Weihnachten auf der Lindwurmfeste

Vorwort der Verfasserin

Seit genau 20 Jahren gibt es die Zamonien-Romane von Walter Moers. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich damals als 11-jährige begeistert den ersten Band Die 13 ½ Leben des Käpt‘n Blaubär verschlang. Und auch alle nachfolgenden Bände. Dass ich dabei eigentlich nur einen Bruchteil verstand und die diversen Referenzen zur Literatur- und Kunstgeschichte, aber auch zur Populärkultur mir zunächst verborgen blieben, war egal. Denn die Romane waren geschickt konstruiert, mit wohl geformten Spannungsbögen, dramatischen Ereignissen und brüllend komischen Zwischenfällen. Als ich die Romane während meines Studiums nochmal las, offenbarten sich mir plötzlich die weiteren Leseebenen und ich war gepackt, was Moers zusätzlich zur bloßen Geschichte alles erzählt. Nicht zufällig habe ich dann meine Germanistik-Masterarbeit über intertextuelle und intermediale Elemente in der Roman-Serie geschrieben.

Ich schätze Moers‘ Werk sehr, umso enttäuschter bin ich von der Entwicklung der letzten Teile der Serie. Nachdem die Veröffentlichungstermine jahrelang immer wieder verschoben wurden, erschien 2011 Das Labyrinth der träumenden Bücher, was sich als müder Aufguss von Die Stadt der träumenden Bücher las (2004). Jahrelang passierte dann erst einmal nichts auf dem fantastischen Kontinent Zamonien, bis 2017 überraschend mehrere Bände publiziert wurden: Eine zweibändige Comic Adaption in Zusammenarbeit mit Florian Biege von Die Stadt der träumenden Bücher (im graphischen Stil sehr bombastisch und barock, aber erzählerisch eher mäßig gelungen) und der Roman Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr (illustriert von Lydia Rode). Selten habe ich mich bei der Lektüre so gelangweilt und es schlussendlich nicht geschafft, den Roman zu beenden. Über 100 Seiten lang passiert rein gar nichts. Dazu kommen die Illustrationen von Rode in blassem Aquarell, die nicht an Moers‘ Brillanz herankommen und gleichzeitig zu sehr versuchen, seinen Stil nachzuahmen. Man kann sagen: Ich war milde zerknirscht. Aber der jüngste Band Weihnachten auf der Lindwurmfeste (2018) lässt mich nun endgültig verzweifeln: Hat Walter Moers – um es mit einer seiner Figuren zu sagen – sein Orm verloren?

Weihnachten auf der Lindwurmfeste – Gähn

Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft ist mit dem entsprechend nicht zufällig benannten Weihnachten auf der Lindwurmfeste (2018) ein weiterer Band erschienen. Bei der Lektüre drängt sich aber unmittelbar der Verdacht auf, dass aus einer schmalen Idee – die kaum eine Kurzgeschichte füllen könnte – ein ganzes gebundenes Buch gemacht werden sollte. Im herkömmlichen Sinne handelt es sich nicht um einen Roman mit Handlung, sondern einen Erfahrungsbericht in Briefform, den die Figur Hildegunst von Mythenmetz an einen Freund verfasst. Um dennoch einen Band zu füllen, wurden dem im buchstäblichen Sinne sehr schmalen Inhalt eine ganze Reihe von Illustrationen aus Lydia Rodes Feder bei getan. Diese sind leider ebenso wenig innovativ und verbleiben als Platzfüller, der lieblos angehängt ist.

Die grundsätzliche Idee ist durchaus charmant und reiht sich in die Herausgeberfiktion der Serie ein: Walter Moers wird hier wieder als Übersetzer tätig, wie er in seinem Vorwort kommentiert, und er hat aus dem Briefverkehr des berühmten zamonischen Autors Hildegunst von Mythenmetz einen längeren Brief ins Deutsche übertragen. Diese Konstruktion hat für die Bände Ensel und Krete (2000) sowie Die Stadt der träumenden Bücher (2004) glänzend funktioniert und gipfelte in einem legendären Schlagabtausch zwischen beiden Beteiligten in der F.A.Z. und ZEIT. Als Literaturwissenschaftlerin hat man an solchen Meta-Konstruktionen ja oftmals eine besondere Freude; diese verfliegt im neuen Band jedoch schnell, wenn sich der Inhalt des Briefes als öde und einfallslos erweist. Mythenmetz echauffiert sich über den traditionellen Brauch Hamoulimepp, der in seiner Heimat der Lindwurmfeste alljährlich zelebriert und zunehmend kommerzialisiert wird. Dass dies freilich als Kommentar zu unserem Weihnachtsfest zu lesen ist, ist weder schwer zu erkennen (so wird eingangs im Vorwort und im Titel darauf hingewiesen) noch besonders originell. So schleppt sich der Bericht von Mythenmetz von einem Gemecker zum nächsten, woraus sich ein loses Geplänkel ohne besonderen Lesegenuss ergibt. Wie sich die Figur Mythnmetz in seinem Brief aufregt, möchte man sich vor Verzweiflung selbst die Haare raufen. Unfreiwillig treffend bringt es Mythenmetz auf den Punkt: „[…] bis alles eine solche Kakophonie geworden ist, dass man nur noch aufspringen und ‚Aufhören!‘ brülllen möchte.“ (S. 52.) Genauso fühlt es sich beim Lesen des Textes leider auch an.

Literatur

Walter Moers: Weihnachten auf der Lindwurmfeste. München: Penguin Verlag 2018.

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