Lisa Williamsons erster Roman erzählt die Geschichte der Freundschaft von David und Leo. David ist Vierzehn und hat einen Traum: er möchte gerne ein Mädchen sein. Die Zeit drängt, denn beständig
verändert sich sein Körper weiter; Hände, Füße und Penis wachsen und Haare sprießen überall. Diese Vorgänge schreibt David mittels regelmäßiger Messungen der eigenen Körpermaße in ein Notizbuch nieder, eine statistische Abbildung seiner Machtlosigkeit, denn den Mut mit seinen Eltern zu sprechen kann David noch nicht aufbringen.
Leo ist neu an Davids Schule. Ein unnahbarer Einzelgänger, über den schon am ersten Tag Gerüchte über seinen Schulrauswurf und seine Gewaltbereitschaft kursieren. Leo ist genervt von seiner Mutter, die er dafür verantwortlich macht, dass sein Vater ihre Familie verlassen hat, als Leo noch ein Kleinkind war. Eigentlich hat Leo sich fest vorgenommen, an der neuen Schule keine emotionalen Bindungen zu Mitschülern aufbauen. Doch dann verliebt er sich in die offenherzige Alicia und verteidigt David vor der Erniedrigung durch einen Klassenkameraden. So beginnt für Leo die Beziehung zu Alicia und die Bekanntschaft mit David.
Weniger wäre mehr gewesen
Zusammen werden wir leuchten ist ein wichtiger Roman, da dieser ein Thema bespricht, das bis jetzt in der Jugendliteratur noch unterrepräsentiert ist: Transsexualität. Umso bedauerlicher ist es, dass die Geschichte von David und Leo irgendwie nicht so wirklich in Fahrt kommen will. Das hat mehrere Gründe:
So ist die Zeichnung der Figuren, trotz abwechselndem Erzählen aus der Ich-Perspektive, eher grob geraten. Anstatt sich dediziert mit Davids oder Leos Innenleben zu befassen und eine Geschichte auszuerzählen, wird Davids Geschichte Leos Geschichte an die Seite gestellt. Das führt spätestens ab der Hälfte der Handlung zu Frustration, denn weder Davids Sorge seinen Eltern, seine Wahrheit zu enthüllen, noch Leos problematische Beziehung zu Alicia, oder Leos Suche nach seinem Vater, noch die Freundschaft von David und Leo stehen im Zentrum. Jeder dieser Handlungsstränge für sich ist interessant, was den Roman nie langweilig werden lässt. Wirklich tiefgründige Momente bleiben jedoch aus, da kein Raum ist, die vielen Problemstellungen in ihrer Komplexität ausführlich zu besprechen.
Stereotype Genderkonstruktionen
Grundsätzlich denkt der Roman zudem zu wenig über Gender nach. Dies mag sich zum einen aus dem gewählten Thema erklären, sind es doch gerade die stereotypen Ausprägungen des gewünschten Geschlechts, die für Transsexuelle wohl am ehesten Stabilität versprechen. So ist Leo, als Junge, eigenbrödlerisch, gewaltbereit, wirkt stärker und ist emotional verschlossen – ein ‘angry young man’. David, als Mädchen im Jungenkörper, will, gerade mit Leo, ganz viel über Gefühle sprechen, ja drängt sich Leo fast auf und steckt andauernd seine Nase in Leos Angelegenheiten. Davids Kapitel sind daher eher anstrengend zu lesen, ist doch schnell klar, dass es Davids ‘weibliche’ Aufgabe zu sein scheint, Leo mit sanftem Druck sozialfähig zu machen. Ein Ziel, das am Ende nicht nur Leo hilft, sondern auch zu großen Teilen David selber nutzt und sein Bedürfnis nach Austausch befriedigt.
In der englischen Ausgabe von David Fickling Books steigt auf dem Cover ein rosanes Mädchen mit Zöpfen und Kleid aus einer hellblauen, männlichen Hülle. Dieser, dem Inhalt des Buches entsprechenderen, genderstereotypen Botschaft hat Fischer in der deutschen Übersetzung eine Explosion an Farben gegenübergestellt. Ein wünschenswerter Anblick, den das Buch nicht einlöst. David als Mädchen zu akzeptieren ist kein Problem. Die teils anstrengende Darstellung stereotyper, weiblicher Anhänglichkeit bedauerlicherweise schon eher.
Gemeinsam werden wir mittelhelles Licht verbreiten
Davids aufdringliche Art bringt, möchte man diese Zeichnung positiv deuten, eindrucksvoll zum Ausdruck, wie einsam David ist. Die Zeit mit Leo wird zu seiner Chance sich selbst zu finden und den Mut zu entwicklen, sich zu offenbaren. Das führt jedoch dazu, dass David und Leo, obwohl sie im Zentrum der Handlungen stehen, als Freunde nur mittelmäßig funktionieren. Ihre Bekanntschaft ist den Umständen geschuldet (die hier nicht verraten werden sollen). Die Vertrautheit zwischen den beiden hat David erarbeitet, ja fast erzwungen. Zum einen ist dieser Ansatz äußerst interessant. Nicht immer sind Bekanntschaften einfach und eher selten sind Menschen einander gleich wichtig. Doch macht diese Konstellation den Roman oft zäh, da David und Leo nicht nur ihre eigenen Dämonen bekämpfen müssen, sondern zudem stets aushandeln, ob Leo überhaupt etwas mit David zu tun haben will.
Eine verpasste Chance
Zusammen werden wir leuchten ist angereichert mit spannenden Ideen und Problemstellungen. Wie sage ich meinen Eltern, dass ich im falschen Körper geboren wurde? Was bedeutete es, von Mitschülern gemobbt zu werden? Wie kann ich die Schulzeit überstehen, wenn alle wissen, dass ich mein Geschlecht ändern will? Finde ich Menschen, die mich akzeptieren, wie ich bin? Ist Liebe für mich möglich? Davids und Leos Geschichte erschüttert und berührt. Die Jugendlichen sind orientierungslos und werden von der Schulgemeinschaft ausgeschlossen, ja sogar angefeindet. Bedauerlicherweise schafft der Roman es jedoch kaum, sein Potential in eine runde, tiefergehende Handlung umzuwandeln, die über die mittlerweile fast schon üblichen Ereignisse einer Außenseiterbekanntschaft hinaus etwas zu sagen hat.
Literatur
Williamson, Lisa: Zusammen werden wir leuchten. Aus dem Englischen von Angelika Eisbold Viebig. FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch: Frankfurt am Main 2016.