wurde. Später, in einem Motel, malen Clem und Duck, ein weiteres Kind, mit Kreide Tierbilder, wie es im Kindergarten oder bei Verabredungen zum Spielen üblich wäre. Auf einer Farm, die die Gruppe auf ihrer Reise erreicht, hängt in einem Baum eine Schaukel, auf der, je nachdem was die SpielerInnen tun, die Kinder schaukeln. Später wird eine verlassene Schule zum Ort der Handlung.
All diese Versatzstücke westlicher Mittelklassekindheit sind vor allem dazu da die Differenz zu einer nun vergangenen Zeit zu markieren. Dieser Eindruck wird durch Clems und Lees Gespräche noch intensiviert. Auf der Farm, während er sie auf der Schaukel anschubst, fragt Lee Clem, wie sie die Molkerei findet. Clem antwortet: “It reminds me of how things used to look before… I miss the way things used to be.” (furdabip, Episode 17, 02:40) In der Schule wiederholt sich dieses Gespräch noch einmal. Clem sitzt hier verloren auf einer der Schulbänke und sagt: “The desk is just like the ones we have in my school. I know it’s weird, but I kinda miss it. Being in school.” So stellt sie die Frage: “Do you think things will ever be normal again? Just like the way they were before?” (SSoHPKC, 06:58)
Über die Präsenz der Kinder wird der Verlust von Normalität besonders schmerzlich ins Bewusstsein gerufen, indem das Spiel einen direkten Vergleich von Zombieapokalypse und Kindheit aufmacht.
Erziehung
Die Chance auf eine wirklich behütete Kindheit fußt selbst in einer zombielosen Gesellschaft auf Abschirmung von äußeren Einflüssen und strenger Informationsregulierung. Nachrichten von Untoten, Sterben, Grausamkeiten und Töten stehen dabei im starken Kontrast zu Wissen, zu dem eine Achtjährige wohl üblicherweise Zugang hätte. Jedoch lassen sich diese Tatsachen dieser neuen Realität auf der Flucht und ohne die Möglichkeit einen hinreichend sicheren Raum zu schaffen schwer vor Clementine verbergen. Wie, so die unterschwellige Aufgabe des Spiels, soll Clem also nun erzogen werden? Zentral für Clems Entwicklung dürften dabei wohl die Kindheitsbilder der SpielerInnen sein. In Gesprächen mit Clem haben diese immer wieder die Wahl, ob sie das Mädchen mehr oder weniger in die Geschehnisse einweihen wollen, ob sie ihr ehrlich antworten oder eher beruhigende Dinge sagen.
“That kinda stuff might mess up a little angle like that.” sagt Familienvater Kenny zu Beginn ihrer Bekanntschaft zu Lee. Clem ist in Kennys Augen ein Engel, ein Wesen reiner Unschuld. Die Zombieapokalypse kann das Ende dieser Unschuld bedeuten. Noch ein weiterer Aspekt, der in Bezug auf Kindheitsbilder und Erziehung eine große Rolle spielt kommt hier zum Vorschein. Kenny stellt in Frage, ob Clem mental mit diesem Einbruch des Grauens umgehen kann. Im Laufe des Spiels jedoch wird sich zeigen, dass Clem, obschon schutzbedürftig und sanftmütig, auch mutig und tapfer ist. Ihre geringe Körpergröße wird in mehreren Szenen zum Vorteil für die Gruppe, da Clem durch Öffnungen kriechen kann, in die Erwachsene nicht passen. Sie lernt schließlich auch mit einer Waffe umzugehen und wird, je nachdem wie die SpielerInnen die Handlung vorantreiben, töten. Damit nutzt das Spiel zum einen Konzepte von Kindheit wie Schwäche und Unberührtheit um die Dramatik und Spannung des Spiels zu steigern. Zum anderen jedoch lässt The Walking Dead Clem als ausdauernde Persönlichkeit zum Vorschein treten, indem gezeigt wird, wie sie alle schrecklichen Erlebnisse irgendwie verkraftet und verarbeitet. Kinder sind stärker als man annehmen mag, könnte daher eine Botschaft des Spiels sein.
Der bestmögliche Lee, geht man von den Sympathien aus, die die anderen Figuren ihm entgegenbringen, ist der, der sich schützend vor Clem stellt ohne sie grundsätzlich auf ihre physische Schwäche zu reduzieren.
The Walking Child
Im zweiten Teil des Computerspiels, am 17. Dezember 2013 veröffentlicht, wird nun Clementine zum Avatar, den die SpielerInnen durch das Spiel steuern. Die Entscheidungen, die im ersten Spiel getroffen wurden, beeinflussen dabei in einem gewissen Rahmen die Ereignisse des zweiten Teils. Clementine variiert also, je nachdem welche Erziehung die SpielerInnen ihr im ersten Teil haben angedeihen lassen.
So ergibt sich für die Fortsetzung ein ganz neues Spielerlebnis. Nicht als Vater, sondern als Zögling erleben die SpielerInnen nun die Zombieapokalypse. Diese neue Situation wurde auch schon in den Vorankündigungen zum zentralen Thema. So zitiert Andrew Yoon auf shacknews die Spielentwickler: “‘You play as this little girl, but the world doesn’t care,’ Telltale says. ‘The other survivors and zombies in general do not care that you’re a little girl…it makes you have to consider things from a different perspective.'” Zombies und die Menschen dieser nun viel brutaleren Gesellschaft räumen Kindern nicht denselben Stellenwert ein, den sie einstmals hatten. Wie kann Clem sich, nun getrennt von Lee, behaupten? Wie können physische ‘Mängel’ augeglichen werden? Telltale Games veröffentlicht seine Spiele, ähnlich Serien, in Episoden. Noch ist also nicht klar, wie Clems Weg enden wird. Es dürfte jedoch sicher spannend sein dann, zum gegebenen Zeitpunkt, einen näheren Blick auf den zweiten Teil des Spiels zu werfen.
Medien
furdabip: The Walkind Dead Silent Run – Part 17. More of the farm. 2012. http://www.youtube.com/watch?v=0IlChqVtwCo. Letzter Zugriff am 06.03.2014. Internetvideo.
furdabip: The Walkind Dead Silent Run – Part 31. Zombie Duck. 2012. http://www.youtube.com/watch?v=UnlKNztT184. Letzter Zugriff am 06.03.2014. Internetvideo.
SSoHPKC: The Ballad of Lee and Clem-Clem. The Walking Dead ‘Episode 4: Around Every Corner’ Walkthrough/Gameplay Part 8 – LeeJacksIt. 2013. http://www.youtube.com/watch?v=1rJRIbbxGF4. Letzter Zugriff am 06.03.2014. Internetvideo.
The Walking Dead. The Game. Telltale Games. 2012. Computerspiel
Yoon, Andrew: How Clementine plays differently in Walking Dead’s second season. 2013. http://www.shacknews.com/article/82377/how-clementine-plays-differently-in-walking-deads-second-season. Letzter Zugriff am 06.03.2014. Internetartikel.