Like Me – Jeder Klick Zählt
Jana-Maria Wolf ist neu in der Klasse. Sie sieht toll aus, ist reich und ständig mit ihrem iPhone beschäftigt. Karo ist fasziniert von Jana und möchte ihre Freundin werden. Die Gelegenheit ergibt sich, als Jana, Karo, Ivo und Eddi sich bei Karo zu Hause zum gemeinsamen Lernen treffen. Jana verkündet dort, dass das soziale Netzwerk ON Moderatoren für einen Online-Sender namens ON SHOW casten wird. In die engere Auswahl kommen jene ON SHOW-User mit den meisten Likes. Jana, Karo und Eddie schließen einen Pakt. Sie wollen gemeinsam Likes sammeln und einander helfen. So beginnt nun die Jagd nach Material, das Ihnen auf ON-SHOW positive Bewertungen einbringt. Dabei wird Karo bald bewusst, dass sich selbst und andere für die Öffentlichkeit zu exponieren nicht unbedingt so sozial ist, wie der Begriff ‘soziales’ Netzwerk vermuten lässt.
Medienkompetenz
Obwohl ein Link zu klicksafe.de und das Angebot von Unterrichtsmaterialien zum Buch einen Hinweis darauf geben, dass es hier ‘etwas zu lernen’ gibt, kann der Roman diese Ankündigung nicht wirklich erfüllen. Like Me erschafft eine Welt in der Medienkompetenz größtenteils abwesend ist. Alle Eltern glänzen dadurch, dass sie ihren Kindern die Verwendung von ON und ON-SHOW höchstens verbieten, das Internet jedoch nicht mit Ihnen nutzen. Auch die Lehrer bieten keine sinnvollen Hinweise zum Umgang mit Medien, sondern fallen im Gegenteil durch völlige Unfähigkeit auf. Auf einer Party filmen Jana und Karo ihre Lehrer. Diese haben nicht gemerkt, dass Jana die Bowle mit Alkohol vermischt hat und sind nun recht heiter. Eine Lehrerin fällt hin und ein anderer Lehrer versucht ihr vergeblich aufzuhelfen. Unter dem Titel “Drunken Teacher” bringt das Video dieser wenig spektakulären Szene Karo nun richtig viele Punkte auf ON-SHOW. Die Lehrerin, Frau Korbweiler, erleidet auf Grund des Videos einen Nervenzusammenbruch und kehrt den gesamten Roman über nicht wieder in die Schule zurück. Auf einem Klassenausflug fotografieren Karo und Eddi den ON-SHOW abgeneigten Ivo, der eingeschlafen im Restaurant sitzt. Sie stellen ganz viele Weinflaschen um ihn herum auf und füllen Cola in sein Glas, so dass es wirkt, als wäre er betrunken. Keiner der Lehrer oder der Eltern bezweifelt die Echtheit der Bilder, auf denen der Klassenstreber mit “um die 20 Flaschen und Gläsern” (S. 82) und einem Grußwort auf der Stirn abgebildet ist. Verwundert die völlig übertriebene Darstellung der geistigen Instabilität der Lehrerin schon etwas, so wirkt der ungebrochene Glaube der Lehrer in Bilder als evidenzevozierende Medien mehr als gestellt.
Bemüht Negativ
Nun ist diese Zeichnung erzieherischer und institutioneller Strukturen sicher ein bedenkenswerter Aspekt in Bezug auf die Verantwortung von Eltern und Schule. Wenn diese versagen, kann keine Medienkompetenz vermittelt werden. Auch die Problematisierung eines Lebensstils, der Ereignisse und das eigene Selbst nur noch daran misst, wie viel Unterhaltungskapital diesen innewohnen, wirft valide Fragen auf, wenn es um neue Medien und soziale Netzwerke geht.
Like Me bespricht diese Punkte jedoch äußerst vereinfacht und medienfeindlich. So wird hier als Lösung nicht der sinnvollen Umgang mit dem Internet präsentiert, sondern eher eine Ablehnung von neuen Medien propagiert. Die einzige näher ausgearbeitete, jugendliche Figur des Romans, die nicht bei dem Kampf um Likes mitmacht, ist Ivo. Dieser interessiert sich prägnanterweise nicht für das Internet und ON-SHOW, sondern spielt lieber Fußball und lernt. Am Ende des Romans melden sich Karo und Eddi schließlich, ähnlich einer Aussteigergeschichte, von ON-SHOW ab. Like Me erzeugt so den Eindruck, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, soziale Netzwerke zu nutzen – gar nicht oder wie ein Süchtiger. Das spiegelt sich auch in der gewählten Erzählsituation des Romans wieder. Direkt zu Beginn wird die Leserin wie eine Vertraute aus der Ich-Perspektive direkt angesprochen. “Ich weiß, dass bei dir ein Geheimnis auch ein Geheimnis bleibt – und es nicht gleich die ganze Welt erfährt. Wenn du dich nicht mehr auf deine Freunde verlassen kannst, auf wen dann?” (S. 5) Intimität oder völlige Preisgabe – ein Dazwischen scheint es nicht zu geben. Auch Qualität von Freundschaft wird hier simpel nach online und offline unterschieden. Jana, das ON-SHOW vernarrte Mädchen, das ständig mit dem iPhone in der Hand herumläuft ist ganz klar als eine “schlechte” Freundin charakterisiert. Dennoch fühlt sie sich beliebt. Der riesigen Anzahl Janas virtueller Freunde stellt Ivo seine Freunde entgegen; alles Menschen, die er “persönlich” kennt und auf die er sich “100-prozentig verlassen kann” (S. 30). Erneut stehen sich zwei Extreme gegenüber – die schier unendliche Menge bedeutungsloser Online-Bekanntschaften und eine Auswahl enger Vertrauter.
Weiter gesteigert wird diese Verflachung der Komplexität des Themas durch die einseitige Natur von ON-SHOW selbst. So ist das Portal in seiner plakativen Überzeichnung als problematisches Medium schon kaum noch ernst zu nehmen. “Du bist ON SHOW!” (S. 15), also zu Deutsch “Du bist auf dem Präsentierteller”, so kündigt die Seite seinen Wettbewerb an. Viel Spielraum für interpretative Feinheiten wird hier nicht gelassen. Auch inhaltlich hat ON-SHOW wenig zu bieten. Lange Zeit bilden die top Drei der ON-SHOW Charts Gerd the Nerd, der Videos anderer als Best-of zusammenstellt, Toni Roh, der Videos von Pennern postet “die total verdreckt sind oder sich eingepinkelt haben” (S. 33) und Michaela Kretschmer mit ihren Katzenbabyvideos. Damit bietet ON-SHOW einem ein Sammelsurium an Retorte, Ekelhaftem und Stereotypen. Entsprechend beschränkt sich vor allen Janas und Karos Auseinandersetzung mit dem Internet darauf, andere bloßzustellen und möglichst effektiv das eigene Auftreten dem Geschmack dieser Online-Gemeinschaft anzupassen. Damit blendet der Roman jegliche zahlreichen Beispiele an ausgesprochener Kreativität, Aktivismus, guter Unterhaltung und Lehrreichem, die soziale Netzwerke ebenso zu bieten haben völlig aus.
Like Me. Jeder Klick Zählt schreibt sich mit ON-SHOW ein Netzwerk zurecht, dass es zu recht zu kritisieren gilt. In dieser Vereinfachung verliert der Roman jedoch jegliche sinnvolle Anwendbarkeit für eine Besprechung aktueller Medien, die diese als essentiellen Bestandteil unserer Lebenswelt erkennt und in ihrem negativen, wie positiven Potential ernst nimmt.
Literatur
Feibel, Thomas: Like Me. Jeder Klick Zählt. Hamburg: Carlsen 2013.